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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 5/39]

der Präsident ihnen, nachdem er eine kurze Rede gehalten hatte, auf der Bühne überreichte. Mitten im Aufbruch hielt uns PM zurück. Es galt, noch ein Ritual zu befolgen. Von einem Tempeldiener wurde Prasada verteilt, ‚Götterspeise’, ein auf einem Stück Bananenblatt dargereichter Klecks süßer Klebereis, der so aussah und wohl auch so schmeckte, wie ich mich im Augenblick fühlte. Egal ob von der Gottheit selbst zubereitet oder gesegnet, so was würde ich auch unter Androhung von Folter nicht essen. Während PM meinte, ich müsse das Zeug unbedingt probieren, entfernte ich mich unauffällig in Richtung Pforte, die im Halbschatten der Öllampe lag und entsorgte das grüne Glibberzeug auf einer schmalen Balustrade, die außen um die Tempelmauer lief.
(RR: Hier muss hinzugefügt werden, dass KB niemals auch in der heimischen Küche oder sonstwo zubereiteten süßen Reis essen würde... Ich hingegen verließ mich auf PM und aß den Klecks Reis genüßlich auf.)

Nalukkettu
KB: Franko, AM’s Neffe, war ein sympathischer junger Mann, in dessen dunklem Gesicht beim Lachen weiße Zähne blitzten. Ich gedachte mich heute großzügig zu zeigen und zum Abendessen ein Bier zu spendieren, doch hatte ich glücklicherweise die falsche Sorte gekauft, denn AM und Franko lehnten ab. Kurz nach zehn Uhr waren wir im Bett. Was bedeutete, dass wir, nachdem wir die einzige Lichtquelle an der Wand des Schlafzimmers gelöscht hatten, schnell unters Moskitonetz krochen und hofften, dort die einzigen Lebewesen zu sein. Obwohl nur die Körpermitte mit einem leichten Bettlaken zugedeckt war, dauerte es zwei bis drei Stunden, bis wir nicht mehr spürten, wie uns der Schweiß in klebrigen Rinnsalen den Hals hinabfloß. Dafür wurden wir von Musik unterhalten, die vom gut zwei Kilometer entfernten Tempel in Cherpu aus Lautsprechern wie aus klappernden Blecheimern übers Land ausgegossen wurde und manchmal sehr an rheinische Karnevalslieder erinnerte. Immer wenn wir aus dem Schlaf aufschreckten, wummerten in der Ferne die Bässe. Offensichtlich wurde die ganze Nacht durchgefeiert.

Nach dem Frühstück, das aus hausgemachten Reisnudeln plus Gemüsebeilagen bestand, machten wir einen kleinen Gang übers Grundstück, sahen Bananenstauden, Kokospalmen, Papayabäume und zwei ehrwürdige Banyantrees, die aussahen, als ob eine Familie von ineinander verknäulten Riesenschlangen aus der Erde gen Himmel wuchs. Unter solch einem Baum hatte Buddha der Legende nach die Erleuchtung gefunden. Auch in der Hindumythologie spielten diese Bäume eine große Rolle. Sie waren Indern so heilig wie unseren germanischen Vorfahren die Eiche. Hier und da lagen auf dem Grundstück, halb von tropischem Grünzeug überwuchert, gitarrenförmige Steine mit einer Vertiefung dort, wo der Resonanzboden war und einer Rille in der Mitte des Halses. Es waren sogenannte Piss Stones. Sie hatten in den Häusern begüterter Brahmanenfamilien, wie Nalukkettu eines gewesen war, vor hundert Jahren die Funktion von Sanitäranlagen erfüllt. Die Brahmanen nennt man in Südindien übrigens Namboodhiri, wir bleiben aber im folgenden bei Brahmane, da wir nicht vorhaben, uns auf die Feinheiten des indischen Kastenwesens einzulassen.
(RR: Die Pinkelsteine (natürlich nur für Männer) hatten PM und AM ganz bewusst auf dem Grundstück verteilt. Und da nicht alle gleich aussahen, erfuhren wir, dass je höher der Rang eines Brahmanen war, die Pinkelrinne um so kunstvoller herausgehauen wurde.)
Den Nachmittag verbrachte ich mit dem vergeblichen Versuch, das Klima als angenehm zu empfinden und mir wie die Einheimischen mit ein paar Handgriffen einen Mundu um den Bauch zu binden. Was mit schöner Regelmäßigkeit mißlang und mich fluchend, nach einer ausgiebigen Dusche, in meine Shorts steigen ließ.
Drei Herren in Senfgelb
Ungefähr eine Stunde vor Sonnenuntergang, wir waren gerade dabei, uns fein zu machen für das abendliche Kulturereignis, hörten wir fremde Stimmen ums Haus. Ich spähte durch die gedrechselten Holzstäbe unseres Ankleidezimmers und erblickte drei in senfgelbe Uniformen gekleidete Herren, die mit neugierigen Polizistenblicken ohne die geringste Diskretion zu mir heraufstarrten. Was ich bisher über indische Polizei gelesen und gehört hatte, war nicht dazu angetan, mich diese Blicke als angenehm empfinden zu lassen. Als ich mich in europäischem Outfit auf der Terrasse blicken ließ, wurde ich den Herren, einer war der Circle Inspector von Cherpu, vorgestellt. Später erfuhren wir, dass sie sich kurzfristig zu einem Lokaltermin eingefunden hatten. PM hatte uns schon von den Grenzstreitigkeiten mit dem schlitzohrigen Besitzer des Nachbargrundstücks erzählt, die uns als Außenstehende eher wie eine Provinzposse anmuteten, ihm aber keine Ruhe ließen, so dass er sich an die Behörden gewandt hatte. Diese waren nun in Gestalt der drei Senfgelben erschienen, um sich an Ort und Stelle zu überzeugen, was es mit der ganzen Sache auf sich hatte.

Kutiyattam
Es war eine seifige Dunkelheit durch die wir über ein Gewirr schmaler Landstraßen in irgendein Nachbardorf fuhren. Man konnte unmöglich erkennen, wo ein Dorf aufhörte und das andere anfing. Schilder gab es nicht. Überall sahen wir Schattenwesen, die im Gänsemarsch am Rand der Straße gingen, gegen Mauern pissten, in Gruppen herumstanden und redeten oder schweigend mit zusammengekniffenen Augen ins Scheinwerferlicht starrten, das sie für Sekunden aus der Dunkelheit herausmodelliert hatte. In den Hauseingängen brannten Öllämpchen, um den Gottheiten, sollten sie gerade vorbeikommen, anzuzeigen, dass sie in diesem Hause willkommen waren. Die Nacht war so gesättigt vom Licht des tropischen Tages, dass ihre Dunkelheit wie ein weiches Tuch über das kleine Stück Welt gebreitet schien. Wir hielten am Ende einer Dorfstraße, wo vor Bretterhütten schemenhafte Gestalten standen oder auf den Treppenstufen saßen und schweigend zuschauten, wie PM den Landrover am Straßenrand parkte. Als wir ausstiegen, kam eine der Gestalten auf uns zu und bat mit sanfter Stimme, das Auto ein paar Schritte zurückzusetzen. Ich dachte, ihre dunkle Armut hätte unseren weißen Reichtum hassen müssen, doch die Menschen waren von solch selbstbewusster Freundlichkeit, dass ich ihnen Glasperlen hätte schenken mögen.

Etwa fünfzig Meter weiter war der Schattenriss eines kleinen Hindutempels zu sehen. Wir durchschritten ein nicht sehr hohes Tor, zogen die Sandalen aus und ließen uns von Öllämpchen, die zu beiden Seiten eines mit Steinplatten gepflasterten Weges brannten, zu einer außerhalb des heiligen Bezirks liegenden Wiese geleiten, deren Oberfläche, konnte ich dem trauen, was meine des Barfußgehens ungewohnten Fußsohlen mir übermittelten, weniger aus Gras denn aus scharfkantigen, nicht sehr feinen Staubkörnern bestand. Durch das fettige Kokoslicht sahen wir im Hintergrund eine kleine Bühne und davor drei Reihen Betonplatten auf dem Boden, auf denen im Schneidersitz Männer, Frauen und Kinder saßen. Am vorderen Bühnenrand blakte eine Öllampe und verbreitete archaisches Licht. Die Steinplatten, auf denen wir saßen, fühlten sich an wie der rauhe Zementboden einer Autowerkstatt. Es roch nach verbranntem Öl und Räucherstäbchen.

Auf der Bühne saßen drei junge Männer und trommelten. Es war atemberaubend, was sie der Mizhavu (sprich: Mirave) genannten Trommel an Klängen entlockten. Die äußerst kunstvollen Rhythmen wurden manchmal so schnell, dass man die Hände, die sie schlugen, nicht mehr sah. Auf der linken Seite der Bühne saß eine junge

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