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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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Cornwall und Südengland, September 2000

ein Reisebericht

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Wo britische Pensionäre unter Palmen wohnen

Ein Spätsommertag im südlichen Cornwall.

Von Schmugglern und Seenotrettern

und einer Begegnung
auf einem Zeltplatz, wo Kinder
nicht erwünscht sind...


Welche keltische Gottheit dafür zuständig ist, wissen wir nicht, auf jeden Fall hat sie uns einen für Cornwall wohl eher untypischen Sonnenaufgang beschert. Es ist noch früh am Morgen, als wir uns von unserem Zeltplatz in Chacewater aus auf den Weg zur Lizard Halbinsel machen. Am Verteilerkreisel in Falmouth halten wir vergeblich nach einem Richtungsschild Ausschau und müssen uns auf unser Gefühl verlassen, mit dem Resultat, daß wir, ohne wenden zu können, auf einer abenteuer¬lich schmalen Einbahnstraße um die ganze Bucht herum geführt werden. Offenbar ist hier ein Refugium für betuchte Pensionäre. Vorsichtig weichen wir immer wieder Hunden aus, die ihre gebrechlichen Frauchen und Herrchen spazieren führen. Dezent über die grünen Hügel verstreut die dazugehörigen Cottages. Endlich fahren wir über eine breite Strandpromenade, wo sich vor einer respektablen Hotel¬architektur in der sanften Brise Palmen wiegen. Aufgrund des Golfstroms hat diese südliche Spitze Cornwalls eine teilweise subtropische Vegetation, deshalb der Andrang britischer Pensionäre. Nachdem wir schließlich einmal um die Stadt herumgefahren sind, schaffen wir es - schon etwas genervt - zu dem Roundabout zurückzufinden, wo wir uns offenbar verfranst hatten, und siehe da, aus dieser Richtung kommend, finden wir ein Schild nach Lizard und fahren nun ein paar Kilometer über eine kurvenreiche, schmale Landstraße, auf der kaum Verkehr ist. Bei Gweek überqueren wir den Helston River und gelangen in die Goonhilly Downs, ein hundert Meter über den Meeresspiegel sich erhebendes hochmoorartiges Hügelland, auf dessen felsigem Untergrund nur eine einzige Pflanze wächst, Erica valgans, eine Heidekrautart. Auf dem höchsten Punkt wachsen hinter Maschendrahtzäunen riesige, silbern glänzende Satellitenschüsseln in den tiefblauen Himmel, über die der Funkverkehr der britischen Telekom abgewickelt wird. Während wir angestrengt über die Frage nachdenken, warum in Südengland und Cornwall die Hügellandschaften nicht "UPS", sondern Downs heißen, erreichen wir die Küste.

Die Sonne strahlt aus einem wolkenlosen, fast mediterranen Himmel auf das an einer idyllischen Bucht gelegene Fischerdörfchen Coverack. Träge schwappt der Ozean gegen die paar hundert Meter Sandstrand. Weit draußen vor der Bucht die bunten Segel der Surfer. Auf dem Weg zum kleinen Hafen, wo es obligat nach Fisch und Teer riecht, kommen wir an weißgekalkten, reetgedeckten Häuschen vorbei, die an Dithmarschen erinnern. An der Außenwand der Hafenmeisterei sehen wir vier große Tafeln, die davon künden, daß dieses Stückchen Küste, wo der Kanal sich der Weite des Atlantiks öffnet, nicht immer so sanft besonnt ist wie heute. Da stehen, beginnend mit dem Jahre 1902 und endend mit dem Jahre 1978, die Namen der Schiffe, die vor der Küste mit ihren kilometerlang vorgelagerten Riffs, in Seenot geraten waren. Da steht hinter jedem Schiffsnamen, akribisch und teilweise mit ungelenker Handschrift aufgeschrieben, die Anzahl derer, die man lebend, verletzt oder tot hatte bergen können. Jede Zeile eine Tragödie. Auch die Frau, die 1976 von einer nahegelegenen Klippe gestürzt war und die man schwerverletzt hatte bergen können, ist erwähnt. Ehe man, Ende der siebziger Jahre, die Seenot-Rettung vom nahen Falmouth aus zu organisieren begonnen hatte, waren die Fischer von Coverack mit nichts als einem kleinen Boot und unendlich viel Tapferkeit in die Sturmhölle hinausgefahren. Sollten sie ihre nebenberufliche Schmuggeltätigkeit ebenso intensiv wie die Seenotrettung betrieben haben, müssen die Leute von Coverack tüchtige Schmuggler gewesen sein.

Auf dem Rückweg zum Parkplatz kommen wir an einer in einem Park versteckten Hotelanlage vorbei, wo ein Pappschild am schmiedeeisernen Eingangs¬portal darauf hinweist, daß hier nur Erwachsene erwünscht sind. Das Hotel Paris trägt seinen Namen nicht zu Ehren der französischen Hauptstadt, sondern soll an den amerikanischen Dampfer, The Paris, erinnern, der 1899 vor der Küste gesunken war, wobei alle 700 an Bord befindlichen Passagiere und Mannschaften von den Einwohnern Coveracks gerettet werden konnten.

Wir können gerade noch ein paar Schritte tun, als von der See her eine dichte Nebelwand aufzieht und alles in Watte hüllt. Keine Sonne mehr. Keine grünen Hügel mehr. Keine Bucht mehr. Keine Surfer mehr. Nur noch ein feuchtes, graues Wabern. Wir sind beeindruckt und hoffen, daß zur Ausrüstung cornischer Surfer auch ein Nebelhorn gehört.

Auf dem Hinweg waren wir am Harbour Lights Café vorbeigekommen, das mit seinen weiß gekalkten Mauern im Sonnenschein fast griechisch anmutete. Jetzt im feuchen Nebel wissen wir wieder, daß wir in England sind, trotzdem strahlt das Café so viel Charme aus, daß wir uns auf der Mini-Terrasse niederlassen, obwohl der Ansichtskarten-Blick auf die Bucht nun leider etwas verwischt ist. R. hatte sich in den Kopf gesetzt, unbedingt einen Cornish Cream Tea zu probieren. Unsere Vorstellung davon war diffus, bei einem Preis, der dem für ein mitteleuropäisches Mittagessen entsprach, mußte es aber etwas Besonderes sein. Ich bestelle vorsichtshalber nur einen Cider. Der Cream Tea besteht aus einem Kännchen Tee (ca. 4 Tassen), zwei Rosinenbrötchen (scones), aus je einem Schälchen Marmelade und - Cornish Cream, einem Mittelding zwischen Sahne und Butter. Zunächst probiert R. die Cream pur, das kann's nicht sein, dann beschmiert sie ein halbes Brötchen dick mit Cornish Cream und packt einen Zentimeter Erdbeermarmelade drauf! Ich schüttele mich zwar, probiere aber trotzdem und kann mich eines anerkennenden Schnaufens nicht enthalten, hatte ich doch bis zu diesem Augenblick darauf bestanden, daß CREAM TEA nichts anderes bedeuten könne, als einen faden englischen Tea mit einem Klecks Sahne unansehnlich einzufärben...

Etwas fröstelnd aber satt fahren wir weiter Richtung Lizard-Point. Wir sind kaum ein paar Minuten gefahren, als die Sonne wieder knallt und wir uns fragen, ob wir den Nebel eben nur geträumt haben. Nach einigen Kilometern Fahrt wandern wir zu Fuß die paar hundert Meter zum Lizard Point, der südlichsten Landzunge Englands. Denkt man sich die Imbiß- und Andenkenbuden weg, dann breitet sich eine wilde Steilküstenlandschaft vor uns aus, die aber zu keinem längeren Aufenthalt einlädt. Zu sehr ist die leichte Seebrise von Fish- and Chips-Dünsten geschwängert. Auf dem Rückweg lassen wir uns von der riesigen Leuchtturmanlage beeindrucken und vom dumpfen Tuten der unterhalb des Turms angebrachten Nebelhörner, die bis zu 16 Kilometer auf See noch gehört werden können. Die Leuchtfeuer sollen sogar noch aus einer Entfernung von 150 Kilometern gesehen worden sein. Im Normalfall haben sie eine Reichweite von bis zu 60 Meilen. Seit Errichten der Anlage Anfang des 20. Jahrhunderts - im 17. Jahrhudert hatte man mit einem Holzfeuer begonnen - ist die Zahl der schweren Schiffsunglücke vor diesem Teil der Küste drastisch zurückgegangen.

Im Ort Lizard selbst sitzt die Hälfte der 800 Einwohner in den Hinterzimmern kleiner Läden und verarbeitet Serpentine, das in allen Rot- und Grüntönen schimmernde, an die Haut von Schlangen erinnernde Gestein, aus dem die Küste hier besteht, zu mehr oder weniger geschmackvollen Souvenirs. Die unbearbeiteten Originale lesen wir dann etwas später am Rande des Klippenwegs bei Kynance Cove auf, wo ein reger sonntäglicher Fußgängerverkehr herrscht. Wir nehmen's gelassen und geben uns ganz dem Rausch des Steinesammelns hin.

Es ist schließlich später Nachmittag, als wir ermattet vor unserem Iglu sitzen. Ein Ehepaar geht vorüber. Middle-class. Caravanbesitzer. Bei der Ankunft auf dem Platz hatte man uns stolz mitgeteilt, daß dies der einzige Camping Site in Cornwall sei, auf dem es keine Kinder gebe, da er hauptsächlich von Lehrern frequentiert werde, die keine Kinder mehr sehen könnten… Deshalb schauen wir genau hin, weil wir schon immer wissen wollten, wie Leute aussehen, die keine Kinder mehr ertragen können: er, Typ pensionierter Oberstudienrat, bei aller Korpulenz den Eindruck aufrechter Hagerkeit erweckend, trägt auf dem Kopf eine Art Tropenhelm, vor der Brust baumelt ein schwerer Feldstecher. Die vom Khaki nicht bedeckten Hautpartien sind vom heutigen Sonnenschein rot gesotten. Wir sind uns nicht sicher, sehen wir auf seiner rechten Schulter eine Großwild-Donnerbüchse hängen oder, lässig unter den Arm geklemmt, das Stöckchen des Kolonialoffiziers... Bei ihr, korpulent in der Steigerungsform, mit einem wagenradgroßen Sonnenhut auf dem Kopf, ebenfalls in khakifarbenen Bermudas steckend, wissen wir nicht genau, sollen wir sie mit einem Schmetterlingsnetz in der rechten Hand, einer unter dem wogenden Busen baumeln¬den Botanisiertrommel oder einer Handvoll palmwedelnder Negerknaben im Schlepptau ausstatten... Anyway, in schweren Wanderstiefeln steckend, aus denen Söckchen hervorlugen, fest die Spazierstöcke umklammernd, watscheln sie würde¬voll an unserer Rasenterrasse vorbei, unbekannten, fernen Abenteuern entgegen... Kurze Zeit später machen wir uns zu einem Spaziergang auf. Da sehen wir sie stehen, offensichtlich unschlüssig, ob sie es wagen sollen, die Straße zu überqueren. Wie wir, diskret über die Schulter zurückschauend, feststellen, entscheiden sie sich, etwas außer Atem geraten, für die Rückkehr zu ihrem Caravan.

An Bambus und Farnen vorbei steigen wir ein bißchen in den Hügeln herum, wo hinter gepflegten Hecken die Altersruhesitze betuchterer Pensionäre liegen. Es fällt uns das Gedicht von Ringelnatz ein von den zwei Hamburger Ameisen, die nach Australien reisen wollten: ...

Bei Altona auf der Chaussee,

Da taten ihnen die Beine weh,

Und da verzichteten sie weise

Dann auf den letzten Teil der Reise...


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© Klaus Bölling, Frankfurt 2001
 
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