Ehe wir weiterfuhren, kaufte ich fünf Päckchen Zigaretten, was die alte Frau, nachdem sie verstanden hatte, dass ich nicht fünf einzelne Zigaretten wollte, in helle Aufregung versetzte und sogar die Andeutung eines Lächelns auf ihr Gesicht zauberte.
Die Fähre
Der Tag begann sich zu neigen, und wir hielten nach dem Hinweisschild zur Fähre Ausschau, das wir auf dem Hinweg gesehen hatten, konnten es aber nicht entdecken. Schließlich fragten wir einen Einheimischen. Der sagte: ungefähr drei Kilometer in Fahrtrichtung. Mit der Fähre würden wir fünfzehn Kilometer sparen. Nachdem wir fünf Kilometer gefahren waren und nichts gefunden hatten, fragten wir wieder einen Einheimischen. Der schickte uns zehn Kilometer in die entgegengesetzte Richtung und meinte, mit der Fähre wäre der Weg nach Cherpu fünfundzwanzig Kilometer länger. Wir fuhren also wieder zurück und stellten fest, nachdem wir den Zugang zur Fähre endlich gefunden hatten, dass wir an der Stelle, wo uns der zuerst befragte Ortskundige drei Kilometer in Fahrtrichtung weitergeschickt hatte, nur hätten wenden und ein paar hundert Meter zurückfahren müssen...
Die Fähre hatte gerade abgelegt und überquerte den grünbraunen Fluß an einer Stelle, die an eine Flußlandschaft des 19. Jahrhunderts erinnerte, wie man sie von alten Bildern kannte. Man hätte glatt Lyrik absondern können. Das Gefährt selbst, auf das wir das Auto schließlich fuhren, zeugte von dem genialen indischen Improvisationstalent und wäre in Deutschland von mindestens einem Dutzend verschiedener Behörden verboten worden. Zwei etwa einen Meter auseinander liegende, breite hölzerne Kähne hatte man mit gut fünf Meter langen Holzbrettern verbunden, was einen katamaranähnlichen Ponton mit wackligem Geländer ergab, auf dem bequem ein Auto, mehrere Fahrräder und Fußgänger Platz fanden. Angetrieben wurde das Gerät von einem asthmatischen Außenbordmotor, der uns für insgesamt dreißig Rupien leider viel zu schnell ans andere Ufer übersetzte.
In der schnell hereinbrechenden kurzen Dämmerung fuhren wir durch eine immer noch ziemlich dünn besiedelte Landschaft, vorbei an Gummibaumplantagen, über die ein tropischer Sonnenuntergangshimmel alle Farben des Regenbogens ausgoß. Nachdem wir einen letzten Kontrollposten des Forest Department passiert hatten, wurde die Besiedlung dichter, je näher wir dem Highway kamen. Sobald es dunkel war, brannte in den ansonsten völlig unbeleuchteten Ortschaften im Eingangsbereich eines jeden Hauses, das von Hindus bewohnt war, eine Öllampe, die den Göttern zeigen sollte, dass sie in diesem Haus willkommen waren. Den Highway erreichten wir bei Chalakkudy, wo wir in der gediegenen, westlich keimfreien Atmosphäre des Royal Palace Hotel mit großem Genuß Garlic Chicken aßen.
Der Verkehr auf dem Highway bei Dunkelheit war wieder atemberaubend, und mir fiel ein, dass ich morgens im Indian Express gelesen hatte, dass es im Jahr 2002 allein im kleinen Bezirk Trichur bei Verkehrsunfällen zweihundertachtundneunzig Tote gegeben hatte. Im Jahre 2003 waren es dreihundertsechzehn gewesen...
Streiktag
Zum zweiten Frühstück brachte uns AM eine Bierflasche voll Toddy, den er gerade frisch von einem Toddymaker, den er persönlich kannte, geholt hatte. Der Palmwein sah aus wie Federweißer und schmeckte auch so ähnlich. Ungekühlt und auf fast nüchternen Magen getrunken, war das Zeug allerdings gewöhnungsbedürftig. Doch wäre AM beleidigt gewesen, hätten wir die Flasche nicht leer gemacht. Eine zweite Flasche stellte er in den Kühlschrank.
Heute wurde gestreikt wegen der Verhaftung eines Hindu-Häuptlings, der bis hin zum Mord in kriminelle |
Machenschaften verwickelt sein sollte, was seine Anhänger natürlich bestritten. Seine Stellung, erklärte uns AM, entspreche in etwa der des Papstes bei den Katholiken. Man stelle sich vor, der Papst in Untersuchungshaft! Der Streik erstreckte sich zwar nur auf den öffentlichen und privaten Verkehr, erreichte dadurch aber fast die Ausmaße eines Generalstreiks. Privatautos, Rikschas und Busse durften nicht fahren. Streikbrecher wurden von fanatischen Hindus mit Steinen beworfen. Franko konnte nicht zur Arbeit nach Kochi gelangen, Schulen und Universitäten machten dicht, fast alle Geschäfte waren zu. Wer es wagte, die Rolläden oben zu lassen, konnte damit rechnen, dass ihm die Scheiben eingeschmissen wurden. Wir waren also nicht mobil und verbrachten einen Ruhetag in Nalukkettu.
RR: Wir baten AM um eine „botanische Führung“ durch den privaten Dschungel auf dem Grundstück. Den größten Teil der Blumen, Sträucher und Bäume hatte er eigenhändig gepflanzt. Meistens war über uns ein dichtes, grünes Blätterdach; wir kämpften uns durch Sträucher, und nach zehn Minuten waren wir schweißnass und dicke Tropfen perlten von der Stirn. Sehr befriedigt sah ich, dass es auch AM nicht viel besser ging. Nur die Mücken, die wir aus ihrem Tagesschlummer aufstörten, stürzten sich hauptsächlich auf mich. Als AM anfing, etliche Steine umzudrehen, um uns einen Skorpion zu zeigen, blieben KB und ich in respektvoller Entfernung stehen. Wir trugen alle nur Wasserlatschen und baten ihn, doch bitte vorsichtig zu sein. Zum Glück war der Skorpion nicht zu Hause. Nach anderthalb Stunden waren wir fix und fertig und reif für die Dusche.
Monsun
KB: Im Laufe des Nachmittags setzte ein heftiger Regen ein. Es war der vom Golf von Bengalen kommende, für die Ostküste des Landes wichtige Nordost-Monsun, der dem benachbarten Tamil Nadu den ersehnten Regen brachte und Kerala, nachdem er die Western Ghats überquert hatte, nur in abgeschwächter Form erreichte. Trotzdem verwandelte er die Wege des Grundstücks innerhalb kurzer Zeit in kleine, schlammige Bäche.
Abends saßen wir auf der hinteren Terrasse, lauschten dem gleichmäßigen Rauschen des Regens und leerten mit Frankos Hilfe, der uns zeitweilig Gesellschaft leistete, die zweite Flasche Toddy, der jetzt viel herber schmeckte und auch mehr Alkohol entwickelt hatte.
Im Inneren des Hauses stürzten die Wassermassen von den vier geschindelten Dachschrägen in den offenen Innenhof, der eine Art Auffangbecken war und verwandelten ihn für kurze Zeit, da der Abfluß wieder verstopft war, in einen Pool, in dem PM kniete und versuchte, den Wasserablauf zu säubern, was ihm nach einiger Zeit auch gelang. Der Wasserspiegel senkte sich allmählich, und das Wasser verteilte sich durch ein unterirdisches Röhrensystem auf die verschiedenen Brunnen, die es auf dem Grundstück gab. Trotz des vielen Wassers war von einer Abkühlung nichts zu spüren, zur Hitze war jetzt lediglich noch mehr Feuchtigkeit gekommen. Man konnte fast zusehen, wie die Welt schimmelte und hören, wie die Pflanzen in dem künstlichen Urwald ums Haus das Wasser in gieriges Grün verwandelten. Es war die Zeit, wo Scheiße und tote Ratten aus den offenen Abwasserkanälen auf die Straßen geschwemmt wurden und die Kobras aus ihren Löchern kamen. Seit man Enten, Gänse und Hühner abgeschafft hatte, gab es allerdings laut PM keine Schlangen mehr auf dem Grundstück. Auch die Kobra, die manche keralischen Bauern als Haustier betrachteten und als Gottheit verehrten, war dank der beiden Hunde verschwunden. Was wir erleichtert zur Kenntnis nahmen und den kleinen Schauer registrierten, der uns über den Rücken lief. Denn auch wenn die meisten indischen Schlangen ungiftig waren, wurden angeblich immer noch jedes Jahr an die zehntausend |