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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 38/39]

Landung der Fischerboote
KB: Auf halbem Wege hatte der Landrover einen Platten, und wir mussten am Straßenrand halten. Der Wagenheber war nur mit ungeheurer geistiger Anstrengung aus seiner Halterung zu befreien, das übrige Werkzeug fehlte, denn Franko hatte gestern das Auto saubergemacht und dabei alles rausgeräumt, aber vergessen wieder einzuräumen. PM telefonierte mit AM, der telefonierte mit der Werkstatt in Cherpu, und die setzte zwei Mechaniker in eine Rikscha, die eine halbe Stunde später bei uns am Wegesrand eintrafen, wo sie geschwind das Rad wechselten.

Wir schafften es gerade, eine Viertelstunde vor Sonnenuntergang am Strand zu sein. Dort warteten viele Menschen auf die Rückkehr der Boote, die im Licht der untergehenden Sonne als mehr oder weniger große, schwarze Schatten zwischen Horizont und Strand zu sehen waren. Ein Boot war schon an Land gezogen worden und wurde von Käufern belagert, die den Fang ersteigerten. Wer den Zuschlag erhalten hatte, ließ seine Träger kommen, denen man die Fische in Körbe füllte, die sie auf dem Kopf im Laufschritt zu einer etwa zwanzig bis dreißig Meter entfernten Sammelstelle trugen, wo sie für jeden abgelieferten Korb einen Chip in die Hand gedrückt bekamen. Die Porter, meist hochgewachsene, schlanke Männer oder Frauen verdienten ganz gut, wie uns AM später erzählte, dessen Vater auch Porter gewesen war. Man konnte auf jeden Fall davon leben. Den großen Reibach machten natürlich die Händler, die den Fang eines Bootes aufkauften. Man erkannte sie am weißen, knielangen Mundu und der goldenen Uhr am Handgelenk. Sie standen würdevoll unauffällig im Hintergrund, von wo aus sie den Betrieb aus flinken Schweinsäuglein beobachteten. An den Sammelstellen wurden die Fische mit geschreddertem Eis vermischt und auf Trucks geladen. Ehe die massiven Eisblöcke durch die Schreddermaschine geschoben wurden, lagen sie im Sand herum. Eine Viertelstunde nach Sonnenuntergang waren fast alle Boote gelandet, und obwohl es schon dunkel war und die Szenerie nur noch von den trüben Lampen an den Sammelstellen erhellt wurde, ging die Arbeit weiter bis der letzte Fisch auf dem LKW lag.

RR: Wir waren die einzigen Weißen am Strand, die Menschen lächelten oder lachten uns an, eine kleine Gruppe forderte mich fröhlich auf, sie zu fotografieren. Ich fühlte mich um hundert Jahre zurückversetzt. Schon bei Tageslicht hatte ich die lange, schlanke Form der Fischerboote bewundert, deren Bug an einen Schwanenhals erinnerte. Vor dem untergehenden orangenen Ball der Sonne, der den Himmel zart einfärbte, sahen diese einfachen Fischerboote sehr majestätisch aus.

Ein viergeteilter Wasserbüffel
Der kleine Markt in Cherpu lag etwas abseits der Hauptstraße. Es war heiß und staubig, doch kaum Verkehrslärm. An zwei Ständen wurden Fische verkauft. Etwas im Hintergrund der Stand des Fleischers. Ein viergeteilter Wasserbüffel hing fliegenumschwirrt an Haken in der prallen Sonne und sah gewöhnungsbedürftig aus. Der blutige Kopf mit den langen, gebogenen Hörnern hatte einen Ehrenplatz. Die abgezogene Haut lag wie ein Sack im Dreck. Der Anblick konnte einen Menschen auf der Stelle zum Vegetarier machen. An einem Lichtmast in der Mitte des Platzes waren ein paar noch lebende Kollegen des viergeteilten Büffels angebunden und warteten schicksalsergeben auf ihre Stunde. Wir kauften ein paar billige Tücher, zwei Mundus und die zollmäßig erlaubte Menge Zigaretten. Der Händler verzog keine Miene und gab uns einen kleinen Preisnachlaß, so als würde er jeden Tag dieses Geschäft seines Lebens machen. Wir nahmen eine Rikscha zurück nach Nalukkettu, wo wir begannen die Koffer zu packen.

Abschiede
Morgens war ich aufgewacht kurz bevor das Tempelgeplärre begann und hörte dieses Lebewesen schreien wie auf der Schlachtbank. Mir sträubten sich die Haare. So etwas hatte ich noch nicht gehört. Unsere Vermutungen reichten von Hund über Vogel bis zum Kleinkind. Um fünf Uhr stand ich auf, tappte vorsichtig die Treppe runter durch die dunkle Halle in die ebenfalls noch dunkle Küche, aß ein bisschen Yoghurt mit Weizenkleie, einen viertel Apfel, eine Käseecke und rauchte vier Kippen. Im Indian Express las ich, dass in
Kerala im letzten Jahr an hundertdreiundzwanzig Tagen gestreikt worden war.

Nachmittags machten wir mit AM noch eine Runde über den Teil des Grundstücks, den er uns noch nicht gezeigt hatte. Gerade wollten wir losgehen, als es an der hinteren Pforte klingelte. AM ging öffnen. Als er zurückkam, erzählte er grinsend, der junge Mann, der sich auf dem Rückweg vom Toddymaker so produziert habe, um fotografiert zu werden, habe mit uns sprechen wollen. Er habe ihn abgewimmelt, indem er ihm sagte, dass wir heute Nacht fliegen würden und keine Zeit mehr hätten. Bei unserem Rundgang ernteten wir grünen Pfeffer und Muskatnüsse zum Mitnehmen, außerdem füllte AM uns zwei Gläser mit schwarzem Pfeffer ab, den Ammeni kaum benutzte; nur wenn sie Rasam kochte, schmiß sie ein paar Körner in den Topf.

Nachdem wir die Koffer gepackt und in die Halle geschleppt hatten, saßen wir auf der Terrasse und warteten darauf, dass die Zeit verging. Wir versuchten, die paar Augenblicke der kurzen tropischen Dämmerung zu genießen. Arishi hatte Feierabend und schlenderte mit einer anderen jungen Frau, die als Tagelöhnerin den Schreinern half, an der Terrasse vorbei zum Hinterausgang. Sie wusste offenbar, dass wir heute Nacht abreisten. Sie machte ein trauriges Gesicht, kam dann nach einem kaum merklichen Zögern auf uns zu und reichte uns die Hand. Eine Geste, deren naive, sich über alle gesellschaftlichen Tabus hinwegsetzende, kindliche Unschuld uns tief berührte.

Ayappa
Es war bereits dunkel, als wir vom kleinen Tempel dumpfe Trommelschläge und Sprechgesänge hörten, die von der Poolseite des Grundstücks zu uns herüber schallten. AM nahm eine Taschenlampe, und wir eilten zum Badehaus, wo wir über die niedrige Seitenmauer des Pools einen Blick auf das brachliegende Reisfeld und den Weg hatten, der vom kleinen Tempel zur Hauptstraße führte. Dort sahen wir noch das Ende des Pilgerzugs. Alle trugen Öllämpchen in der Hand, und in regelmäßigen Abständen intonierten sie die Worte: Swamiyee Sharanam Ayappan (Beschütze uns, Gott Ayappa!). Ayappa genoß große Verehrung in Kerala. Er war aus der Vereinigung zweier männlicher Gottheiten, Shiva und Vishnu, entstanden. Letzterer hatte sich auf Drängen Shivas ein einziges Mal nur kurz in seine weibliche Form Mohini verwandelt und war prompt geschwängert worden. Das Baby Ayappa hatte er durch seinen Oberschenkel geboren...

Sie zogen vom kleinen zum großen Tempel in Cherpu, wo sie die ganze Nacht singen und trommeln würden, um im Morgengrauen in die bereitstehenden Busse verladen zu werden, die sie nach Sabarimala fahren würden, zum Tempel, in dem Ayappa verehrt wurde. Dort würden sie im Innersten des Heiligtums ihre Opfergabe in Form von Geld in eine Art Schütte schmeißen, die zu einem unterirdischen Auffangbecken führte, wo das Geld von fleißigen Priestern in Säcke gepackt und anschließend zur Bank transportiert wurde. Außerdem spendete jeder Pilger Kokosöl, was ebenfalls gesammelt und an eine Seifenfabrik verkauft wurde. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass Sabarimala, obwohl er nur ein paar Monate im Jahr geöffnet war, zu den reichsten Tempeln Indiens zählte.

Unterwegs zum Flughafen Kochi
RR: Um drei Uhr morgens ist auf dem Highway schon reichlich Verkehr. Am Straßenrand sehen wir viele Pilger in schwarzen Mundus. Sie sind barfuß und tragen ihre Habseligkeiten entweder auf dem Rücken oder auf dem Kopf. An einem Abzweig steht am Straßenrand eine Art Hütte aus Plastikplanen, die innen hell erleuchtet ist. Als ich mich umdrehe, erkenne ich, dass es eine Metzgerei ist, in der eifrig gearbeitet wird. Schnell verdränge ich das Bild, da mir sowieso schon flau im Magen ist. Etwa fünf Kilometer vor dem Flughafen biegen wir vom Highway in eine schmale Landstraße ein, von der nach kurzer Zeit ein unbeleuchteter, allerdings asphaltierter Feldweg abgeht. KB meint, kurz vorher auch ein kleines Schild gesehen zu haben, auf dem Airport stand. Nach einem Kilometer taucht rechter Hand ein mit bunten Lichterketten dekoriertes neues Hotel auf, was wir zunächst für eine Kirche oder einen Tempel hielten. Kurz darauf biegen wir in die breite Zufahrtstraße zum Flughafen ein, deren grüner Mittelstreifen mit roten und orangenen Schirmchen geschmückt ist.

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