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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 11/39]

machen. Wir schlossen alle Türen hinter uns, doch da die Fenster offen blieben, war das eigentlich witzlos. PM erklärte uns, dass er die unschuldigen Larven nicht töten könne; erst wenn er später irgendwo im alten Gebälk Spuren ihrer Freßgier entdeckte, würde er mit der chemischen Keule auf sie losgehen. Die Öllampe, die AM, ehe er ausging, für uns angezündet hatte, stank und blakte fettige Kokosschwaden in die Tropennacht. PM war nach Trichur gefahren, wir waren ganz allein im Haus. Der Schweiß lief in Strömen, Moskitos schwirrten um den Kopf, Hunde jaulten, Zikaden zirpten. Alle Moskitostiche, die ich gestern nicht gemerkt hatte, fingen heute Abend an zu jucken.

Architekturspaziergang
Obwohl man zu Fuß nicht länger als zehn Minuten brauchte, fuhr PM lieber mit dem Landrover nach Cherpu, weil beiderseits des kurzen, notdürftig asphaltierten Teils der zur Hauptstraße hinauf führenden Dorfstraße Leute herumlungerten, die er nicht mochte und die ihn nicht mochten. Sie standen der BJP nahe, einer rechten, fundamentalistisch-hinduistischen Gruppierung im Kongreß, die unter anderem mit ausländerfeindlichen Parolen auf Wählerfang ging. Auch wir wurden, wenn wir dort vorbeigingen, schweigend aus den Augenwinkeln heraus ignoriert. Während der kurzen Fahrt erklärte uns PM, warum man so wenig frische Tomaten oder überhaupt Salate aß. Die Möglichkeit, dass sie mit Kolibakterien verunreinigt waren, sei zu groß... Andererseits könne er sich das bei den Tomaten, die ich im City Center gekauft hatte, nicht vorstellen.

In Cherpu parkten wir am Rande eines staubigen Platzes, dessen Längsseite von einem verwitterten, grünlich grauen Plattenbau begrenzt wurde und über den leere Plastiktüten und Papierfetzen flatterten, die sich am Sockel des schäbigen Denkmals für Mahatma Ghandi sammelten. Ein paar Arbeitslose in verwaschenen Mundus dösten oder schliefen im Schatten alter Bäume und sahen mißtrauisch hinter uns her. Wir gingen bis zum Ende einer schmalen Bazarstraße, wo im Schatten einer von schwarzgrünen Flechten überwucherten Mauer magere Ziegen zwischen Mülltüten weideten und die windschiefen, niedrigen Hütten in ein Wohngebiet übergingen. Hier waren die modernen, oft ein- bis zweistöckigen, Monsunflecken ausschwitzenden Betonkonstruktionen von gnadenloser Häßlichkeit. Die alte Keralaarchitektur, meist über ausgedehnte Grundstücke verteilt, war dagegen mit ihren schlanken Säulen und karmesinroten Ziegeldächern von eleganter Schönheit und passte sich harmonisch der Umgebung an. Sie war ein organischer Bestandteil der Landschaft. Beide Formen standen oft unmittelbar nebeneinander. Daneben gab es noch die Neureichenarchitektur, Taj Mahals im Bonsaiformat mit nachgemachten Türmchen, Säulchen und Giebelchen, die das Auge aber immer noch weniger beleidigten als die grauen Betonkolosse, deren offene Dachterrassen man nachträglich, als man feststellen musste, dass man in einem Land lebte, wo es ein halbes Jahr lang fast ununterbrochen regnete, mit Wellblechkonstruktionen überdacht hatte, was jetzt zwar den Regen abhielt, jedem Einfamilienhaus aber den Charme einer offenen Fabriklagerhalle verlieh.

Hindus und Christen lebten hier weitgehend friedlich Haus an Haus. In der Vorhalle eines im traditionellen Stil gebauten Hauses sahen wir einen geschnitzten, elefantenköpfigen Ganesh an der weißen Wand hängen, von der lindgrün getünchten Wand einer offenen Betonterrasse grüßte die verwaschene Reproduktion des Abendmahls von Leonardo da Vinci. PM erklärte uns, daß man an der Art, wie der Mundu gewickelt war, erkennen konnte, ob sein Träger Christ oder Hindu war. Der christliche Mann hatte den Eingriff rechts, beim Hindu war es umgekehrt...


Ich traute mich heute zum ersten Mal, Menschen zu fotografieren, wenn auch meistens nur diskret von hinten. Ich fotografierte Frauen in fröhlich bunten Saris, die, ein Kind auf der Hüfte, aus dem Hintereingang des Tempels kamen und die steile Straße hinuntergingen. Ein paar ausgemergelte, halbnackte Arbeitergestalten, die einen Weg schotterten, wagte ich nicht zu fotografieren, da sie uns mit offenen Mündern nicht aus den Augen ließen, während PM uns ausführlich die Architekturprinzipien eines ausgedehnten Anwesens erklärte, vor dessen verrammeltem Tor wir standen. Das Haus war im gleichen Stil gebaut wie Nalukkettu, war aber länger und breiter und hatte ein Stockwerk mehr.

Wir waren inzwischen mindestens seit einer Stunde in der prallen Sonne unterwegs, und unter der Schädeldecke begann es allmählich zu kochen, doch Schatten gab es kaum, und so etwas wie unbebaute Natur, wo das Auge sich von Architektur welcher Art auch immer, hätte ausruhen können, gab es ebensowenig. PM meinte, wir seien wahrscheinlich schon auf dem Gebiet des Nachbardorfs, doch genau wußte er das auch nicht. Bis auf ein nicht sehr großes, überflutetes Reisfeld, wo die Strommasten bis zur Hälfte im Wasser standen, war alles Land bebaut und bewohnt und sah mit dem immergrünen Gewoge von Palmen und Bananenstauden überall gleich aus. Auch eine Frau, die hier wohnte und die PM auf Malayalam nach dem Weg fragte, war nicht sicher, zu welchem Dorf die Gegend gehörte.
(RR: Hier probiere ich mein erstes, gestern gelerntes, leicht zu merkendes Malayalam-Wort aus und sage zu der Frau: Nanni - Danke. Sie lacht und freut sich. Und das, obwohl PM versucht hatte uns klarzumachen, dass es so etwas wie den Begriff Danke im Hindualltag und in den Hindusprachen nicht gäbe...)

KB: Wir gingen also auf gut Glück weiter und gelangten zu einer größeren Tempelanlage, die PM als die des Nachbardorfs wiedererkannte, das einen sechssilbigen Namen hatte, den wir gar nicht erst versuchten uns zu merken. Etwa dreißig Meter vom Tempeleingang war in einer, den staubigen Weg säumenden, weißgetünchten Steinmauer eine schmale Pforte. Ein paar ausgetretene Stufen führten durch eine weitere, noch engere, holzgerahmte Pforte auf eine schmale Plattform, von der breite Ghats hinunter ins milchiggrüne, heilige Wasser des von hohen Felswänden umgebenen, quadratisch angelegten Tempelteichs führten, in dem die Pilger, ehe sie die inneren Tempelbereiche betraten, ihre rituellen Waschungen vornahmen. Unter den vor dem Tempel mit Straßenarbeiten beschäftigten Männern erkannte PM einen, der kürzlich bei ihm auf dem Grundstück gearbeitet hatte, und erfuhr von ihm, dass wir als Nicht-Hindus bis zu der Plattform, doch nicht weiter gehen durften... Auch der Hintereingang des Tempels, vor dem wir standen, blieb uns versperrt; also wankten wir, erschöpft nach einer Rikscha ausschauend, eine vom Monsun geschwärzte, schön gerundete Tempelmauer entlang zum Haupteingang, an dessen rechter Seite, die Tempelmauer hoch überragend, ein alter Banyantree in den üppigblauen Himmel wuchs. Vom Tempel führte eine breite, staubige Allee, rechts und links von niedrigen Einfamilienhäusern und verwehten Plastiktüten gesäumt, zur Hauptstraße des Ortes. Hier gab es zum Glück ein paar hohe Bäume, die etwas Schatten spendeten. Wir quetschten uns zu dritt in eine der hier in Massen herumstehenden, schwarzgelben Rikschas und ließen uns für zehn Rupien nach Nalukkettu knattern.

Unterwegs zum Arabischen Meer
Es waren ca. dreißig Kilometer bis zur Küste. Ich fotografierte wie ein Verrückter während der Fahrt aus dem Auto heraus. Am Straßenrand sahen wir Frauen im Sari, Männer im Mundu. Vor, hinter und neben uns Rikschas, Busse, Lastwagen, Motorräder und viele

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