deutsche version
manasvi.com/manasvi.de
Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
©
Webmail
Rechtshinweis
Feedback
 

[Kerala 2004 - Seite 13/39]

herbeischaffen.

Nachmittags hatten wir auf dem Rückweg zum Auto in einem Palmenwäldchen Fischerhütten aus grauen Palmblättern und im Hintergrund die Türme einer Moschee gesehen. Mitten auf dem Strand ein dampfender Haufen Scheiße, der eindeutig menschlichen Ursprungs war. Der Sonnenuntergang von dezenter Schönheit. Das Unwetter, das wir am südöstlichen Himmel heraufziehen sahen, brachte zehn Tropfen Regen. Zwei Männer in Mundus spielten im flachen Wasser mit einem Ball, ein dritter schaute zu, ein paar Meter entfernt stand ein etwa vierjähriges Mädchen und schaute auch zu. Es steckte in einem weißen Kleidchen mit Spitzen und Volants. Herausgeputzt wie eine Prinzessin, wagte es kaum sich zu bewegen. Statt in Sand und Wellen zu toben, stand es traurig herum und langweilte sich. Dazu war mir ein Gedicht aus Tagore’s Gitanjali eingefallen:
  Ein Kind in fürstlichen Gewändern, um seinen Hals Juwelenketten,
   Kennt keine Freude mehr an seinem Spiel.
   Das Festgewand beengt es Schritt für Schritt.
   Aus Furcht, es zu zerreißen, zu beschmutzen,
   Hält es sich vor der Welt zurück,
   Hat Angst sogar, sich zu bewegen.
   Mutter, die Gefangenschaft gepflegten Daseins
   Ist kein Gewinn, wenn sie ein junges Menschenkind
   Vom Staub der Erde, vom gesunden Staube, fernhält
   Und ihm das Eintrittsrecht zum großen Jahrmarkt
   Einfachen Menschenlebens raubt.


Schwarze Augen
Was Himmelsrichtungen und damit die allgemeine Orientierung betraf, so hatten wir hier ziemliche Schwierigkeiten damit. Da wir keine Karte besaßen und von PM immer geführt wurden, wußten wir selten, wo wir uns befanden. An einem anderen Ort der Welt hätte ich das wahrscheinlich nicht hingenommen, doch bei dieser Tropenhitze und da wir die Namen der Orte eh erst nach einer Woche Üben aussprechen konnten, war es uns irgendwann egal. Der Strand, zu dem wir heute fuhren, lag also entweder südlich oder nördlich von dem, den wir gestern besucht hatten. Mit einsetzendem Wiedererkennungseffekt wurde das Straßenbild immer vertrauter und das Exotische immer alltäglicher. Unterwegs am Straßenrand eine Gruppe College-Studentinnen, die in hellbraune Saris gekleidet waren und fast alle schwarze Regenschirme gegen die Sonne aufgespannt hatten. Ein Bild von kindlicher Anmut. Die Schönheit der Frauen und Kinder war herzergreifend. In den ausgedehnten Palmenhainen zwischen Meer und Straße sahen wir am Fuße der Palmen kreisförmig um den Stamm Muscheln und kleine Fische gehäufelt, die als Dünger dienten. Am Strand lagen etliche Fischerboote, die teilweise aussahen, als führen sie schon seit Tausenden von Jahren aufs Meer hinaus. Die Fugen zwischen den Planken waren mit dicken, geölten Tauen aus Kokosfaser abgedichtet, die zusätzlich mit leuchtendblauem Bast x-förmig umwickelt waren, was ein sehr dekoratives Muster ergab. Da wo der Strand anfing, gab es einen überdachten Platz, wo man, wenn die Boote gelandet waren, körbeweise die Fische ablieferte. Die Boote waren heute entweder noch draußen, oder die Auktion war schon zu Ende. Wir sahen nur noch zwei Frauen, die ausladende Körbe auf dem Kopf trugen, auf dem sie sich mit einem weißen Tuch ein Nest gebaut hatten. Sie hatten dabei einen Gang, um den sie jedes Prêt-à-Porter-Model in Europa beneidet hätte.

Da am südlichen Horizont wieder gelbgraue Monsunwolken aufzogen, wagten wir uns nicht zu weit vom Auto weg. An der Flutlinie war der Strand mit abertausenden winziger Fische bedeckt, die riesige,
lärmende Krähenschwärme anlockten, welche in
schwarzen, kreischenden Wolken über den Sand jagten. Vor dem dunkelnden Meerhorizont spielten ein paar Jungen in bunten Mundus Kricket und ließen sich, da sie

sich selbstbewußt als Teil des öffentlichen Raums fühlten, auch durch unser Fotografieren nicht stören.

Später standen wir vor dem verschlossenen Holzgatter eines Grundstücks, und betrachteten neugierig eine Baustelle, wo offensichtlich ein neues Touristenresort entstand. Eine wunderschöne junge Frau im Sari, die schon die ganze Zeit schüchterne Versuche gemacht hatte, mit uns in Kontakt zu kommen, indem sie uns anlächelte und aus glänzenden schwarzen Augen verstohlene Blicke zuwarf, benutzte diesen Moment, um sich zu nähern und fragte mit den Händen, denn sie konnte kein Englisch, ob sie das Gatter öffnen solle. Eigentlich wollten wir gar nicht, aber ehe wir uns versahen, stand es offen, und wir mußten, durch eine einladende Geste aufgefordert, das Grundstück betreten. Ein Mann kam näher und erklärte ungefragt in holprigem Malayalam-Englisch technische und architektonische Details und Besonderheiten des Baus, so als hätten wir die Absicht, das Ganze zu kaufen...

Beef Masala
PM hatte den Landrover auf den Parkplatz eines auf den ersten Blick als Touristenghetto erkenntlichen Anwesens gefahren. Es war durch eine hohe Mauer von der Welt der Normalsterblichen getrennt und machte auf mich einen gar nicht einladenden Eindruck. Ein Parkwächter in der Uniform eines Operettengenerals salutierte beflissen und versuchte den Eindruck zu erwecken, als ob er uns auf dem völlig leeren Gelände einen besonders privilegierten Platz zuwiese. Das Innere des Restaurants war wartesaalgroß und leer, nur ein paar mit schwarzen Hosen, weißen Hemden und schwarzen Fliegen aufgetakelte Kellner, die sich ein Essen in diesem Restaurant selbst niemals hätten leisten können, lungerten im Hintergrund. Die Einrichtung war mit ein bißchen Folklore aufgepeppt und roch nach Nepp. Interessant waren lediglich ein Hängebett und eine Wiege aus poliertem schwarzen Holz, die im Vorraum an Messingseilen von der Decke hingen. Mir war unbehaglich zumute, denn dieser Schuppen entsprach in keiner Hinsicht PM’s Kriterien für ein Restaurant, in dem man ohne Risiko essen konnte. Ich erinnerte ihn daran, was er uns gepredigt hatte, doch er meinte lapidar, im Nebenraum wäre die Bar, dort säßen ‚bestimmt’ genug Männer, die ‚bestimmt’ auch etwas zu essen bestellten... Zusätzlich beschwor er den Kellner, dass das Essen doch ‚bestimmt’ frisch zubereitet werde, und der sagte natürlich, das werde es ‚certainly’. Wir bestellten Beef Masala, Chicken Masala, und Fish Fingers. Dazu Chapatties und Wasser. Es war das übliche matschige Zeug, das man gut mit den Fingern essen konnte, doch es schmeckte köstlich, da es anders gewürzt war, als das, was Ammenie jeden Tag auf den Tisch brachte. Als Nachspeise gab es sehr guten Kaffee.

Delhi-Belly
Ich hatte noch Zeit gehabt, dem Operettengeneral, der das Auto bewacht hatte, fünf Rupien Bakschisch durchs Fenster zu reichen, dann wurde mir übel. Als wir in Nalukkettu ankamen, hatte ich Dünnschiß. Ich war mir sicher, dass es weniger am Essen lag, denn an der geballten Macht der Widersprüche, die rein zufällig in dem Touristenrestaurant ihren Kulminationspunkt gefunden hatten. Stellvertretend für den Kopf, rebellierte der Dickdarm gegen alles, was der Kopf nicht verdauen konnte.
(RR: Die Hotel-Restaurant-Anlage machte auf mich einen sehr sauberen Eindruck und PM erwähnte noch, dass er bereits mit anderen europäischen Besuchern dort gegessen hätte. Und da es in Nalukkettu kein Fleisch gab, war ich über eine solche Abwechslung sehr dankbar. Wir hatten alle von den drei bestellten Gerichten gegessen, und PM und ich hatten keinerlei Beschwerden.)

13

Copyright © 2002-2006 Prem Manasvi. Alle Rechte vorbehalten.
WebDesign & WebHosting: Nalukkettu Consulting
manasvi.de