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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 12/39]

Fahrräder. Mit einer Bambusstange über der Schulter, an deren beiden Enden ein Korb mit Fischen hing, rannten Fischverkäufer im Eilschritt von Haus zu Haus, um ihre leicht verderbliche Ware an den Mann oder die Frau zu bringen. Zwei Männer mühten sich ab, einen langen, zweirädrigen Karren, der mit Lateritsteinen beladen war, über die Straße zu schieben. Über allem eine schmierige, feuchte Hitze, die den Arsch am Sitz festkleben ließ. Von einer Brücke aus sahen wir einen pinkfarbenen Tempel, idyllisch am Ufer eines Flusses gelegen, in dem heilige Fische schwammen, die von den Pilgern gefüttert wurden. In kleineren Ortschaften hingen an jedem zweiten Mast rote Fahnen mit Hammer und Sichel. Je mehr wir uns der Küste näherten, desto häufiger tauchten zwischen den Palmen die schlanken Minarette von Moscheen auf. Die Fischer waren überwiegend Moslems. Über den Palmwipfeln schepperte die Lautsprecherstimme des Muezzin. Die Männer trugen ein rundes Käppi auf dem Kopf und viele Frauen Kopftücher.

Auch auf diesen dreißig Kilometern zwischen Cherpu und der Küste gab es, abgesehen von ein oder zwei Reisfeldern, keine Natur. Das Landschaftsbild war geprägt von ein- bis zweistöckigen Gebäuden aus schwärzlich verfärbtem Beton, in deren Erdgeschoß sich kleine Läden befanden, die alle mit grellbunten Schildern auf sich aufmerksam machten. Dazwischen das staubige Grün der Kokospalmen und manchmal Gebäude im traditionellen Stil, oft mit unverputzten Backsteinmauern und braunroten Ziegeldächern. Viele sahen baufällig aus. Wo sich die Häuser und Hütten verdichteten, konnte man von einem größeren Ort sprechen, in dem es von Menschen wimmelte.

In den Palmenhainen, die sich zwischen der Küstenstraße und dem Strand hinzogen, sahen wir ärmliche Hütten aus Palmblättern, aber auch klotzige Säulchen- und Giebelarchitektur, die sich keralische Moslems, die in den Golfstaaten gearbeitet und dort Geld gemacht hatten, bauen ließen, um zu zeigen, dass sie’s zu was gebracht hatten. Einzelne brachliegende Grundstücke dienten als Müllkippen. Auf der schmalen Straße tappte vor uns mit unsicheren Schritten ein Betrunkener, den PM sehr vorsichtig überholte. Ihm war vor Jahren so ein armes Schwein direkt ins Auto gelaufen. PM war offensichtlich unschuldig gewesen, doch bei der keralischen Polizei galt der Grundsatz, wer Geld hat, und für hiesige Verhältnisse war PM reich, ist schuldig und muss zahlen. Da es Versicherungen so gut wie nicht gab, musste der, der Geld hatte, die durch den Unfall entstandenen Kosten tragen. Solange man als Sozialromantiker nicht selbst betroffen war, hörte sich das nicht schlecht an...

Am Strand des Arabischen Meers
Bis auf ein paar Fischer, die mit Reparaturarbeiten an ihren Booten beschäftigt waren, war der Strand in beide Richtungen menschenleer. Kilometerweit wogte der grüne Landhorizont aus Kokospalmen, bis er sich mit dem des Meeres zu einer vagen Linie vereinte. Das Meer dümpelte träge auf den Sand, über den Scharen kleiner Sandkrebse huschten. Es war eine verschwitzte Südseeidylle. Trotz der leichten Brise war die Luft fettig und schwül. Selbst das Meer schien nichts als brackige Schwaden auszudünsten. Strand und Meer machten einen einigermaßen sauberen Eindruck, doch PM erzählte, wenn man am frühen Morgen hierher komme, könne es passieren, dass man die Bewohner der Hütten, die versteckt in den Palmenhainen standen, aufgereiht entlang der Strandlinie im flachen Wasser hocken sah, wo sie ihren Darm entleerten. Er würde hier nicht baden gehen. Das hatten auch wir nicht vor.


Wir spazierten einige tausend Meter den Strand entlang, vorbei an Kolonien hochbeiniger, grauweißer Vögel, die aufgeregt über den Sand trippelten, wenn wir uns
näherten. Es hätten Möwen sein können, doch sie saheneher aus wie überproportionierte nordhessische Bachstelzen, die eine Laune der Evolution an das Ufer des Indischen Ozeans verschlagen hatte. Irgendwann kamen wir an einen Priel, der ein Weitergehen wenn auch nicht unmöglich machte, so doch nicht ratsam erscheinen ließ. Die Strömung sagte uns zwar, dass das Wasser gerade ablief, doch wir hatten keine Lust, später vielleicht schwimmend da durch zu müssen. Also schauten wir den beiden Fischern am anderen Ufer zu, die, wo der Priel sich gegen den Palmenhorizont hin zu einer kleinen Lagune ausweitete, aus ihrem Boot weiße und orangefarbene Netze ausluden und diese zu entwirren suchten. Sie waren so beschäftigt mit sich und ihrer Arbeit, dass wir sie, ohne dass sie es bemerkten, fotografieren konnten.

Auf dem ganzen Weg sahen wir nur ein einziges, nicht sehr großes Areal in einem Palmenhain, das touristisch erschlossen war. PM sagte, dies sei das Ayurveda-Resort des Keralis, den wir von seinem winzigen, auf Backwatertouren spezialisierten Reisebüro in Frankfurt her kannten. Über das Gelände verstreut standen flache Bungalows, zwischen Palmen waren Hängematten gespannt. Direkt am Strand gab es einfache, nach allen Seiten hin offene, mit Palmblättern gedeckte Hütten, die Schutz vor der Sonne boten. Eine Frau mittleren Alters lag in einem Bambusliegestuhl und schaute aufs Meer. Unter einem anderen Schutzdach lag ein Pärchen um die Zwanzig und las. Hinter jeder Hütte stand ein Mülleimer. Ich machte gerade ein paar Aufnahmen von dem Gelände, als ein junger Mann, mitteleuropäisch gekleidet, doch von dunkler Hautfarbe auf uns zukam und uns ansprach. Er wollte wissen, ob wir hier im Resort wohnten. Da ich dachte, dass er zur Security, die sich am Rande des Areals in einem kleinen Verschlag langweilte, gehörte und mir das Fotografieren verbieten wollte, man wußte ja nie, in welchem Fettnäpfchen man gerade rumtrampelte, sagte ich, No, but we know the boss in Frankfurt... Das beeindruckte ihn wenig, er wollte nur Antwort auf die zwei indischen Standardfragen Where from?, What’s your name? Mit Klaus konnte er wenig anfangen, doch als ich ihn fragte, You know Santa Claus?, lachte er und die Sache war erledigt. Höflichkeitshalber fragte ich nach seinem Namen, von dem ich wußte, dass ich ihn nicht verstehen würde. In einem harten, gutturalen Malayalam-Englisch, an das wir uns immer noch nicht gewöhnt hatten, erzählte er, dass er in einem nahegelegenen Küstenort Englischstunden gebe. Nachdem wir durch höfliche Körpersprache zu verstehen gegeben hatten, dass wir nur mäßiges Interesse an einer Fortsetzung der Konversation hatten, schlenderte er zögernd von dannen, und PM klärte uns auf, dass jeder einigermaßen gebildete Kerali Kontakte zu Europäern suchte, in der Hoffnung, dadurch vielleicht mal nach Europa zu kommen. In das Ayurveda-Resort kämen viele Deutsche, daher lungerten immer ein paar Einheimische hier herum und versuchten Connections herzustellen. Damit sie nicht zu aufdringlich wurden, gab es die Security. Er war an diesem Strand schon von minderjährigen Mädchen angemacht worden, die für ein paar Rupien bereit waren, die Beine breit zu machen.

Bilder und Widersprüche
Das Thermometer sank nachts kaum unter 28 Grad. Die jaulenden Hunde hatten um elf Uhr endlich Ruhe gegeben. Mein Kopf war voll von Bildern. Bildern von Menschen, schönen Menschen, Bildern von Unrat, Verfall, von aussätzigen Tempelmauern, Bildern von so vielen Leben, die den Atem rauben möchten. Der Zigarettenverkäufer in Cherpu war heute in helle Aufregung geraten, als er begriffen hatte, dass ich anstatt zwei einzelner Zigaretten, wie es hier üblich ist, zwei ganze Päckchen à zehn Stück kaufen wollte. Die Frau mußte sie erst aus einem Hinterzimmer, dem ‚Lager’

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