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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 16/39]

Monsun und Spinneneier und die Sprache der Geckos
Es hatte wieder angefangen zu regnen, Monsunwasser stürzte vom Himmel und hatte an manchen Stellen die Landstraße in einen kleinen See verwandelt. Der unbefestigte Weg, der nach Nalukkettu hinabführte, war total überschwemmt, auch im Haus drohte das Auffangbecken im Innenhof überzulaufen, da der Abfluß verstopft war. PM mußte also ins Wasser und saubermachen. Das war Chefsache. Außerdem war sowieso kein Personal da. Wenn Balan dagewesen wäre, hätte er das wahrscheinlich machen müssen. Seit gestern lief der übrigens, wie viele andere auch, in einem schwarzen Mundu herum, rasierte sich nicht mehr, durfte bestimmte Sachen nicht mehr essen, keinen Sex haben usw., da er am 15. November, wenn die Pilgersaison begann, auf Pilgerreise gehen würde. Die ganze Nacht über hörten wir den Regen herabrauschen.

RR: Vor dem Massageraum entdecke ich eine weiße runde Tablette von ca. eineinhalb Zentimetern Durchmesser. Ich nehme an, dass es sich um ein Mittel gegen die überall vorhandenen Ameisen o.ä. handelt und beachte das Ding nicht weiter. Als AM es sieht, hebt er es auf, und wir erfahren, dass es ein Spinnenei ist. In solch einem Ei, das die Mutter unter dem Bauch trägt, sind ca. hundert bis hundertfünfzig kleine Spinnen. Wenn die Jungen schlüpfen, fangen sie an, ihre Mutter nach und nach bei lebendigem Leibe aufzufressen. Als KB nachfragt, wie groß denn wohl diese Spinne sei und fragend eine Faust macht, grinst AM und nickt. Dann trägt er das Ei vorsichtig in einen unbewohnten Raum und legt es auf den Boden.

In unseren Räumlichkeiten und vor allem im Bad hörte ich hauptsächlich nachts immer wieder eine Art schadenfrohes Keckern und erkundige mich, was das zu bedeuten hat. Ich erfahre, dass es die Sprache der niedlichen Geckos ist, von denen etliche Familien das Haus bevölkern.

Trichur - Silk & Cotton
KB: Inmitten von Staub und Dreck der Palace Road stand der Luxusladen von Kalyan Silk, der äußerlich an ein Parkhaus erinnerte und in dem offensichtlich nur gut betuchte Inder einkaufen konnten. Vor dem breiten Eingangsportal Security. Zwei uniformierte Burschen rissen die Glastüren auf. Im Vestibül ein Empfangskommitee aus jungen Frauen im Sari, die, als sie uns erblickten, erschrocken schienen, dass sie vergessen hatten, den roten Teppich auszurollen. Wir tauschten freundlich grimassierend holpriges Englisch aus und wurden mit dem Fahrstuhl in den zweiten Stock komplimentiert. Das Ambiente erinnerte an Damenoberbekleidungsgeschäfte der späten fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts in der nordhessischen Provinz, wo Frauen wie meine Mutter mit Gnäfrau angeredet wurden.

RR: PM hatte uns gewarnt, dass wir uns nicht wundern sollten, wenn sich alle Verkäuferinnen gleichzeitig um uns bemühen würden. Es ginge ihnen nicht so sehr ums Verkaufen, sie wollten nur einmal Kontakt mit Europäern haben. Die vielen Farben und glitzernden Stoffe fangen an, vor meinen Augen zu schwirren. Zunächst schaue ich mir hauchzarte Seiden-Hemden an, die allerdings auch ihren Preis haben: zwischen vierzig und sechzig Euro. Ich frage nach Cotton. Im Halbminutentakt legen jetzt etliche Verkäuferinnen mir Kombination auf Kombination vor. Kombination bedeutet: eine Hose, ein darüber fallendes Hemd (wahlweise auch in längerer Ausführung), ein Schal - alles farblich aufeinander abgestimmt. KB mischt fleißig mit und sagt mir, welche Farben mir stehen - ich nehme an, damit die ganze Sache schneller geht. Zwei Sachen probiere ich an, die erste kneift unter den Armen - was die Verkäuferinnen gar nicht einsehen wollen, die zweite kaufe ich. Die Hemden sind alle ärmellos, allerdings sind innen kleine Ärmel angeheftet, die frau auf Wunsch annähen lassen kann, was wahrscheinlich jede anständige Inderin tut. Ich hätte auch noch mehr gekauft, will aber KB nicht über Gebühr strapazieren - erst zum Schluss merke ich, dass er grinsend in der Pose eines Paschas, umgeben von jungen Mädels, im Sessel lümmelt und alles sichtlich genießt. Außerdem bricht mir, trotz Klimaanlage, durch die Umzieherei langsam der Schweiß aus, und ich gebe mich erst einmal zufrieden. Mit einem gestempelten Zettel werden wir ins Erdgeschoss geschickt, wo etliche beflissene Kassierer und Packer herumwuseln. Wir zahlen sechshundertfünfzig Rupien (etwa elf Euro) und erhalten nach weiteren Zetteln und Stempeln endlich die erstandenen Kleidungsstücke dezent verpackt ausgehändigt.
KB: Ich hatte, während RR ihre Sachen anprobierte, vor den Umkleidekabinen gesessen und hätte mich, wären nicht die hübschen Verkäuferinnen gewesen, entsetzlich gelangweilt. Alle trugen hellrote, dezent in sich gemusterte Saris und zeigten beim Lächeln wunderbare weiße Zähne. Um hier einen Job zu bekommen, war es bestimmt Vorraussetzung, dass man sich vorher die Zähne hatte richten lassen. Ihre Haut schimmerte in sanften, dunklen Brauntönen, und einige hatten entzückende, halbnegroide Nasen. Mit Hilfe der Nikon ließ sich ein kleiner Altmännerflirt von erster zu dritter Welt bewerkstelligen, doch ganz sicher war ich nie, ob sie mich anlächelten, oder ob sie den alten Touristendeppen auslachten, der in seinen lächerlichen Trecking Shorts und der weißen Haut, die gar nicht zu diesem Klima passte, ergeben vor sich hinschwitzte. Anyway, sie waren scharf darauf, fotografiert zu werden, interessierten sich auch brennend für die Nikon, und als ich ihnen auf dem Monitor die eben gemachten Fotos vorführte, waren sie begeistert. Leider waren dann, als sich alle zu einem Gruppenfoto aufstellen wollten, mit RR und einer Schaufensterpuppe in der Mitte, die Batterien leer.

Allein in Trichur: Sexskandal und Oberhemden. Und eine Rikscha, die auch Polstermöbel transportiert hätte
Auf dem Round, nachdem wir die bunte, etwas angestaubte Fülle des Blumenhändlers Ecke Palace Road bewundert hatten, kam uns mitten auf der Fahrbahn, umtost vom Verkehrslärm eine Demonstration entgegen. Etwa fünfzehn Menschen, darunter eine Frau, trugen ein Transparent, eine weiße Pappfigur, eine rote Fahne mit Hammer und Sichel drauf und reckten kämpferisch die Fäuste in die Luft. Obwohl wir die gerufenen Parolen und das auf Malayalam geschriebene Plakat nicht verstanden, konnten wir uns denken, dass es um die Forderung nach Rücktritt eines Ministers der Staatsregierung ging, der seit Tagen durch die Schlagzeilen von The Hindu und The New Indian Express geisterte, weil er in einen Sexskandal, der inzwischen ein Todesopfer gefordert hatte, verwickelt war.

Da PM, nachdem er uns vor Kalyan Silk abgesetzt hatte, gleich wieder nach Nalukkettu zurück gefahren war, fühlten wir uns wie Kinder, die zum erstenmal ohne Mama und Papa allein unterwegs sind. Nur die fettige Hitze machte uns zu schaffen. Einen kleinen Jungen, der Paisa, Paisa kreischend, neben uns her rannte, konnten wir erst nach dreimaligem Anbrüllen dazu bringen, uns in Ruhe zu lassen. Dem Mann, der dicke, bläulichrot geschwollene Beine (Elefantiasis?) auf die schiefen Steinplatten des Bürgersteigs stellte, warfen wir auch nichts in die Bettelschale. Wir fühlten uns belästigt und hilflos und gar nicht gut und ahnten, dass alles, was wir taten oder nicht taten, falsch war. Deswegen suchten wir nach den beiden staatlichen Läden, die PM uns empfohlen hatte, um, da ich in Frankfurt kaum Klamotten eingepackt hatte, ein paar dem Klima angepaßte Hemden für mich zu kaufen.

Die ersten beiden Läden, in die wir uns reintrauten, verkauften nur Stoffe, aus denen ich mir hätte Hemden schneidern lassen können. Erst im dritten Laden gab es das, was ich suchte. In der langgestreckten, dämmrigen Höhle des Erdgeschosses saßen Verkäufer hinter den Ladentischen und bewachten die vollen Regale. Über eine mit grünem Filz ausgelegte Treppe, in deren Ecken sich der Dreck von hundert Jahren sammelte, ging es in den ersten Stock, wo zwei Verkäufer darauf warteten, mir Hemden zu verkaufen. Eine Dame im Sari saß hinter dem Tresen und schaute gelangweilt aus dem Fenster. Zwei weitere Angestellte waren damit beschäftigt, Kartons auszupacken und den Inhalt, keralisches Kunsthandwerk, in die leeren Regale zu räumen.

Nachdem wir uns mühsam über meine Konfektionsgröße geeinigt hatten, holten die beiden für mich zuständigen Herren, denen unser Besuch das Abenteuer ihres Lebens zu sein schien, Hemd auf Hemd aus dem Regal und wickelten jedes, obwohl es vorerst nur darum ging, Farbe und Dessin auszuwählen, umständlich aus der Klarsichtfolie und breiteten es vor mir aus. Hätte nur gefehlt, dass sie auch noch die zweitausend Nadeln, mit denen die Textilie in Form gehalten wurde, rausgezogen hätten. Doch dazu kam es zum Glück nicht, denn das hätte zu lange gedauert, da für jede Nadel ein anderer Angestellter zuständig gewesen wäre. Nachdem sie verstanden hatten, dass sie die Hemden unausgepackt lassen sollten, weil ich erst eine grobe Vorauswahl treffen wollte, ging es schneller, und sie durften bald zwei Hemden, für die ich mich entschieden hatte, von

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