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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 24/39]

zurück am Ufer wurde uns nach einer Weile der Pfad unheimlich. Für eine Dschungelwanderung waren wir nicht ausgerüstet. Wir machten noch einen Abstecher einen Hang hinauf, wo die Spur eines Weges erkennbar war. Doch da nicht zu sehen war, wo er hinführte, gingen wir den Weg, den wir gekommen waren, zurück.

Als wir das Eingangsportal erreichten, fand gerade eine Minidemonstration statt. Rote Fahnen mit Hammer und Sichel wehten um ein Megaphon. Es ging gegen das Projekt eines Staudamms, das einen nachhaltigen Eingriff in das fragile Ökosystem bedeutet hätte. Auf der Weiterfahrt sahen wir den Fluß sich durch tief ins Dschungelgrün eingeschnittene Canyons winden. Am Grunde einer Schlucht, über die eine wacklige Behelfsbrücke führte, sahen wir die Baustelle des Damms. Kurz bevor wir die Schranke eines Kontrollpostens des Forest Department erreichten, mußten wir durchs Schlafzimmer einer Affenfamilie, wo der Affe gerade die Äffin fickte und, sehr ungehalten ob der Störung, abstieg und die ungebetenen Besucher in der Blechkiste mit gebleckten Zähnen wütend anfauchte.

Im Dschungel
Nachdem am Kontrollposten Autonummer und Adresse notiert worden waren, hob sich die Schranke, und wir waren im ‚richtigen’ Dschungel, der sich über etwa sechzig Kilometer bis zur Grenze von Tamil Nadu erstreckte. Dort wären wir wieder zu einem Kontrollposten gekommen, der unsere unbeschadete Ausreise registriert hätte. Mit der beruhigenden Gewißheit, dass das keralische Forest Department, falls wir uns nicht in angemessener Zeit irgendwo zurückmeldeten, etwa weil uns eine Herde wilder Elefanten zertrampelt hätte, einen Suchtrupp losschicken würde, um unsere sterblichen Überreste zu bergen, fuhren wir über den notdürftig asphaltierten Dschungelpfad mitten hinein ins grüne Gewucher.

Der Kopf meldete: Hey, wir sind im Dschungel, aber der Bauch wußte nichts damit anzufangen. Wir versuchten, ein bißchen ehrfürchtige Angst zu empfinden, doch in der rollenden Blechkiste fühlte man sich allzu sicher. Um ein Gefühl des Verlorenseins in der grünen Unendlichkeit zu provozieren, sagte ich mir, dass wir nicht einen Schluck Wasser dabei hatten. Doch wurde die Projektion einer möglichen Katastrophe dadurch erschwert, dass in unregelmäßigen Abständen bunt bemalte LKWs mit fröhlich winkenden, plattnasigen und sehr dunkelhäutigen Menschen auf der Ladefläche uns entgegenkamen oder überholten, was ein Gefühl von echter Dschungeleinsamkeit nicht aufkommen ließ. Außerdem hatten wir bereits drei menschliche Ansiedlungen passiert, wo die Männer vom Volk der Kurumba auf der Dorfstraße, im Schatten eines wellblechgedeckten Schuppens mit dem Christenkreuz drauf, herumstanden, Chai tranken und nichts mit sich anzufangen wußten. Die Tribals wurden von der Regierung mit kostenlosem Reis versorgt und verdienten sich durch das Sammeln von Kräutern und Brennholz, das sie auf den Märkten der umliegenden Ortschaften verkauften, ein wenig dazu.

Auf einer nicht sehr breiten Brücke mit rostigem Eisengeländer überquerten wir einen Fluß, dessen Ufer von gefräßigem Grünzeug überwuchert waren. Manchmal war das Unterholz ziemlich dicht und verlor sich bis in tiefe Abgründe, in die steile Granitfelsen hinabstürzten, manchmal war es licht und erlaubte Einblicke in Räume, wo Leben war, das uns fremd bleiben würde. Als einziges Tier sahen wir einen wilden roten Hahn über die Straße eilen. Wo der Fluß eine Schleife beschrieb und sich mit sanft abfallendem, sandigen Ufer als Tiertränke anbot, deutete zerfetztes Bambusgestrüpp am Straßenrand sowie trockener Elefantenkot auf das virtuelle Vorhandensein wilder Elefanten hin.
Ein paar hundert Meter weiter öffnete sich die Vegetation auf ein breites Seepanorama. Wir stiegen aus und kletterten die paar Schritte zum Ufer hinab, wo herumliegende Picknickabfälle darauf hinwiesen, dass wir nicht die ersten waren, die die Postkartenidylle bewunderten, wo sich das nahe Grün der Ufervegetation, das ferne Blau der Berge und der Himmel mit grauweißen Wolkenschlieren im Wasser spiegelten. Kein Geräusch der Neuzeit störte die Ruhe, die über dieser Urheimat des Menschen lag. Als ein mit drei dunkelhäutigen Männern besetzter Einbaum hinter einer Landzunge hervor lautlos in den See glitt, konnten wir uns nicht länger des Eindrucks erwehren, dass PM das Ganze mit Hilfe des Kerala Tourist Department für uns arrangiert hatte.

Der junge Mann, den wir schon auf der Hinfahrt bemerkt hatten und der uns mit unbewegtem, und wie ich meinte, feindseligem Gesichtsausdruck nachgestarrt hatte, saß auf der Rückfahrt immer noch auf der niedrigen Mauer der Veranda eines noch nicht fertigen Hauses, das der Dschungel schon wieder zu überwuchern drohte und lachte übers ganze Gesicht, als er unser Auto wiedererkannte.

Hinter einer Kurve entdeckte RR, als sie zufällig aus dem Fenster nach oben sah, über uns in den Bäumen am Straßenrand zwei schwarze Affen mit hellen Haaren. PM hielt sofort das Auto an. Wir stiegen, ohne nach Möglichkeit ein Geräusch zu machen, aus und sahen zwei große Affen wie dunkle Schatten im lichten Grün der Blätter herumturnen. Es waren Lion tailed Makakus mit einem silbergrauen Haarkranz um den Kopf, die man nur noch selten zu Gesicht bekam und die vom Aussterben bedroht waren, da der Mensch ihren Lebensraum immer mehr reduzierte. Ich konnte gerade noch ein Foto machen, dann schwangen sie sich, ein Blätterrauschen und wiegende Zweige zurücklassend, in die Wipfel der nächsten Bäume und waren unseren Blicken entschwunden.

Nicht weit entfernt vom Ausgang standen sich am Straßenrand zwei mit Palmblättern und blauer Plastikfolie gegen den Monsunregen geschützte Bretterhütten gegenüber. Auf dem hölzernen Tresen, der die mit rostigem Wellblech bedeckte Veranda umgab, waren bunte Hemden, Strohhüte und Süßigkeiten gestapelt. Neben dem Eingang zur Hütte, die Tageslicht nur durch die Tür empfing, stapelten sich Getränkekisten. Die alterslose Frau hinter der wackligen Theke füllte uns mit mißmutigem Gesicht drei Gläser mit Chai. Dann bediente sie einen Einheimischen, der am Tresen im Inneren der Hütte stand. Er trank ebenfalls Chai und kaufte ein Fladenbrot.
(RR: Die Teegläser waren in einem Zustand, der mich alle indischen Heiligen bitten ließ, mich vor Herpes und Schlimmerem zu bewahren. Allerdings wusste ich mittlerweile, dass ein indischer Chai alle ermatteten Lebensgeister wieder erweckt, was auch dieses Mal der Fall war.)

Um die Verkaufstheke der Hütte auf der anderen Straßenseite lümmelten die zahlreichen Mitglieder einer relativ hellhäutigen indischen Großfamilie. Sie sahen aus, als seien sie gerade einem drittklassigen Bollywood-Film entstiegen. Die Frauen trugen seidene Saris und waren mit schweren Goldklunkern behängt, die Männer steckten in westlich geschnittenen Hosen und pinkfarbenen Hemden mit einer Andeutung von Rüschen am Halsausschnitt. Zwei der Männer trugen eine schlecht sitzende, schwarze Perücke auf dem Kopf. Alle machten einen wohlgenährten Eindruck und schwitzten eine unangenehme, fettige Fröhlichkeit aus. Auch der ziemlich neue, schwere Mercedes, der nicht weit von ihnen geparkt war, deutete darauf hin, dass wir es mit Angehörigen der oberen Mittelschicht zu tun hatten, denen es noch Spaß machte öffentlich vorzuführen, dass sie es zu was gebracht hatten.

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