deutsche version
manasvi.com/manasvi.de
Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
©
Webmail
Rechtshinweis
Feedback
 

[Kerala 2004 - Seite 37/39]

Der Palast selbst war die um etwa das fünf- bis sechsfache vergrößerte Version des Hauses, das PM in Cherpu bewohnte. Das selbe Dach mit roten Keralaschindeln. Die selben dunklen Holzsäulen, die die Terrassenvordächer stützten, gekachelte Innenhöfe, in die das Monsunwasser stürzte. Die Architektur hatte nichts Pompöses, sondern war von schlichter Eleganz und genialer Zweckmäßigkeit. Der Blick ging durch weite Fluchten geöffneter Türen, die die Luft zirkulieren ließen und eine Klimaanlage überflüssig machten. Es gab einen Vorbau im Kolonialstil, der sich mit den weißen Säulchen der Balkonbrüstung im ersten Stock, von dem aus man einen Ausblick auf das benachbarte Fußball- und Kricketstadion hatte, und den verglasten, halbkreisförmigen Bogenfenstern der Empfangshalle harmonisch in das Gesamtbild einfügte.

Das ganze Gelände ebenso wie das Palastinnere waren eine große Baustelle und für den normalen Publikumsverkehr gesperrt. Nur weil Vinod als Architekt verantwortlich für die Gestaltung des Außenbereichs war, hatte er uns herumführen können. Wenn alles fertig und im Palast ein Museum eingerichtet war, sollte es eine Touristenattraktion für Trichur werden. Was Vinod zum Schluß am meisten interessierte, war die Frage an uns Westler, wie hoch wir meinten, dass der Eintrittspreis sein sollte, fünf oder zehn Rupien... PM handelte ihn auf fünf runter.

Nudeln mit Lamm
Das Chinarestaurant war nicht sehr gut besucht. Auf der Galerie saß eine Familie. Da wo wir uns, von dem eifrigen Chef umschwänzelt, niederließen, war gähnende Leere. Davon, dass es alle von PM aufgestellten Qualitätsanforderungen erfüllte, konnte also keine Rede sein. Egal, wir waren geil auf eine koschere chinesische Gemüsesuppe.
(RR: Alle drei Männer bestellen sich Suppe. Ich bestelle Nudeln mit Lamm. Als das Gericht endlich serviert wird, habe ich kaum noch Hunger, esse sehr wenig davon, so dass die Männer sich von meinen Nudeln nehmen, und PM probiert auch vom Lamm. Eine Viertelstunde später wird mir schlecht. Ich lasse mir nichts anmerken, denke, dass es vorübergehen wird und reiße mich zusammen Auf der Heimfahrt ist mir immer noch übel. Ich atme tief die Luft des Fahrtwindes ein und lege mich zu Hause gleich ins Bett, während KB noch mit PM die für morgen geplante Backwater-Tour bespricht.)

KB: Es ist sechs Uhr morgens. Seit einer Stunde sitze ich auf dem Klo und höre das Geplärre aus dem Tempel. Ich habe Dünnschiß und mir ist kotzübel. RR kann weder kotzen noch kacken. Sie fühlt sich nur elend. Wir haben kaum geschlafen. Auch PM fühlt sich so krank, dass er sogar seine morgendliche Massage hat ausfallen lassen. Die für heute geplante Backwatertour ist gestorben.

Über einem Abgrund von Tönen
KB: Im schlichten, nüchterne Studioatmosphäre ausstrahlenden Saal der Kerala Sangeet Natak Academy saß eine Handvoll Zuhörer. Im Hintergrund der geräumigen Bühne ein auberginefarbener Vorhang, darauf ein orangefarben schillerndes Spruchband mit der Aufschrift VIVEKANANDA SANGEETHA SADAS THRISSUR. Im Schneidersitz, in der Mitte der Bühne, zwei Frauen, eingerahmt von zwei Männern. Von den Männern spielte einer die horizontale Fasstrommel, der andere eine kleine handliche Mizhave, die Frauen spielten Violine und Viola. Diese beiden Instrumente wurden nicht, wie von Europa gewohnt, zwischen Schulter und Hals geklemmt, sondern waren gegen den rechten Oberschenkel gelehnt.

Auf dem Programm stand klassische indische Musik des
19. Jahrhunderts, die uns zwei Stunden lang in eine
andere Welt versetzte. Im oberen Brustbein spürten wir die Streichinstrumente, im Solarplexus die Trommeln. Der Kopf wurde leer und füllte sich dann mit nichts als Musik. Es gab nicht mehr Hitze, nicht mehr Dreck, nicht mehr Gestank, nur noch Musik. Wir gingen für zwei Stunden nicht mehr auf dem heißem Sandpapier der keralischen Küstenebene, sondern ließen uns von Trommelschlägen, auf straffgespannten Violinsaiten balancierend, über einen Abgrund aus Tönen treiben.

Diese Darbietung auf allerhöchstem künstlerischen Niveau endete so unspektakulär, wie sie begonnen hatte: die nur spärlich erschienenen Zuhörer, von denen einige während der Darbietung mit weitausholenden Armbewegungen auf den Oberschenkeln den Takt geschlagen hatten, erhoben sich schweigend und verließen den Saal.

Irinjalakuda: Tempelmusik und Chambre Séparée
Im Vorhof des Tempels trat ein Vocal-Ensemle junger Künstler auf. PM stand lange vorm Tempeleingang, bis er einen Bekannten erspähte, den er fragen konnte, bis zu welchem Punkt des Vorhofs wir Ungläubigen die heiligen Hallen betreten durften. Eigentlich herrschte im Tempel strenger Munduzwang, trotzdem durften wir an einer Säule des äußersten Vorhofs lehnen, wo wir fette Brahmanen selbstgefällig und aufgeblasen, auf der einen Schulter die Schnur, auf der anderen das weiße Handtuch, mit ölglänzendem Oberkörper auf dem Weg zur abendlichen Puja an uns vorbeistolzieren sahen. Wir ließen uns von einer total übersteuerten Anlage ein paar Minuten die Ohren volldröhnen. Dann gingen wir und ließen die Hindus unter sich.

PM kurvte ein bisschen durch verlassene Seitenstraßen und fuhr auf den Hof eines Hotels, zu dem ein Restaurant gehörte und eine Bar. Das Restaurant mit Aquariumslicht und Wartesaal-Atmosphäre war nur schwach besetzt und konnte uns nicht zum Verweilen ermutigen. Der Blick in die Bar zeigte auch nur Trostloses. Männer mit stieren Blicken saßen im Halbdunkel des fensterlosen Raums und soffen. Der Manager wollte eine solche lukrative Einnahmequelle wie uns nicht kampflos ziehen lassen und redete noch auf uns ein, als wir bereits wieder im Auto saßen. Da seine schmutzige Phantasie meinte erraten zu haben, was unser Begehren war, bot er uns händeringend Séparées im ersten Stock an, da wären wir gänzlich ungestört. Er war untröstlich, als wir mit bedauerndem Schulterzucken vom Hofe fuhren.

Nachtleben
RR: Um neun Uhr liegen wir im Bett. Nachdem ich mich eine Stunde schlaflos hin und her gewälzt hatte, bin ich plötzlich hellwach. Mit hellem Sirren war gerade eine Mücke an meinem Ohr vorbeigeflogen. Ich erinnere mich an die guten Ratschläge von PM und KB, stehe auf, mache Licht und schlüpfe wieder unters Moskitonetz ins Bett. Hier lauere ich und erwische sie auf KB’s Fuß (der eine Schlaftablette genommen hat und nichts von meinem Klatscher mitbekommt). Vorsichtshalber suche ich jeden Quadratzentimeter ab, erspähe eine weitere Mücke und schaffe es, sie am Netz zu zerquetschen. Ein drittes Biest entwischt mir immer wieder, ich habe es einfach noch nicht raus, Mücken innen an einem Moskitonetz zu fangen. Nach einer Stunde Jagd bin ich schweißnass und völlig fertig. Resigniert knipse ich das Licht wieder aus, lege mich hin und decke mich vom Kinn bis zu den Füßen mit dem bereit liegenden Bettlaken zu. An einschlafen ist nicht zu denken. In der Nachbarschaft bellt und heult ein Hund, und irgendein anderes Tier schreit und wimmert unentwegt, als ob es sich im Todeskampf befindet. Gegen Mitternacht bin ich schließlich so erschöpft, dass ich doch noch einschlummere.

37

Copyright © 2002-2006 Prem Manasvi. Alle Rechte vorbehalten.
WebDesign & WebHosting: Nalukkettu Consulting
manasvi.de