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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 19/39]

wir uns immer wieder, wenn wir in Trichur waren, flüchteten. Als PM kurze Zeit später auftauchte, waren wir mit den beiden jungen Leuten in ein angeregtes Gespräch über Anita Desai vertieft, in dessen Verlauf ich erfuhr, dass in der Cosmo Buchhandlung, an der wir schon öfter vorbeigegangen waren, bestimmt Bücher von ihr zu finden sein würden. Wir schieden als gute Freunde und folgten PM in die Bakery, wo wir Tee tranken und Apfelkuchen und Schokoladentorte aßen. Nachdem PM seine Einkäufe erledigt hatte, machten wir uns auf den Heimweg. Wir merkten uns den Weg zum Busbahnhof, wo die Busse nach Cherpu abgingen, damit wir nicht immer eine Rikscha nehmen mußten. In der staatlichen Schnapsbude, sehr günstig schräg gegenüber der Bus Station gelegen, kauften wir zehn Flaschen Kingfisher Beer und eine Pulle Gin für sechshundertzwölf Rupien. Dafür hätten die Schreiner auf PM’s Grundstück knapp drei Tage arbeiten müssen. Für uns waren es gerade mal zehn Euro.

Begegnung der Dritten Art
Die Luftfeuchtigkeit betrug heute fünfundachtzig Prozent und das Thermometer zeigte zweiunddreißig Grad im Schatten. Ich hatte noch vor dem Frühstück meine gewaschenen Hemden in Sicherheit bringen müssen, denn der Bügelwallah war gekommen und bearbeitete unerbittlich alles, was irgendwo auf einer Leine trocknete, mit seinem riesigen Holzkohlebügeleisen. Als Bügeltisch diente auch hier einer dieser zweirädrigen Universalkarren, die man ziehen oder schieben konnte. Den Nachmittag verbrachten wir auf der hinteren kleinen Terrasse. Auf dem Weg zum Pool, wo wir, Pickel hin Pickel her, eine schnelle Runde schwammen, hatten wir den Bambus-Arbeitern zugeschaut, wie sie die schlanken, doch hohen und gefährlich schwankenden Stämme von allen Ästen, Dornen und Laub befreiten, so dass sie, ganz kahl dann, mit der Machete gefällt werden konnten.

Ehe die Dunkelheit hereinbrach, machten wir einen Spaziergang rund ums Grundstück. Der tropische Abendhimmel war voller gelb und rot verblühender Wolken, die über dem gefächerten Horizont aus Palmwipfeln und hinter einem Gewirr aus schwarzen Stromleitungen vorbeizogen. Als wir aus dem Hinterausgang traten, hörten wir von jenseits der Ecke, die die Grundstücksmauern hier bildeten, so etwas wie Gesang. Wir erwarteten ein paar vom Toddy berauschte, grölende Männer um die Ecke biegen zu sehen, doch es waren nur ein paar Halbwüchsige in schwarzen Mundus und mit seltsamen Kopfbedeckungen. Ein Kind war auch dabei. Sie schlugen eine Trommel und sangen ein dreisilbiges Mantra. Da sie ein ziemliches Tempo draufhatten, wären sie beinahe mit uns zusammengestoßen. Sie schienen ziemlich erschrocken darüber, an einer Wegbiegung im tiefsten ländlichen Kerala völlig unvermutet auf zwei Vertreter einer ihnen fremden Welt zu treffen. Während sie singend vorwärtseilten, drehten sich alle um und sahen mit einem, wie ich in meiner Paranoia meinte, aggressiven Glitzern religiösen Wahns in den Augen hinter uns her. Zum Glück brach auf halbem Wege die Dunkelheit herein und schützte uns davor, weiter wie Halbaffen angeglotzt zu werden.

Ein Tag in Kochi
KB: Nach Kochi waren es ungefähr sechzig Kilometer. Zuerst ging es zehn Kilometer über eine handtuchbreite Straße mit vielen Schlaglöchern. Zu beiden Seiten der Straße reihte sich Hütte an Hütte. Es war nichts anderes als eine langgezogene Dorfstraße, auf der das schon gewohnte exotische Gewimmel herrschte. Auch den Verkehr auf dem ‚Highway’, auf den wir bald kamen, empfanden wir als nicht mehr so chaotisch wie noch vor zehn Tagen. Nach ein paar Kilometern hielten wir vor einem Antiquitätenladen am Straßenrand, wo PM eine seiner Haustüren, eine ehemalige Tempeltür gekauft hatte. Wir machten eine Runde durch das Lager, sahen jedoch zum größten Teil nur Sperrmüll. Auf dem Nachbargrundstück standen unter einem Dach aus Palmblättern Käfige mit Wellensittichen, Kanarienvögeln, Hühnern, Hasen und Truthähnen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite wurde frisch ausgepresster Zuckerrohrsaft verkauft.
Etwa zwanzig Kilometer vor Kochi bekam die Autobahn einen Mittelstreifen und wurde vierspurig. Auf dem Mittelstreifen gingen Großfamilien spazieren. Oder ein zerlumpter Mensch hatte sich zum Schlafen hingelegt. Auch dass Fahrräder und zweirädrige Karren auf dem Highway verkehrten, unterschied ihn von europäischen Autobahnen. Außerdem schien die Weltbank, mit deren Geldern die Straße gebaut worden war, vergessen zu haben, den Leuten zu erklären, wozu Zebrastreifen da waren, die in unregelmäßigen Abständen die Autobahn kreuzten. Denn der bloße Anblick von Fußgängern auf einem Zebrastreifen ließ die meisten motorisierten Verkehrsteilnehmer mit dröhnender Hupe und durchgetretenem Gaspedal auf das potentielle Verkehrshindernis zurasen.

Rechts und links reihte sich eine Vorstadt an die andere. Es waren meistens flache Geschäftsbauten, zwischen denen riesige Reklametafeln standen. Auf einer dieser Tafeln sah man den Papst zusammen mit Mutter Theresa für Goldschmuck werben. Als irgendwann der Verkehr um uns immer dichter wurde, stellten wir fest, dass wir uns bereits auf der Mahatma Gandhi Road in Ernakulam, dem neueren Stadtteil Kochis befanden. Es schien, dass in Indien, abgesehen von ein paar Nachtstunden, immer Rush Hour war.

PM führte uns in ein Hotel, dessen normale Speiseräume gerade renoviert wurden. Deshalb wurden wir im halbdunklen Souterrain abgefüttert. Es gab die landestypische vegetarische Kost mit viel Coconut. Die Kellner, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt waren, uns unaufgefordert ein buntes Breichen nach dem anderen aufs Bananenblatt zu klatschen, starrten wie gebannt durch die Oberlichter auf den Parkplatz, wo aus einem Bus eine europäische Reisegruppe ausgeladen wurde, deren Teilnehmer sie auf ihre Trinkgeldqualitäten hin abtaxierten. Mein Magen war inzwischen so geschrumpft, dass ich kaum etwas von dem Essen anrührte. Die berühmte Handvoll Reis musste reichen. (RR: Ich aß mit gutem Appetit, immerhin gab es hier ca. zehn verschiedene Beilagen, die ich alle probierte - wie gesagt: ich hatte nichts gegen Kokos...)

Eine Brücke führte über die Hafenbucht zu dem auf einer Landzunge im Arabischen Meer gelegenen Stadtteil Mattancherry. Dort befanden wir uns im alten Viertel Kochis, auf historischem Boden. Durch enge, gewundene Gässchen, in denen es sehr orientalisch zuging, arbeiteten wir uns zur Jew Town vor. Dass wir historisches, und damit touristisch verwertbares Gebiet betraten, merkten wir daran, daß wir das Auto für eine Gebühr von fünfzehn Rupien auf einem professionell angelegten Parkplatz, wo schon mehrere Touristenbusse standen, abstellen mußten. Die Touristenabzocke war fest in den Händen geschäftstüchtiger Kaschmiris.

Dass hier immer noch das Zentrum des Gewürzhandels der Malabarküste war, konnte man in den engen, doch freundlichen und sehr sauberen Gassen riechen. Der Duft nach Pfeffer, Kardamom und Chillipulver lag in der Luft. Durch in hellen Farben gestrichene, überdachte Hofeinfahrten blickte man in Hinterhöfe, wo, von üppigem Grün umrankt, Motorräder und zweirädrige Karren standen.

Ein Antiquitätenladen reihte sich an den anderen. Einen der größten, der sich über mehrere ineinander übergehende Hallen erstreckte, die vollgestopft waren mit Kunst und Kitsch, betraten wir. Ein geflügelter Hund aus fotogen verwittertem grauen Sandstein schaute hinab in die Tiefe einer Zisterne. Vor den üppigen Brüsten einer altindischen, bunt bemalten, hölzernen Göttin baumelte ein Schild, auf dem in blauer Schrift No Smoking stand. Inmitten heidnischer Stiermasken hing ein farbiges Christusbild an der Wand, das aus einem niederbayerischen Schlafzimmer des vergangenen Jahrhundert hätte stammen können. Vor hohen Regalen, in denen sich Geschirr und Hausrat der vergangenen Jahrhunderte türmte, standen sogenannte Dowries, große, vom Holzwurm angefressene, hölzerne Aussteuertruhen, in denen einst die Braut ihre Mitgift aufbewahrt hatte.

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