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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 39/39]

Feuerzeuge sind Mangelware
KB: Vor dem Eingang zum Flughafen stand eine furchterregend große Menschenmenge. Doch bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass die Abfertigungshalle fast leer war und nur Reisende mit Tickets die Barriere passieren durften. Wer kein Ticket hatte, musste - Prinzip „Bahnsteigkarte“ - fünfundsiebzig Rupien bezahlen, um ins Innere zu gelangen. PM meinte, ohne diese Regelung würden ganze Großfamilien in der Abfertigungshalle lagern, um einen Angehörigen zu verabschieden oder zu empfangen. Obwohl unser Ticket sämtliche Flughafengebühren enthielt, mussten wir als Ausländer pro Person fünfhundert Rupien bezahlen, um einchecken zu können. Die Quittung wurde aufs Ticket geklebt, danach erst lustvoll mit den Stempeln geknallt.

Vor der Passkontrolle hatten sich zwei lange Schlangen gebildet. An einem dritten Schalter fertigte ein gelangweilter Beamter drei Leute ab, die nicht wie Einheimische aussahen. Wir fragten nach, und siehe da, hier wurden ausländische Reisende abgefertigt. Bei der Handgepäckkontrolle waren wir nicht mehr privilegiert, und man nahm uns unsere beiden letzten Feuerzeuge ab. Beim Abflug in Frankfurt hatten wir noch jeder ein Feuerzeug, am Körper getragen, ins Flugzeug mitnehmen dürfen. In Indien schien diese Regelung nicht zu gelten. Der streng blickende Mensch in Senfgelb schmiß unsere Feuerzeuge demonstrativ in einen bereitstehenden Papierkorb, aus dem er sie, wenn wir in der Luft waren, wieder herausholen würde, denn Feuerzeuge waren in Kerala Mangelware und dementsprechend begehrt.

Kurzer Ausflug in die arabische Welt
Der Airbus 320 war voll besetzt. Die meisten Passagiere waren offensichtlich keralische Gastarbeiter, die in den Golfstaaten für die Araber die Dreckarbeit machten. Wir flogen eine Stunde lang parallel zur Küste nach Norden und bogen ungefähr auf der Höhe von Goa nach Westen aufs Arabische Meer ab. Während dieser einen Stunde hatte man einen wunderbaren Blick auf die Western Ghats, deren Gipfel von der gerade aufgehenden Sonne in die unschuldigen Farben der Morgendämmerung getaucht waren, während in den Schluchten noch schwarze Schatten lagen.

RR: In Bahrain werden wir zu einem kleinen Schalter geschleust, wo wir einen Zettel mit einem Kurzvisum bekommen. Am nächsten Schalter bekommen einen weiteren Zettel, der uns zu einem Aufenthalt im HILTON-Hotel berechtigt. Im Wartebereich vor der Ausgangstür des Flughafens erfahren wir, dass wir in etwa zehn Minuten abgeholt und ins Hotel gefahren werden. Nach kurzer Zeit fährt ein kleiner, blitzsauberer Bus vor, und zusammen mit vier weiteren Passagieren werden wir ins Hotel gefahren, das nur fünf Minuten entfernt ist. Am dortigen Empfang bekommen wir Gutscheine für Lunch und Diner und unseren Zimmerschlüssel. Im Zimmer ist es so kalt, dass ich mich als erstes auf die Suche nach dem Schalter für die Aircondition mache und diese abschalte.

KB: Das Zimmer war sauber und hell. Dusche, Bad, kleiner Kühlschrank, breites bequemes Bett. Zwei komfortable Sessel, TV, Telefon. Wir machten die Balkontür auf. Backofenhitze strömte herein. Der Boden des Balkons war von grauem Zementstaub bedeckt, denn auf unserem Flur waren Handwerker zugange. Man hörte es Hämmern und Bohren. Als es dunkel wurde, machten wir alle Lampen an, die wunderbar aufeinander abgestimmt waren und ein weiches, „europäisches“ Licht spendeten, in dem man sich wie in wohltemperiertem Wasser aufgehoben fühlte. Außerdem gab es einen Aschenbecher und hauseigene Streichhölzer! An der Rezeption schenkte man uns auf unsere Bitte hin noch zwei dieser hiltonblauen Schachteln.

Zum Lunch war ein riesiges Buffet aufgebaut. Mit allen Herrlichkeiten der internationalen und arabischen Küche. Vorspeisen zum Abwinken. Kleine eingelegte Fische, Garnelen, Salate, frisch und knackig. Spagetti Bolognese, kleine Filetsteaks, scharfe arabische Ragouts, zum Dessert Obstsalate, Torten und und und. Luxus war zweifellos recht angenehm. Zwei Tische weiter saß ein indisches Paar. Es war schwer zu sagen, ob es sich um Mann/Frau, Mutter/Sohn, Vater/Tochter handelte. Sie schienen alterslos zu sein und schaufelten sich die Teller mit Reisgerichten voll. Ihre Mägen mussten mindestens das doppelte Volumen wie unsere haben. Am ungeschickten Hantieren mit Gabel und Löffel (Messer ignorierten sie) erkannte man, dass sie eher gewohnt waren, mit den Fingern von Bananenblättern zu essen. Außerdem sah man ihnen das Bedauern an, dass sie sich nicht die Taschen mit Essen vollstopfen konnten. Am Nebentisch ein Araber im makellos weißen Burnus, Handy am Ohr. Gut geschnittenes Gesicht, jede Bewegung des Körpers von unaufdringlicher Eleganz. Er bezahlte lässig per Unterschrift. Etwas später tauchten zwei europäische Rucksacktouristen auf, denen man ansah, dass es für sie genau wie für uns und das Paar aus Indien nicht unbedingt zur Normalität gehörte, in Luxusherbergen wie dieser abzusteigen.

Wir saßen vor einer breiten Glasfront, die auf einen mit Marmorfliesen auslegten Innenhof ging, in dessen Mitte das blaue Wasser des Pools in der Sonne funkelte. Bequem aussehende Liegestühle mit blaugestreiften Polstern standen in exakt ausgerichteten Reihen rund um den Pool unter riesigen weißen Sonnenschirmen. Ein paar Geschäftsreisende in Badehosen, Aktenkoffer neben dem Liegestuhl, erholten sich vom Verhandlungsstress. Unsere Badeklamotten waren leider in den Koffern, die sich irgendwo zwischen Kochi und Frankfurt herumtrieben. Der Service war ein gut geschmiertes System, wo ein Rädchen fast lautlos ins andere griff. Auch die trivialste Verrichtung, die unter den Augen der Gäste ausgeführt werden musste, etwa einen Sonnenschirm am Pool aufzuspannen oder eine Schüssel mit Essen hin und her zu tragen, musste eine gewisse tänzerische Eleganz haben oder zumindest mit solch diskreter Selbstverständlichkeit ausgeführt werden, dass man sie gar nicht wahrnahm.

Satt und zufrieden mit der Unvollkommenheit der Welt, setzten wir uns im Innenhof in der Nähe des
Schwimmbeckens an einen der Tische, die zur Pool Bar
gehörten. Der arabische Kellner, der ein ausgezeichnetes Englisch sprach, brachte der Lady einen arabischen Mokka und mir einen American Coffee. Die Preise entsprachen etwa denen in einem normalen Café in der Frankfurter City. Ein Bahrain Dinar entsprach ungefähr zweieinhalb Euro, war an den Dollar gekoppelt und frei konvertierbar, also eine durchaus harte Währung, wie wir sie hier nicht vermutet hätten. Chinesen oder Japaner mit dicken Packen Geschäftspapieren unterm Arm gingen gemessenen Schrittes ins Innere der Pool Bar, ihre arabischen Geschäftspartner eilten mit wehenden Burnussen durch den Wandelgang auf der gegenüberliegenden Seite des Pools zu ihren Zimmern. Auf dieser Wohlstandsinsel des Mittleren Ostens tummelte sich viel ausländisches Kapital. Das war, nachdem die Ölquellen versiegt waren, die einzige Möglichkeit gewesen, den gewohnten Lebensstandard zu halten, wenn nicht gar zu steigern.

Wir saßen im Halbschatten zweier Palmen und schauten. Bezaubernde, europäisch gekleidete Spatzen hüpften um unseren Tisch. Vom ein paar hundert Meter entfernten Meer wehte eine leichte Brise. Temperatur und Luftfeuchtigkeit waren ähnlich hoch wie in Kerala, doch durch die Insellage Bahrains erträglicher, vielleicht erschienen sie auch nur erträglicher durch das gute Essen und das luxuriöse Ambiente. Die Architektur war nüchtern und funktional. Doch hatte der Architekt behutsam in die Trickkiste arabischer Ornamentik gegriffen, die den Beton zum Schweben brachte. Der offene Innenhof wurde von dem sieben- oder achtgeschossigen Hauptgebäude und an den drei übrigen Seiten von einstöckigen, blendendweißen Anbauten im Bungalowstil begrenzt, die durch arkadenartige Laubengänge miteinander verbunden waren. Obwohl wir immer noch nicht ganz glauben konnten, dass wir hier saßen, genossen wir das Gefühl, zu merken, wie die Hochspannung, unter der wir in Kerala gestanden hatten, allmählich nachließ. Ohne schlechtes Gewissen gaben wir uns eine gesegnete Nachmittagsstunde lang den Wonnen eines arabisch-europäischen Luxuslebens hin, ohne zu fragen, wer dafür bezahlen musste.

Da wir zu aufgedreht waren, um uns entspannen geschweige denn schlafen zu können, saßen wir bald wieder an unserem Tisch am Pool, wo sich der freundliche Kellner freute uns wiederzusehen. Wir machten ein bisschen Konversation. Sein geschulter Blick hatte natürlich erkannt, dass wir den Aufenthalt im Hilton Bahrain nur der Großzügigkeit einer Fluggesellschaft verdankten, und er erkundigte sich, wohin wir weiterfliegen würden. Ich fasste mir bei dieser Gelegenheit ein Herz und bat ihn, auch auf die Gefahr hin, mich als Provinzdeppen zu outen, mir zu bestätigen, dass die Meerbrise, von einem leichten Generatorengebrummel untermalt, nicht vom Meer stammte, sondern aus einer Klimaanlage, die vom Dach des Hauptgebäudes angenehm kühle Luft in den offenen Innenhof pustete. Er bestätigte und schien selbst erstaunt über soviel Luxus. Nachdem die Lady ihren Cocktail ‚Lonly Lady’, ich mein perfekt temperiertes Budweiser getrunken und lässig per Unterschrift bezahlt hatte, verließen wir das Hotel und gingen zur nahen Uferpromenade. Hier kam die Meerbrise vom Meer und nicht aus der Klimaanlage und ähnelte sehr der Luft aus einem heißen Backofen. Doch wir waren seit vier Wochen Schlimmeres gewöhnt.

Die vierspurigen Straßen waren sauber wie Krankenhausflure. Große, klimatisierte Limousinen hielten an jeder roten Ampel an! Keiner hupte! Niemand starrte uns nach! Niemand fragte Wherefrom! Jogger und Walker gingen im bunten Adidas oder Nike Outfit ihrer schweißtreibenden Beschäftigung nach. Männer im wehenden, schneeweißen Burnus, mit stolzen, bronzefarbenen Adlergesichtern, waren in ihre Mobiltelefone verliebt. Selbstbewusste junge Frauen schlenderten, zu vieren oder fünfen untergehakt, an uns vorbei. Schwarze Kopftücher, flatternder schwarzer Umhang, unter dem Jeans und Stöckelschuhe hervorschauten, wurden mehr als modische Accessoires und, wie uns schien, weniger als lästige, der islamischen Kleiderordnung genügende Einheitstracht zur Schau gestellt.

Im Hintergrund die Skyline der City. Vor dem gewaltigen Sonnenuntergang ragten Baukräne in den rosenfarbenen Himmel, man war offensichtlich dabei, die Promenade in Richtung Zentrum auszubauen. Deshalb endete sie abrupt in einer gepflegten Grünanlage mit ‚englischem’ Rasen. Überall herumliegende Wasserschläuche ließen darauf schließen, dass unter den hier herrschenden klimatischen Bedingungen einen solchen Rasen hinzukriegen, mit Arbeit verbunden war. Neben jeder steinernen Ruhebank war eine Mülltonne aufgestellt. Zwei Männer hatten auf dem Rasen einen Gebetsteppich ausgerollt und verneigten sich gen Mekka. Zwischen den im Licht der untergehenden Sonne kupferfarben leuchtenden Fassaden der Hochhäuser im Diplomatenviertel, wo auch das Hilton stand, sahen wir die weißen Minarette einer Moschee aufragen, deren riesige Kuppel vergoldet war.

Auf einem Steinmäuerchen am anderen Ende der Promenade, wo wir unseren Ausflug in die arabische Welt beendeten, saß ein schmächtiger junger Mann, aufgrund seiner dunklen Hautfarbe unschwer als Gastarbeiter aus Kerala zu erkennen, und schaute sehnsüchtig übers Meer zur 3000 Meilen entfernten Malabarküste hinüber, wo er die Dreckarbeit, die er hier für die arabischen Brüder machte, als unter seiner Würde stehend und mit seiner Kastenzugehörigkeit nicht vereinbar, schlichtweg als nicht zumutbar abgelehnt hätte.

Nach dem Dinner, wo wir uns auf ein paar köstliche Vorspeisen beschränkten, da wir vom Lunch noch satt waren, legten wir uns eine Stunde hin und schliefen ein wenig. Um elf Uhr klingelte der Reisewecker, kurz danach das Telefon. Eine freundliche Stimme bat uns zur Rezeption. Dort bezahlten wir unsere Rechnung, und Punkt Mitternacht stand der Shuttle Bus vor dem Portal und fuhr uns durch ausgestorbene, üppig beleuchtete Straßen zum Flughafen.

© Klaus Bölling, Frankfurt

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