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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 26/39]

Menschen in Indien von der giftigen Minderheit getötet.

Obwohl wir einen halben Meter über dem Erdboden auf glänzend roten Steinfliesen im Trocknen saßen, waren wir genau so naß, als wenn wir im Regen gestanden hätten. Mein Traumklima war das nicht. Ich sehnte mich heimlich nach einem kühlen Herbstmorgen in Mitteleuropa...

Good Morning, The Tickets Please
Die Zeitungen meldeten, daß der Streiktag weitgehend ruhig verlaufen war. Ein paar Streikbrechern waren die Reifen ihrer Autos zerstochen worden, und die Polizei hatte einen Bus davor beschützen müssen, von fanatischen Hindus mit Steinen bombardiert zu werden. Im Bus nach Irinjalakuda hatte mir zu meinem großen Erstaunen der Schaffner, nachdem ich bezahlt hatte, zwei Tickets ausgehändigt. Beim nächsten Halt stieg ein unbestechlich dreinblickender Mensch in Zivil zu, der sich als Kontrolleur entpuppte. Good Morning the Tickets Please... PM meinte, dass Fahrer und Schaffner genau wüßten, wann sie kontrolliert würden, denn die Kontrolle gelte weniger den Passagieren, als den Schaffnern. Und die hätten ein Warnsystem, mit dem sie sich untereinander verständigten, wenn Gefahr drohte, so dass eine wirklich überraschende Kontrolle sehr unwahrscheinlich sei. Deswegen, meinte PM, bräuchten wir uns keine Sorgen zu machen, dass wir kontrolliert würden, wenn wir keine Fahrscheine erhielten. In der Tat, wir wurden in der Folge nie wieder kontrolliert und erhielten auch nur sehr selten einen Fahrschein.

Die Elefanten-Manufaktur in Cherpu
In Wasserlatschen machten wir uns am späten Nachmittag auf den Weg nach Cherpu, wo wir die an der Hauptstraße liegende Manufaktur, in der Holzelefanten hergestellt wurden, besichtigen wollten. Die Cherpu Carpenter Cooperative bestand aus einer großen offenen Halle, in der die Stämme gesägt und so zugeschnitten wurden, dass sie weiterverarbeitet werden konnten. Zuvor waren sie von einem lebendigen Exemplar der Gattung Elefant vom Holzlagerplatz zu einer Vorrichtung getragen worden, die einer Laufschiene ähnelte, auf der vermittels Schwungrädern und Gegengewichten die Stämme zur Säge befördert wurden.

Heute schien der Betrieb etwas zu stocken, denn der Herr Elefant hatte keine Lust zu arbeiten. Autistisch schaukelte er seinen mächtigen Körper, ganz am Rande des Holzplatzes stehend, hin und her und zerrte an der Kette. Seine sonst eher freundlich gutmütigen Äuglein blickten heute boshaft und tückisch. Die Arbeiter an den Sägen standen in respektvoller Entfernung im Schutz des massiv gemauerten Gebäudes und beobachteten, was der Elefantenbulle trieb. Als ich wegen eines Fotos ein bißchen näher an ihn ran wollte, wurde ich energisch zurückgewunken. Leider sprach niemand Englisch, und so konnten wir nur vermuten, dass das Tier entweder krank war oder brünstig; dann, das hatten wir gehört, sollten Elefanten unberechenbar und gefährlich sein. Es war vorgekommen, dass sie in solchen Situationen auch ihren vertrauten Mahout zu Tode getrampelt hatten.

Am Rande der Halle wurden die Konturen eines fast mannshohen Elefanten aus einem Stück Holz mit der Axt herausgeschlagen. In der Halle selbst wurde die grob zugehauene Form von einem anderen Mann dann weiter bearbeitet. Weitere fünf oder sechs Arbeiter saßen mit hochgeschürztem Mundu im Schneidersitz auf Bergen von Holzspänen, hielten verschieden große Werkstücke mit den Füßen fest und holten mit Holzhammer und feinem Stechbeitel die Form, die sie zuvor mit einer Pappschablone angerissen hatten, aus dem Material heraus.

Auch hier sprach niemand Englisch, nur ein älterer Arbeiter lächelte uns freundlich an und sagte Welcome. In der Halle, die außer von dem geringen Tageslicht nur durch zwei von der Decke herabhängende Glühbirnen erhellt wurde, herrschte Brutkastentemperatur. Doch es roch angenehm nach frischem Holz und Leim und Holzlack. So oder so ähnlich mochte es in europäischen Manufakturen lange vor der industriellen Revolution ausgesehen haben. Die Atmosphäre war gut. Es wurde fleißig aber ohne Hektik gearbeitet. Keine Maschine bestimmte das Arbeitstempo.

Leider sprach auch im Verkaufsraum, wo sich in einer Ecke das Büro befand, niemand Englisch. Wir hätten gern erfahren, was die geschickten Hände hier verdienten, wieviele Elefanten man am Tag herstellte usw. Zwei Frauen und ein Mann hielten sich in dem Verkaufsraum auf. Die eine Frau stellte einen sitzenden (!) Elefanten vor uns auf den Tresen. In den Regalen standen neben den Elefanten auch Löwen, Nashörner sowie ein Elch (!). Alle waren dick mit Staub bedeckt. Auffallend war, dass die in Kerala hergestellten Elefanten traurig den Rüssel hängen ließen. Offensichtlich hatte es sich noch nicht
herumgesprochen, dass in Europa hauptsächlichElefanten mit fröhlich erhobenem Rüssel als Glücksbringer begehrt waren.

Auf dem Heimweg hatte der Regen sich in weißen Wasserdampf verwandelt, der in dunstigen Schwaden aus dem Erdboden aufstieg und auch den künstlichen Urwald auf dem Grundstück wie ein geheimnisvolles Stück Urnatur aussehen ließ.

Morning has broken...
Um sechs Uhr morgens war ich aufgestanden. Die Lärmbeschallung aus dem Tempel störte mich inzwischen nicht mehr. Sie gehörte zum Erwachen der Natur wie die dramatisch sich zuspitzenden Schreie des unbekannten Vogels und das Krähen der Hähne. Zehn Minuten später war es hell, und ich nahm den Korbstuhl und stellte ihn von der Terrasse ins Freie. Jetzt hatte ich endlich ein Stück freien Himmel über mir, in den nur die gefächerten Blätter der Palmkronen hineinragten. Ein Glücksgefühl flatterte um den Solarplexus. Es war die Zeit am Morgen, wo die Moskitos noch in dichten Wolken umherschwirrten. Etliche ließen sich auf meinen nackten Beinen nieder. Sie waren so vollgefressen und träge, dass ich sie mühelos klatschen konnte. Ab halb acht mischte sich von der fernen Landstraße gedämpfter Verkehrslärm ins Vogelgezwitscher, und der Tag begann. Um acht Uhr kamen Ammeni und Arishi und begannen ihr Tagwerk. Ich saß ihnen im Wege. Außerdem war die Sonne über den Dachfirst gestiegen, und es wurde zu heiß unter dem weißblau lodernden Himmel.

Hundefutter und Juwelen
Nach dem Frühstück begleiteten wir PM zur Kerala Agricultural University, die auf einem am Rande von Tichur gelegenen parkähnlichen Gelände zu Hause war, wo er in der Abteilung für Veterinary and Animal Sciences Hundefutter kaufte. Hier wurde unter hygienischen Bedingungen, die denen in Mitteleuropa glichen, geschlachtet und auch Fleisch an Endverbraucher verkauft. PM kaufte für die Hunde Leber und Knochen gemischt für zwanzig Rupien das Kilo. Ein Kilo Rindfleisch kostete sechzig, ein Kilo Schweinefleisch achtzig Rupien. Ein kleiner, smarter Typ kam auf uns zu, den PM als Professor Soundso vorstellte. Der versuchte, mit einem Redeschwall und lebhaft mit den Armen gestikulierend, PM davon zu überzeugen, die Hunde doch mit reinem Beef zu füttern. Mit unserer Unterstützung gab PM ihm zu verstehen, dass wir, solange es Menschen gab, die nur ein paar Kilometer von hier verhungerten, nicht nachvollziehen konnten, was daran so toll sein sollte, seinen Hund mit reinem Beef zu füttern. Was er mit einem halb verständnislosen, halb belustigten Achselzucken quittierte. Für ihn war Beef an die Hunde verfüttern ein reines Statussymbol, das sich ein reicher Ausländer leisten konnte und sollte. Tat er das nicht, so war er in den Augen des Profs ein Snob. So zumindest interpretierte es PM.

Ehe wir weiterfuhren, gingen wir zu einem von Gewächshäusern und Versuchspflanzungen umgebenen kleinen Platz, auf dem sich um den offenen Kiosk eines Indian Coffee House eine Handvoll kreisrunder Pavillons gruppierte, die von einem wadenhohen Mäuerchen eingefaßt waren und unter deren mit Bambusgras gedeckten, kegelförmigen Dächern ein gemauerter Tisch mit runder Steinplatte und ein paar Plastikstühle standen. An einer blechernen Kinderrutsche lehnte ein typischer Keralabesen, bestehend aus einem Bambusgriff und langen, gefächerten Gräsern. Daneben stand eine weiße Schaufel. Allein der Anblick von Besen und Schaufel bewirkte, daß die angenehm cleane, akademisch kühle Atmosphäre die Hitze in den Hintergrund des Bewusstseins treten ließ. Wir tranken einen sehr guten Kaffee und hätten es wunderbar gefunden, wenn es solche Ruhepunkte überall gegeben hätte. Erst mit extremer Sauberkeit gepaart, die wir im gemäßigten Klima Mitteleuropas als pathologisch empfunden hätten, wurde das hiesige Klima erträglich.

In Trichur führte uns PM in die heiligen Hallen des teuersten Juweliers der Stadt. Das Preisniveau entsprach ungefähr dem von Uhren Christ an der Frankfurter Hauptwache. Viel Glas, viel Gespiegele, edle Hölzer. An Decken und Wänden pompöse, grellbunte Malereien, deren Themen einer populären Version der indischen Mythologie entnommen schienen. So hatte eine junge Dame die Seile ihrer Schaukel am Regenbogen befestigt und schaukelte schleierumweht ihre nackten Titten über einer Traumlandschaft. Wären nicht die in einer Reihe hinter den gläsernen Verkaufsvitrinen angetretenen Verkäufer gewesen, die aussahen wie Kellner eines Fünf-Sterne-Hotels, hätten wir gedacht, uns in der Vorhalle eines Raja-Palastes zu befinden. Da hier nur Goldschmuck und edle Steine verkauft wurden, wir aber Silber und nicht so edle Steine wollten, waren wir, nachdem RR so getan hatte, als ob sie an einigen Sachen interessiert wäre, schnell wieder draußen, wo wir uns von PM trennten.

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