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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 28/39]

Der Ausblick auf das dicht besiedelte Land unter uns war von eigenartiger Schönheit. Man sah im Osten die Kammlinie der Western Ghats aus dem Rauch der Herdfeuer, die die Ebene mit einem milchigen Dunst bedeckten, herausragen. Die Wasserflächen der Reisfelder, in denen die untergehende Sonne badete, waren wie riesige Spiegel übers Land verstreut. Bei einer Temperatur um die dreißig Grad war der überall aus den Palmenhainen aufsteigende Rauch der Holzfeuer, auf denen gekocht wurde, etwas, was diese Landschaft von jeglicher europäischen Sommerlandschaft unterschied und ihr einen besonderen Reiz verlieh. Hier oben roch man den über dem ganzen Land liegenden rauchig öligen Duft nach verbranntem Gummibaum, mit dessen Holz die Kochstellen überwiegend beheizt wurden und der den Kokosölgestank, der die Niederungen dominierte, angenehm überdeckte.

Chai und Frust und Tod eines Politikers
KB: Wenn ich gegen sechs Uhr morgens aufgestanden war, ging ich als erstes in die Küche, aß einen von Ameni am Tag vorher frisch zubereiteten Joghurt mit Weizenkleie, dann setzte ich mich unter den um diese Zeit noch sanften Morgenhimmel und blätterte den THE HINDU und den THE NEW INDIAN EXPRESS durch oder schaute einfach in die Welt, die mich mit einer fast schmerzhaften Üppigkeit umgab. Gegen sieben Uhr holte ich mir einen Chai aus der Küche, den PM jeden Morgen nach der Massage in einer aufwendigen, rituellen Zeremonie zubereitete. In Europa konnte ich Tee mit Milch und Zucker nicht ausstehen, hier schmeckte er süchtigmachend, und ein Tagesbeginn ohne einen Edelstahlbecher voll süß klebrigen Chai war nicht denkbar. RR’s Morgentoilette ging noch mal so schnell, nachdem ich ihr das süß duftende, dampfende Gebräu die steile Treppe, ohne einen Tropfen zu verschütten, hochbalanciert und vor den Badezimmerspiegel gestellt hatte.

Im City Center in Trichur kaufte ich in einer Edelboutique für fünfhundert Rupien ein Paar handgearbeitete Schuhe, die ich, wie mir erst in Frankfurt auffiel, höchstens beim Mitmarschieren in der Christopher Street Day Parade hätte tragen können. Da ich aus dem Alter raus war, würde ich sie als skurriles Souvenir an die Wand nageln. RR leistete sich auch ein Paar Schuhe und einen grünen Seidenschal. Das waren eindeutige Frustkäufe, zu denen wir bei gemäßigtem Klima durchaus nicht neigten.

In der Bakery gab es weder Tea noch Coffee, alle Maschinen waren kaputt. Aus Prestigegründen hatte man sich teure westliche Fabrikate aufschwatzen lassen, für die es hier weder Ersatzteile noch Techniker gab, die sie hätten reparieren können. Saft gab es ebenfalls keinen. Only Milk Shakes. RR nahm einen Schoko Mix mit Apfelkuchen, ich aß einen halben Chicken Burger. Einen ganzen schaffte ich nicht, da mein Magen wegen der Reisdiät ziemlich geschrumpft war. Doch ich hatte wenigstens einen anderen Geschmack im Mund und eine andere Konsistenz zwischen den Zähnen, und der Magen fühlte sich etwas gefüllt an.
(RR: In der Bakery spricht mich eine ca.fünfzigjährige Inderin in astreinem Deutsch an. Ob ich aus Deutschland käme? Es stellt sich heraus, dass sie ein halbes Jahr in Bad Honnef und ein halbes Jahr in Indien lebt. Beim Hinausgehen sagt sie: Viel Spaß noch! Alles Gute!)

Abends berichtete BBC World News vom Tode Arafats in Paris. AM war sehr traurig, denn Arafat war auch für Kerala, als einem Teil der Dritten Welt, eine wichtige Figur, ein Hoffnungsträger gewesen.


Mit dem Bus nach Kodungaloor
Für die fünfundzwanzig Kilometer brauchte der Fahrer trotz sportlichster Fahrweise eine Stunde. Der Spaß
kostete für uns beide vierundzwanzig Rupien, ca. zweiundvierzig Cent.
(RR: Alle Plätze im Bus sind besetzt. Auf der Sitzbank gleich neben der Tür rücken zwei Frauen zusammen und machen zwanzig Zentimeter Platz für mich. Ich gucke zweifelnd, da die Bank gerade Platz für zwei sehr schmale Frauen bietet. Trotzdem quetsche ich mich, freundlich lächelnd, dazu. Rechts drückt schmerzhaft ein Metallteil des Sitzes in meinen Oberschenkel. Gerade als ich wieder aufstehen will, weil ich es nicht mehr aushalte, wird hinter mir ein Platz frei, auf den ich mich setze. Ich beuge mich vor und sage Nanni (danke) zu den beiden Frauen. Sie lachen.)

KB: Kodungalloor schien etwas größer als Irinjalakuda zu sein. Es hatte eine glanzvolle historische Vergangenheit, von der heute leider nichts mehr zu sehen war. Man hatte römische Münzen gefunden, einen römischen Tempel sollte es gegeben haben, der Römer Plinius, der diese Gegend im ersten Jahrhundert n.Ch. bereiste, hatte vom wichtigsten Handelszentrum Indiens gesprochen. Der Hafen war tatsächlich bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, als er wegen einer Überschwemmung versandete, der wichtigste Hafen der Malabarküste gewesen. Kochi hatte seine Nachfolge angetreten, da sein Naturhafen leichter auszubauen gewesen war.

Nachdem er einen breiten Wasserarm mit palmenbestandenen Ufern überquert hatte, fuhr der Bus durch eine von Leben wimmelnde Basarstraße fast im Schrittempo bis zum Busbahnhof. Dort sortierten wir unsere von der Fahrt durchrüttelten Gliedmaßen und gingen auf gut Glück in irgendeine Richtung. Wir hatten gelesen, dass die Stadt auf einer Art Insel lag zwischen Arabischem Meer und den Backwaters. Die Luft war heiß und klebrig. Jeder Schritt kostete eine Menge Energie.

Als die eingeschlagene Richtung sich als unergiebig erwies, die breite, sehr belebte Straße schien aus der Stadt hinaus zu führen, gingen wir in die entgegengesetzte Richtung. Irgendwelche Hinweisschilder gab es natürlich nicht, die uns verraten hätten, wo es etwa zum Zentrum oder zum Meer ginge. Um nicht nur von unserem Instinkt abhängig zu sein, betraten wir, in der Annahme, dass man dort Englisch verstehen würde, einen Juwelierladen, und in der Tat, man beschrieb uns den Weg ins Zentrum. Da würden wir automatisch nach ein paar hundert Metern am Tourist Office vorbeikommen. Man schrieb uns freundlicherweise die Abkürzung KTDC für Kerala Tourist Development Corporation auf einen Zettel, und wir trabten los. Immer Ausschau haltend nach diesen vier Großbuchstaben. Irgendwann, als wir mindestens zwei Kilometer gelaufen waren, wurde uns klar, dass wir dieses Office nie oder wenn, dann nur durch einen verrückten Zufall finden würden. Außerdem wußten wir sowieso nicht mehr, was wir dort fragen wollten. Mittlerweile waren wir in der Nähe eines Tempels angelangt.

Der Kurumba Bhagavati-Tempel lag auf einem ausgedehnten Gelände mitten im Herzen des Städtchens. Ein breiter, staubiger Weg führte an schwarzweiß gefleckten, an der schimmligen Tempelmauer weidenden Ziegen vorbei zu einem Seitentor. Linkerhand der Tempelteich, auf dem in Ufernähe Seerosen und Lotosblüten schwammen. Einige Pilger waren dabei, die rituellen Waschungen vorzunehmen. Ein Mann war damit beschäftigt, seine Gummilatschen zu säubern, dann wusch er sich selbst. Das Tor zum Vorhof des Heiligtums war weit geöffnet, und es schien, dass sich niemand daran gestört hätte, wenn wir weitergegangen wären. Ein junger Mann im Mundu gab uns sogar durch Gesten zu verstehen, dass wir ruhig näherkommen sollten.

Gleich hinter dem Eingangstor hatte vor einem gemauerten Gebäude, das wie eine öffentliche Toilette

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