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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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Aquitanien 1999

ein Reisebericht

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Lothringen, Chartres, Loire, Côte d’Argent, Béarn, Lourdes
 

Unsere letzte Station an der Küste ist St. Jean de Luz. Kleiner Badeort. Einstmals zog man von hier auf Walfischfang. Heute begnügt man sich mit dem Thunfisch in der Biscaya. Der Strand ist schwarz von Algen. Die Fußgängerzone ähnelt der in Büsum. Nur daß hier an Stelle von Prinz-Heinrich-Mützen, bérets basques verkauft werden. In der Kirche St-Jean-Baptiste ein unge¬heuer vergoldeter, barocker Marienaltar. Nostre Dame De La Paix steht in goldenen Lettern auf rotem Grund. Ein deutscher Gartenzwerg, unauffällig zu Füßen der Muttergottes plaziert, würde sich nicht schlecht machen. Im Mittelschiff hängt an einer Kette von der Decke herab das bunt bemalte Modell eines Walfangschiffes. An den beiden Längsseiten drei hölzer¬ne, sehr fragil anmutende Galerien übereinander, den männlichen(!) Kirchenbe¬suchern vorbehalten. Dann noch das Seitenportal, das sofort nach der Hochzeits¬zere¬monie Maria Theresia, Infantin von Spanien, gegen Ludwig XIV., König von Frank¬reich, ein für alle mal zugemauert wurde, damit kein pro¬faner Fuß die Schwelle jemals entweihe...

Wir fahren noch ein paar Kilometer auf der Corniche basque, in Richtung spanische Grenze bis zu der Stelle, wo Tucholskys Sehnsucht Vorn die Ostsee, hinten die Zugspitze... sich sinngemäß erfüllt, schauen, versuchen Ozean und Pyrenäen gleichzeitig auf ein Foto zu bekommen, wenden schlie߬lich und fahren zurück in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Damit haben wir uns vom Ozean für dieses Jahr verabschiedet, und hinter Bayonne finden wir auf die N 117 in Richtung Pau. Die Departe¬mentsstrasse, die am Adour entlang in die gleiche Richtung führen soll, finden wir leider nicht, bleiben also auf der N 117. Die führt uns, nicht sehr stark befahren, durch Landstri¬che, in denen man schmucke und nicht allzu arme Bauernhöfe mehr ahnen als sehen kann.

Ein kleines Bistro am Straßenrand. Familienbetrieb. Kleinkinder werden über die Theke hin und her gereicht und geherzt. Mamas und Tanten von rustikalem Charme. Die wackligen Plastiktische sind mit Papiertischdecken einge¬deckt, so als fände hier jeden Tag, außer heute, das große Fressen statt. Die Patronne mit einem gar nicht un¬schönen Enten¬arsch, der sehr charmant zwischen den ange¬staubten Tischen und der wohl fettigen Küche hin und wider wackelt, versorgt uns zwischendurch souverän mit Grand-Crème und Panaché.

Wir fahren jetzt bereits durch den Béarn. Es geht immer sanft bergauf. Kurz vor unserem heutigen Ziel halten wir am Straßenrand, um das Panorama zu genießen. Dunkelgrüne Wälder, zart¬grüne Wiesen, ein paar Gehöfte, am Horizont von schwarz über dunkel- bis hellgrau, von Nebelfetzen umweht, die Pyrenäen. Nach ein paar Kilometern erreichen wir Morlanne, wo wir von unseren Freunden herzlich begrüßt werden.

Impressionen aus

Lourdes:

Die Freunde hatten uns bereits gewarnt: In Lourdes regnet es immer. 500 Meter vor Lourdes beginnt es zu nieseln.

Im Parkhaus kostet einmal Pinkeln 2 FF.

Was die Cote d'Azur für die Reichen und Schönen, das ist Lourdes für die Armen und Häßlichen.

Die Heilserwartung, geschürt vom Pfarrer zu Hause, hier wird sie zum Warten auf den Beginn der Zeremonien, Prozessionen etc.

Geldgier, Kitsch und Kommerz sind allgegenwärtig, auch der Humus, aus dem all dies erwächst: menschliches Leid und Elend, Dummheit und Unwissenheit, Glauben und Aberglauben, Verzweiflung und Hoffnung, Macht und Ohnmacht. Der Humus stinkt.

Eine deutsche Nonne zahlt mit leuchtenden Augen in einem an Woolworth erinnern¬den Ramschladen für billigste Plastikdevotionalien mit einem Fünfzig¬markschein. Die coole Verkäuferin zählt ihr routiniert das französische Wechselgeld in die zitternde Hand.

Vor dem Laden mehrere Ständer mit Regenkutten für umgerechnet vier Mark. Eine Woche später ärgern wir uns, dass wir keine gekauft haben.

Dafür kaufen wir eine durchsichtige Plastikflasche, die die Form der Heiligen Jung¬frau hat. Wenn man die blaue Krone abschraubt, kann man durch die Öffnung das heilkräftige Wasser einfüllen, das aus einer Felswand in der Nähe der Grotte kommt. Die dort aufgereihten männlichen Pilger sehen von hinten aus, als ob sie eher mit dem Gegenteil von Wassereinfüllen beschäftigt sind.

Ein paar Meter weiter sehen wir einen Mann in blauer Regenkutte, der mit einem Messerchen Münzen aus den Felsspalten kratzt.

Ab vierzehn Uhr füllt sich langsam der große Platz vor der Basi¬lika. Das lieblos hin¬gerotzte Gebäude ist von zornerregender Hä߬lichkeit. Es beginnt die nicht enden¬wollende Prozession der blau verhangenen Rollstühle. Das Elend aus faulendem, spastisch zuckendem oder apatisch vor sich hindämmernden Fleisch ist groß. Das steht, nach Muttersprachen geordnet, in der überdachten Vorhalle der Bäder. Es gilt eine Wartezeit zu überbrücken. Ein religiöser Animateur brüllt irgend¬welche Parolen. Die es noch können in ihren Rollstühlen, murmeln zu¬rück. Für einen winzigen Bruch¬teil ihrer Lebenszeit wird den Kranken hier das Gefühl vermittelt, daß sie im Mittel¬punkt stehen. Was die Wunderhei¬lungen betrifft, so hat sich seit Tucholskys Bericht nichts verändert.

Vorm Eingang zur Grotte hat sich eine lange Schlange gebildet. Wir reihen uns nicht ein, da wir uns als störend empfinden würden. Aus einiger Entfernung beobachten wir, mit welch archaischer Inbrunst mensch¬liche Hände eine feuchte Felswand streicheln können. Und all das vollzieht sich mit einer ungeheuren Disziplin. Keiner drängelt. Stille, manchmal gierige Verzückung in den Gesichtern.

Aus der Ferne hören wir die Klänge eines Dudelsacks. Sehen auch die steifbeinige Prozession, die aber leider, ehe wir in die Nähe kommen können, über ein Brück¬chen verschwunden ist.

In der Nähe der Bäder eine überdachte Halle. Dort werden auf schmiedeeisernen Rosten geweihte Kerzen in jeglicher vorstell¬baren Größe verbrannt. Auf dem Weg zu dieser Vorhölle begegnen wir Gruppen von Pilgern, die auf zwei, manchmal auch drei Schul¬tern verteilt lange, schwere Kerzen schleppen.

Die harmlosen Tagestouristen ziehen kreuz und quer über den Platz und tragen ein Schildchen Pilger für einen Tag. Wir folgen einer Gruppe, bestehend aus fünf Frauen und einem Mann an der Spitze. Der Mann schleppt eine Fahne, darauf ist, ge¬stickt in Goldbrokat, zu lesen: LOURDES-VEREIN KÖLN.

Dies alles unter einem staubfeinen Regen.

Nach einer gewissen Zeit wollen wir nur noch eins: raus hier. Das Dorf hat Ein¬bahnstraßen wie in Frankfurt, für ein paar hundert Meter im Schrittempo brauchen wir eine Viertelstunde. Fünfhundert Meter hinter Lourdes hört es auf zu nieseln.

Auf dem verlassenen, schiefergrau schimmernden Marktplatz von Bétharram lassen wir uns auf der Terrasse des einzigen geöffne¬ten Bistros nieder, trinken einen Panaché und freuen uns, dieser Hölle entkommen zu sein. Anstatt uns in den Arm zu kneifen rufen wir aus der Telefonzelle unsere Katze Minka in FFM an und alles ist wieder gut. Später erfahren wir von Rose-Marie und Rainer, dass die Leitung der Schule von Bétharram vor ca. zwei (!) Jahren die Prügelstrafe abschaffen wollte, ein Elternprotest verhinderte dies - auch das ist Frankreich.

Auf kleinsten kurvenreichen Sträßchen fahren wir durch den Béarn. Maisfelder, so weit das Auge reicht. Hier wird in Mono¬kultur das Zeug produziert, das man den armen Gänsen in den Schlund stopft, damit die Gourmets Gänseleber fressen können. Immer wieder atem¬beraubende Ausblicke aufs Pyrenäenmassiv. Im beginnenden Berufsverkehr schleichen wir uns um Pau herum und landen am späten Nachmittag wieder in Morlanne. Der Ort war im Mittelalter ein von hölzernen Palisaden umgebenes Wehrdorf mit einer robusten Kirche, in der notfalls die ganze Bevölkerung Platz fand. Heute ist es ein fast reines Schlafdorf. Nur noch etwa 10 Prozent der Bewohner betreiben aktiv Landwirtschaft. Fast ausschließlich Maisanbau. Der Rest pendelt zur Arbeit nach Pau. Und am Sonntag wird gejagt. Rainer erzählt mit grimmiger Miene, wie die tapferen Waidmänner auf der Wiese unterhalb der Terrasse aus einem Dutzend Flinten ein einsames Reh zusammenballern... Wir wohnen am Rand des Dorfes im Manoir d'Argelès, einem wunderschön renovierten Herrenhaus aus dem 17. Jahrhundert mit freundlichen blauen Fensterläden. Neben einem Gartenpavillon ein alter Döschewo. Eine kiesbestreute riesige Terrasse blickt über das sanft gewellte Hügelland des Béarn auf die Pyrenäen, deren weiß leuchtende Gipfel um diese Jahreszeit immer wieder hinter Wolken verschwin¬den. Ein Swimmingpool erinnert ans 20. Jahrhundert. Schon mancher verspätete Jakobspilger, der Wanderweg führt direkt am Haus vorbei, hat hier in freundlichen Gästezimmern sein müdes Haupt zur Ruhe gebettet und im rustikalen Speisezimmer die deftige Küche des Sud-Ouest, vom Hausherrn eigenhändig zelebriert, genossen. Zum Verweilen schön!

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© Klaus Bölling, Frankfurt 2003
 
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