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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 17/39]

allen, wirklich allen Nadeln befreien, damit ich sie anprobieren konnte. Sie paßten.

Uns lief der Schweiß in kleinen Bächen über Körperstellen, von denen wir gar nicht wußten, dass wir sie hatten. Wir wollten nur noch raus hier. Die klebrige Luft draußen war immer noch besser als diese hundertjährige Textilstaubversion. Man schickte uns die grüngefilzte Treppe hinab ins Erdgeschoß. Dort schafften wir es, den Menschen zu finden, der in der Tauschkette Ware gegen Geld das nächste Glied war. Er saß hinter einem imposanten Tresen und sah ohne Zweifel wie ein Kassierer aus. Wir blickten ihn freundlich an, er blickte wichtig zurück, doch es gab nichts zu kassieren, denn die Ware fehlte. Es dauerte einige Zeit, bis uns einer der Herren von oben die beiden wieder mit allen Nadeln versehenen und in ihren Klarsichthüllen steckenden Hemden überreichte, die wir wortlos dem Kassierer übergeben wollten, damit er endlich kassieren konnte. Der deutete ebenso wortlos zum gegenüberliegenden Counter, wo ein weiterer Clerk begierig darauf wartete, die Ware einzupacken und dem Kassierer durch einen anderen Angestellten einen Zettel reichen zu lassen, auf dem der Preis stand. Der Kassierer kassierte, füllte den Kassenzettel per Hand aus, haute ein halbes Dutzend Stempel auf das graue Papier und reichte uns eine einem wichtigen amtlichen Dokument nicht unähnliche Rechnung in dreifacher Ausfertigung, die wir am gegenüberliegenden Schalter, der nur eine Körperdrehung entfernt war, abgaben. Nachdem auch hier noch einmal die Stempel geknallt hatten, wurde uns endlich mit angedeuteter, feierlicher Verbeugung ein wunderbar verschnürtes Paket überreicht.

In dem Buchladen, den PM uns empfohlen hatte, fragten wir nach Büchern von Anita Desai, doch der Angestellte gab vor, den Namen noch nie gehört zu haben und machte auch nicht den Eindruck, als ob er, selbst wenn er verstanden hätte, was ich wollte, bereit und fähig gewesen wäre, in dem unbeschreiblichen Durcheinander von Büchern und sonstigem Gedruckten danach zu suchen. Als Lärm, Hitze und Gestank uns allmählich die Schädeldecke zu sprengen drohten, retteten wir uns in die klimatisierte Bakery im City Center, das einer Oase in der Wüste glich, wo wir einen süß-klebrigen Chai tranken, der uns wieder auf die Beine brachte. Nachdem wir uns einigermaßen erholt hatten, suchten wir, mit Paketen von Luxusgeschäften behangen, eine Rikscha. Der erste Fahrer lehnte ab, als er hörte, dass wir nach Cherpu wollten, und überließ es einem Kollegen, uns dorthin zu transportieren. Den Fahrpreis, achtzig Rupien, schrieb dieser, auf Nachfrage, in seine Handfläche. Das Gefährt war ein neueres Modell, vielleicht auch nur frisch lackiert, auf jeden Fall klapperte es nicht so entsetzlich wie die anderen, die wir bis jetzt kennengelernt hatten.

Als wir kurz vor Cherpu an den nach vorn offenen Ausstellungshallen vorbeikamen, wo Polstermöbel im Gelsenkirchener bzw. Kerala Barock auf Käufer warteten, verlangsamte unser Rikschafahrer das Tempo und fragte erwartungsvoll You want look? Wir verneinten, wußten aber jetzt, warum er die Fuhre ins weit entfernte Cherpu angenommen oder von seinem Kollegen zugeschanzt bekommen hatte. Die Möbel gehörten bestimmt einem Bruder seines Stiefschwagers! Hätten wir damals schon gewußt, was man mit einer vollbesetzten Rikscha noch alles an totem Gepäck transportieren konnte, hätten wir uns den Spaß gemacht und eine Polstergarnitur gekauft, nur um zu sehen, wie er diese mitsamt uns nach Nalukkettu transportiert hätte. Auf der Hauptstraße in Cherpu angekommen, zeigten wir ihm den Weg nach Nalukkettu, und, nachdem er eine Neunzig in seinen Handteller gemalt hatte, was völlig ok war, setzte er uns dort wohlbehalten ab. Wir waren erschöpft und sehr stolz, ein paar Stunden in dieser unbekannten, exotischen Welt ohne fremde Hilfe überlebt zu haben. PM strahlte und war nicht weniger stolz auf seine Zöglinge.

Im Indian Coffee House in Irinjalakuda
KB: Wir hatten am späten Nachmittag in Irinjalakuda, was wir jetzt fehlerfrei mit der korrekten Betonung auf
der drittletzten Silbe aussprechen konnten, gerade die Dental Clinic verlassen, als wir hastige Schritte hinter uns auf der Treppe hörten und eine dunkelhäutige Frau mittleren Alters uns in fast akzentfreiem Deutsch fragte, ob wir aus Deutschland kämen. Es stellte sich heraus, dass sie seit vier Jahren mit ihrem Mann, einem Deutschen, in Koblenz lebte und gerade zu Besuch in ihrer Heimat Kerala war und sich sehr freute, deutsche Laute zu hören...

PM führte ins in das Indian Coffee House an der Hauptstraße von Irinjalakuda . Dort saßen wir, schlürften den wunderbaren Kaffee, schlabberten Param Puri, was auf Malayalam die Bezeichnung für gebackene Banane war, und aller Dreck, aller Gestank, aller Lärm, alles was unbekannt und bedrohlich war und uns mißmutig machte, war für einen kurzen, langen Augenblick ohne Bedeutung. Seit ein paar Stunden ging ein leichter Monsunregen auf das staubtrockene Land nieder. Die Farben waren mit einem sanften Grauschleier bedeckt, es war ein Regen, der uns vertraut war, weil er so auch auf ein Dorf im Vogelsberg hätte niedergehen können. Wir saßen direkt an der Tür und sahen, wie ein jüngerer Mann einen älteren, der offensichtlich blind war, behutsam an der Hand ins Lokal führte. Die Kellner waren alle in Weiß gekleidet. Zwei von ihnen, offensichtlich die Ranghöchsten trugen eine Art weißen Turban, der mit einem gelbgrün gestreiften Band umwickelt war, in dem ein fächerförmig gefaltetes, steifes Stück Stoff steckte. Das sah sehr pittoresk aus, und als sie merkten, dass wir sie fotografieren wollten, warfen sie sich selbstbewußt in Positur.

Durch die Tür sahen wir wie in einem Film einen Ausschnitt des alltäglichen Lebens auf der Hauptstraße eines größeren Keraladorfes. Da knatterten Rikschas und Motorräder, da heulten Busmotoren auf, da hupte und dröhnte es, dass man sich am Rande des Boulevards einer Weltstadt wähnte. Doch die Menschen inmitten all dieses Wirrwarrs bewegten sich mit gemächlicher Gelassenheit. Standen unter Regenschirmen zusammen und unterhielten sich, oder schauten die Auslagen eines Geschäftes an. Rechts vom Eingang, hatte der Paan-Wallah (Betelverkäufer) seinen fahrbaren Stand aufgestellt, links von ihm stand ein zweirädrigen Karren, auf dem ein Berg Zitronen aufgestapelt war. Ich hatte die Nikon auf dem Tisch positioniert und drückte einfach dann und wann auf den Auslöser. Der sehr freundliche Kellner, ohne Turban, also wohl untere Charge, freute sich, als ich, obwohl ich den Bon am Counter bezahlt hatte, zu ihm kam und ihm eine Rupie Trinkgeld in die Hand drückte. An der Wand hinter dem Bezahltresen hing ein großes Schwarzweißfoto von Ghandi und eines von einem Mann mit dicken Wulstlippen, den wir nicht kannten.

Müll hinterm Hausaltar
Die Masala Dossa, mit Gemüse gefüllte Teigrollen, sollten in diesem Restaurant sehr gut sein. Während wir auf die Dossas warteten, die wir zum Abendessen mit nach Hause nehmen wollten, ließen wir die etwas trübselige Atmosphäre des Gastraums auf uns wirken, wo wir Chai aus Edelstahlbechern tranken. Beim Bezahlen bemerkten wir an der Wand hinter dem Kassenschalter einen bunten, recht großen Hausaltar, neben dem einige überquellende Mülltüten standen, was ein erfrischendes Stilleben ergab.

Lotosblumen
Ich hatte morgens zwischen halb sieben und halb acht einen Spaziergang über das Grundstück gemacht. Der Tag war noch jungfräulich, die Sonne noch nicht über die Palmwipfel gestiegen. Auf den Blättern der Bäume funkelte das Morgenlicht. Im Bambushain knarrte es furchterregend. Ich machte Fotos von den Lotosblumen, deren Blüten bis auf eine noch geschlossen waren. Sie waren, ganz im Gegensatz zu der sie umgebenden üppig und vulgär wuchernden Flora, auf eine strenge, klassische Art schön. Ich erfuhr, dass die Blüten sich erst im Laufe des Vormittags öffneten und bei Einbruch der Dämmerung wieder schlossen.

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