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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 34/39]

In dem nächsten Etablissement, das wir in einer Seitenstraße fanden und von dem PM behauptete, dort könne man bedenkenlos das angebotene ‚Meal’ essen, wagte ich nicht mir vorzustellen, wie es etwa in den hinteren, nicht einsehbaren Räumen und in der Küche aussehen mochte. Die vegetarische Kokospampe, die, auf ein Bananenblatt geklatscht, vor uns stand, war kaum geeignet, mich meine Depressionen vergessen zu lassen. Schon vom Anblick der Köstlichkeiten bekam ich so lange Zähne, dass im Handumdrehen die neue Denture eine einzige Druckstelle war, was meine Laune nicht verbesserte. Auf der Weiterfahrt saß ich auf dem Rücksitz, sah die uns nachglotzenden Einheimischen an und dachte, wenn ihr wüßtet, dass hier ein weißer Gott durch euer Land fährt, der seine Zähne in der Hosentasche tragen kann...

Der Weg war heute das Ziel. Palakaad zu erreichen, hatten wir längst aufgegeben. Die Straßen waren zu schlecht. Wir kamen an einer Reihe schäbig aussehender Toddy-Bars vorbei. Unter am Straßenrand aufgespannten blauen Plastikplanen hausten Wanderarbeiter mit ihren Familien. Irgendwo lief ein Chamäleon über die Straße. In einem großen Teich direkt am Straßenrand stand ein zweirädriger Ochsenkarren im Wasser. Dem Bauern ging das Wasser bis zur Wade. Er war dabei, den Karren, die beiden weißen Zeburinder und sich selbst zu waschen. PM stieg auf die Bremse, setzte ein Stück zurück, wir stiegen aus und hatten ein Fotomotiv der Extraklasse.
(RR: Wenn wir mit dem Auto fahren, sind die Menschen häufig irritiert, dass Weiße in einem Auto mit Kerala-Nummernschild unterwegs sind. Vom Teich her kommen zwei Frauen auf uns zu. Sie strahlen, und die Jüngere spricht mich auf Englisch an: wie ich heiße, ob KB mein Mann ist, ob wir Kinder haben. Freundlich lachend gehen sie weiter.)

KB: Mitten in einer kleinen Ortschaft führte eine schmale, steinerne Brücke über einen Fluß, von dem wir annahmen, dass es wieder der Bharata war. Gleich hinter der Brücke hielten wir an und gingen zu Fuß zurück. Als wir unter Lebensgefahr die Mitte der Brücke, über die der übliche Keralaverkehr donnerte, erreicht hatten, sahen wir eine friedliche Flußlandschaft vor uns liegen. Der einstmals wohl breitere Fluß mäanderte jetzt schmal und flach zwischen bemoosten Findlingen und mit stachligem Gras bewachsenen Sandbänken, auf denen Frauen in bunten Saris als fröhliche Farbtupfer vor der immergrünen Kulisse aus Kokospalmen und Bananenstauden sich wie in Zeitlupe bewegten und mit züchtig gerafften Stoffbahnen die Füße badeten oder ganz profan Wäsche wuschen. Auf einer kleinen Insel mitten im Fluß verharrte schwarz und regungslos ein Wasserbüffel. In seiner Nähe standen auf einem Bein weiße, an Porzellanstatuen erinnernde, reiherartige Vögel. Im fernen Hintergrund ragte die scharf gezackte Kammlinie der Western Ghats in den weiß verschleierten Himmel. Wir gingen weiter bis zum Ende der Brücke, wo eine paar Treppenstufen zum Ufer hinabführten. Von hier hatten wir eine andere Perspektive und konnten uns ganz allein in einer urzeitlichen Flusslandschaft wähnen. Dieses Gefühl dauerte allerdings nur so lange, bis wir unsere Augen zur Brücke hin wandten. Dort hatte sich, eng ans Geländer gequetscht, eine beachtliche Menschenmenge versammelt, die gebannt herabschaute und beobachtete, was die drei weißen Gottheiten dort unten am Flußufer trieben. Allein die Tatsache unseres Vorhandenseins hatte offensichtlich einen derartigen Unterhaltungswert, dass wir den Hut hätten herumgehen lassen können. Schweißgebadet und freundlich grimassierend quälten wir uns an der Reihe unserer Bewunderer vorbei zurück zum Auto. Wir beschlossen, uns auf den Rückweg zu machen, da es bald dunkel sein würde und wir Brücke und Flußlandschaft stillschweigend als nicht mehr zu übertreffenden Höhepunkt des Tages betrachteten.

Vor einem kleinen Tamil Nadu Tempel, dessen Fries mit bunten Figuren nebst der Preistafel für die Opfergaben geschmückt war, suchte ein alter Mann mit erloschenen Augen unter Zuhilfenahme eines langen Blindenstocks seinen Weg an der Tempelmauer entlang. Der hoch geschürzte Mundu ließ dünne, sehnige Beine sehen. Aus einer Hofeinfahrt direkt neben dem Tempel stürzte, als sie unser Auto bemerkt hatte, eine ganze Horde halbwüchsiger Kinder und winkte freudestrahlend, Hello brüllend, mit den Armen.

Auf halbem Wege nach Trichur, es war kurz vor Sonnenuntergang, hielten wir noch einmal an. Zu beiden Seiten der Straße, die wundersamerweise kaum befahren war, sahen wir bis zum palmengesäumten Horizont die grünen Wogen von Reisfeldern, über die ein leichter Wind ging. Dieses Grün war nicht mehr nur Farbe, sondern die inhaltliche Vollendung des Begriffs Grün, die das Zwerchfell erschauern ließ.

Um dem Sonnenuntergang näher zu sein, verließen wir die Straße und bogen auf einen Feldweg ab, der auf
eine Anhöhe mit roter Erde führte, wo er in grünem Gewucher endete. Die untergehende Sonne war nur zu ahnen. Erst als wir auf ein bröckliges Mäuerchen stiegen, konnten wir hinter den fächerförmigen Blättern einer Palme ihren letzten Aufglanz sehen, ehe sie hinter grünen Hügeln verschwand, einen Himmel voller altrosa Wölkchen hinterlassend. Auf dem Rückweg zur Hauptstraße mußte PM behutsam durch eine Horde Kinder steuern, die auf dem Weg Kricket spielten, und wir bemerkten erst jetzt, dass dieser Weg die Zufahrt zu einem etwas versteckt in einem Park liegenden Kino war, das Surya hieß, die Sonne...

Der Pädagoge im Landrover
Auf den letzten Kilometern vor Trichur war der Verkehr sehr dicht geworden. PM ärgerte sich maßlos über einen Taxifahrer, der mit voll aufgeblendeten Scheinwerfern hinter uns fuhr. Er ließ sich von dem Taxi überholen und klebte umgehend den imposanten Kühlergrill seines Schützenpanzers an dessen Heckscheibe. Um den Fahrerraum des Taxis voll mit seinen nun ebenfalls, allerdings in pädagogischer Absicht, aufgeblendeten Scheinwerfern ausleuchten zu können, mußte er die gleichen halsbrecherischen Überholmanöver wie das Taxi machen, ohne allerdings mehr damit zu erreichen, als dass der Fahrer seinen Innenspiegel verstellte und mit weiterhin voll aufgeblendeten Scheinwerfern weiter raste...

Omelette auf der Dachterrasse
Für knapp dreißig Kilometer hatten wir zweieinhalb Stunden gebraucht und waren recht erschöpft als wir Trichur erreichten, das uns nach der relativ unberührten Natur, die wir heute erlebt hatten, wie eine lärmende, stinkende Großstadt vorkam. Alle Parkplätze am Round waren wegen der benachbarten Kinos belegt. Nach der dritten Umkreisung des Tempels, als wir uns bereits wie in der Trommel einer Waschmaschine beim Schleudergang fühlten, lenkte PM den Landrover aufs Tempelgelände, wo wir ein freies, für Pilger reserviertes Plätzchen fanden.

PM ging zielstrebig in eine Seitenstraße, wo uns ein räudiges ‚Hochhaus’ verschluckte und ein Fahrstuhl in den sechsten Stock hochfuhr. Die letzte Treppe, vorbei an unappetitlichem Gastronomiemüll und gaffendem Küchenpersonal, mußten wir zu Fuß ersteigen. Vor uns öffnete sich eine von verdeckt angebrachten Neonröhren schummrig beleuchtete Dachterrasse, die nach den Seiten hin offen war. Unter dem Blechdach staute sich die schmierige Hitze des Tages. An kleinen oder zu größeren Formationen zusammengestellten Tischen saß die männliche Jugend Trichurs und soff im Akkord. Die Vorhölle eines niederbayrischen Stammtischs konnte nicht schrecklicher sein.

Da alle Tische besetzt waren, gingen wir an die Balustrade, wo ein paar Stühle herumstanden, und PM sagte dem Kellner, er möge uns Bescheid geben, wenn ein Tisch frei würde. Gerade hatten wir uns erschöpft niedergelassen und begonnen, damit wir das fröhliche Elend um uns herum nicht sehen mußten, in die schwarze Nacht zu starren, die wie warme Schokoladensoße über dem Land lag, als ein ziemlich alkoholisierter, kaum dem Kindesalter entwachsener Jüngling vor uns auftauchte und uns allen in alkoholbedingtem Verbrüderungszwang die Hand schütteln wollte. Gern hätte ich ihn gepackt und über das Geländer geschmissen, doch um ihm freundlich klarzumachen, dass wir verdammt noch mal unsere Ruhe haben wollten und er unerwünscht war, erlaubte mir meine friedfertige Gesinnung nur, seine Hände und Arme ins Leere grapschen und ihn dadurch vielleicht ein bisschen das Gleichgewicht verlieren zu lassen... Aber da kam auch schon ein Kumpel und holte ihn unter beschwichtigenden Gebärden an ihren Tisch zurück. Später sahen wir, dass er von drei Leuten fast getragen werden musste, da er kaum noch laufen konnte.

Inzwischen war ein Tisch frei geworden, von dem aus wir einen Blick auf das signalrot in den pflaumenweichen Nachthimmel strahlende Neonkreuz auf dem Turm der Lourdes Cathedral hatten. Wir bestellten Sandpiper Beer und Omelette. Das Bier war handwarm, das blasse Omelette offensichtlich aus Eipulver gemacht und in Kokosöl gebraten.
(RR: Im Gegensatz zu KB genoss ich das Bier und die Aussicht und fand das Omelette mit Zwiebeln köstlich, nur die Chillischote, auf die ich leider zum Schluss noch biss, war nicht ganz so angenehm.)

Als wir wieder unten auf der Straße waren, hatte gerade das Kino seine Zuschauer entlassen, und Menschenmassen schoben sich durch die heißen Benzin- und Kerosinschwaden, die über die Bürgersteige waberten. Am Stadtrand schälten die Scheinwerfer eine kleine Gruppe im Gänsemarsch gehender Menschen aus der Dunkelheit. Sie trugen schwarze Mundus und über der nackten Schulter die Brahmanenschnur.

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