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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 2/39]

parallel zur Straße verlaufenden Bahnlinie fuhr gerade ein Zug. Die Fenster waren vergittert und hatten keine Scheiben. Auf den Trittbrettern und in den offenen Waggontüren standen und saßen Fahrgäste. Das Einzige, was ich hervorbrachte, waren die Worte: Ich glaube, wir sind in einem Film...)

Nalukkettu
KB: Bis zum Mittagessen saßen wir in einer Ecke der großen, in der Mitte nach oben hin offenen Halle und tranken Lassi, eiskalten, mit Wasser verdünnten Joghurt, in dem gehackte Curryblätter und grüne Chillies schwammen. Dezent gesalzen, das ideale Getränk bei der Treibhaushitze. Zum Mittagessen pünktlich um halb Eins gab es mehrere Sorten Gemüse, Reis, Chapatti und lauwarmes Ingwerwasser. Wir aßen mit den Fingern von Bananenblättern. Nach dem Essen verzogen wir uns nach oben ins Bett unters Moskitonetz. Wenn wir die Augen zumachten, raste der Film der vergangenen dreißig Stunden durch den Kopf. Unsere Körper bestanden nur noch aus klebrigem, salzigen Wasser.

Nach etwa drei Stunden krochen wir mit glibbrigen Gedanken im Kopf unterm Moskitonetz hervor und versuchten, uns in der neuen Umgebung zu orientieren und einzurichten. Das große, schwarz und beige geflieste Badezimmer mit zwei Fenstern entsprach in jeder Hinsicht mitteleuropäischen Standards und wurde zum wichtigsten Raum im Haus, denn mehrmals duschen am Tag war überlebensnotwendig. Im mittleren, ebenfalls großen Durchgangs-Raum bewahrten wir unsere Klamotten auf. Eine steile, glatte Holztreppe führte hinab ins Erdgeschoß.
(RR: Bis auf ein Fenster im Bad waren alle Fenster des Hauses unverglast. Gegen größere Eindringlinge waren sie durch gedrechselte Holzstäbe gesichert. Diese traditionelle keralische Bauweise war ideal für die tropischen Temperaturen, denn ein ständiger leichter Luftzug vermittelte immerhin die Illusion von Kühle.)

KB: Im Haus wurde nicht geraucht, und man lief barfuß. Neben dem Dienstboteneingang zur Küche saß in einem runden Käfig Kara der Papagei und gab dann und wann einen schrillen Pfiff von sich oder brabbelte vor sich hin. Neo, den furchterregend aussehenden, verspielten Boxerrüden und seine Gefährtin Bodhi, eine schon etwas ältere, aber nicht weniger verspielte Hundedame von der gleichen Rasse hatten wir schon kennengelernt. Zwischendurch hatte uns PM seinen von hohen, monsungeschwärzten Lateritmauern umgebenen Pool gezeigt, in dem er, in einem Schwimmreifen hängend, herumpaddelte und Blätter und schwarzgrünen Algenschleim mit einem Plastiksieb von der Wasseroberfläche schöpfte. In den Ästen der Bäume turnten graubraune Streifenhörnchen, und über der Wasseroberfläche sahen wir einen handtellergroßen gelbschwarzen Schmetterling.

Um sechs Uhr war es stockdunkel. Nur die Lampen an den Ecken des Hauses schälten ein bißchen grünes Gewucher aus der dunklen Urwaldkulisse, die das Haus umgab, und in deren unbekannter Tiefe es zirpte und fiepte und stöhnte und überhaupt sehr exotisch zuzugehen schien. Um nichts in der Welt, es sei denn in dicken Lederstiefeln, hätten wir den drei Steinstufen unter uns im diffusen Licht der Glühbirne liegenden, bröcklig roten Erdboden betreten, wo wir Schlangen, Skorpione und giftige, fette Spinnen vermuteten. Eine mittelgroße Ratte, die an dem das Haus überragenden Baum emporkletterte und aufs Ziegeldach sprang und spurlos in der Dunkelheit verschwand, wurde als eher ungefährliches Haustier registriert.

Als gegen sieben Uhr der abendliche Monsunregen einsetzte und ein weit entferntes und daher fast lautloses Gewitter den Himmel explodieren ließ und PM uns, festlich gekleidet, vorschlug, ihn auf eine kulturelle Veranstaltung in einen Hindutempel zu begleiten, lehnten wir dankend ab und legten uns um neun Uhr unters Moskitonetz. Auf einem Bett, dessen Lattenrost,
wenn man sich bewegte, Erdbebengeräusche von sich
  gab, fielen wir in einen tiefen, zehnstündigen Schlaf und träumten von über die Große Arabische Wüste fliegenden Spinnen und im eigenen Saft schmorenden Streifenhörnchen.

Frühstück gab es jeden Morgen um halb Neun. Ammeni, die Köchin, stand seit halb Acht in der Küche und kochte, denn in Kerala gab es - wenn man es sich leisten konnte - vier warme Mahlzeiten am Tag. Heute Morgen gab es schwarzen Tee, Reisnudeln und irgendein buntes Gemüse, das so zubereitet war, daß man es mit den Fingern essen konnte. Das war leichter als wir gedacht hatten, eine vorgeschriebene Technik gab es nicht. Jeder entwickelte seine eigene. Wir versuchten tapfer, die „schmutzige“ linke Hand unterm Tisch zu halten, doch wurde diese moslemische und hinduistische Etikette im Haus nicht allzu streng gehandhabt. AM, PM’s indischer Freund und Mitbesitzer des Anwesens und auch PM selbst standen über diesen Konventionen, auch wenn sie sie aus Höflichkeit beachteten.

Bei einem kurzen Orientierungsrundgang durchs Haus und über das Grundstück machte uns PM mit den Menschen, die dort arbeiteten, bekannt. Da gab es neben der Köchin Ammeni eine junge Frau, Arishi, die das Haus sauberhielt und nebenbei Ammeni in der Küche half. Arishi und ihr Mann stammten aus Tamil Nadu und arbeiteten hier als Tagelöhner, um so ihre Kinder und den Rest der in Tamil Nadu nicht weit von der Grenze zu Kerala lebenden Familie zu ernähren. Von Samstag-Nachmittag bis Montag früh fuhren beide nach Hause.

In einem offenen Bretterschuppen arbeiteten die Schreiner, Gobi und Ramesh, die wahre Künstler in ihrem Fach waren. Mein alter Meister wäre entzückt gewesen, wenn er ihnen beim Handhaben von Gestellsäge, Handhobel und Stecheisen hätte zuschauen können. Sie strahlten, als PM ihnen sagte, dass ich auch Schreiner sei. Doch war in der Freundlichkeit eine gehörige Portion Skepsis, denn in ihrer Vorstellung waren wir reiche Müßiggänger, die durch die Welt reisten und anderen Leuten beim Arbeiten zusahen.

Schließlich Shangunichettun, der Steinmetz. Vishnu allein wußte, wie sich sein Name wirklich schrieb, er war wohl nur phonetisch überliefert. Wie alt er war, wußte auch niemand genau. So etwas zwischen fünfundsiebzig und achtzig. Immer wenn er uns sah, strahlte sein zahnloses Gesicht, und er legte mit einer flüchtigen Neigung des Kopfes, so als zitiere er ein in seiner Jugend gültiges Begrüßungsritual, die Hände vor der Brust zusammen. Mit seinen dünnen Beinchen und Ärmchen hätte man eher erwartet, dass er mit Nadel und Faden umginge. Doch bestand seine Arbeit darin, aus grob zugehauenen Lateritblöcken rechteckige Steine von der ungefähren Größe eines Hohlblocksteins zurechtzuhauen. Dieses rötliche, poröse Material vulkanischen Ursprungs war hier in der Gegend reichlich vorhanden und diente hauptsächlich zum Bau von Mauern und Brunneneinfassungen. Seine Werkzeuge waren ein Holzwinkel, ein kleiner Meißel und eine kurzstielige, scharfe Hacke. Damit bearbeitete er die Steine so, dass sie fast fugenlos zusammenpaßten.

Trichur
Die Kulturhauptstadt Keralas lag etwa zehn Kilometer nördlich von Cherpu und war ein Provinzstädtchen mit dem Straßenverkehr einer Metropole. Um die imposante, doch schäbig und ungepflegt wirkende Tempelanlage herum wucherte ein lärmender Basar, der nicht überall gut roch. Auf dem Round, der den Tempel umkreisenden Ringstraße und den sternförmig davon abgehenden kleineren Seitenstraßen, wimmelte es von Motorrädern, Rikschas, Bussen und dunkelhäutigen Menschen, die uns so unbefangen und neugierig anstarrten, dass wir uns wie weiße Neger fühlten. Da wir mit dieser Situation noch nicht umgehen konnten, trugen wir entweder ein festgefrorenes Dauergrinsen im Gesicht, dass uns die Backen wehtaten, oder wir bewegten uns völlig ungeniert wie unter einer Tarnkappe und ignorierten die Menschen um uns herum. Beides war anstrengend.

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