deutsche version
manasvi.com/manasvi.de
Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
©
Webmail
Rechtshinweis
Feedback
 

[Kerala 2004 - Seite 6/39]

Frau im schlichten, dunklen Sari und schlug die Zimbeln. Ab und zu sang sie. Trommeln und menschliche Stimme erzählten eine über dreitausend Jahre alte Geschichte, die ihren Ursprung in vedischen Gesängen hatte. Wenig später kamen zwei junge Männer, am nackten Oberkörper mit dem Handtuch über der Schulter als Tempeldiener erkenntlich, auf die Bühne und hielten ein helles, glänzendes Tuch, in das ein farbiges Rechteck gewebt war, wie einen stilisierten Vorhang zwischen sich. Dahinter vollführte eine Person, von der man nur die Füße und einen Teil der Unterschenkel sah, rituelle Tanzschritte.

PM erzählte uns, dass in früheren Zeiten, als Kutiyattam, so nannte sich diese Form des Tanzdramas, nur vor den höchsten Kasten im innersten Heiligtum des Tempels aufgeführt wurde, dieser Teil hinter dem Vorhang eine halbe Stunde oder auch eine ganze Nacht dauern konnte. Das eigentliche Drama vor dem Vorhang konnte sich dann im besten, oder je nach Betrachtungsweise, schlechtesten Fall über weitere vierzig Tage und Nächte hinziehen. Was natürlich voraussetzte, dass die auserwählten Zuschauer Personal hatten, das während dieser Zeit zumindest das Essen für sie kochte. Heute dauerte es zum Glück nicht so lange, bis der Vorhang weggenommen wurde und eine junge Frau nicht mehr nur zur Verehrung der unsichtbaren Gottheit hinter dem Vorhang, sondern auch für uns sichtbare Sterbliche davor zu tanzen begann. Sie rollte bedeutungsvoll mit den Augen, verrenkte die Brauen zu nie vorher gesehenen Figurationen, stampfte mit zierlichen Schritten über die Bühne und hatte für jede Nuance einer Gefühlsregung eine bestimmte Bewegung der Hand oder der Finger. Ohne die Trommler wäre es für uns nach einiger Zeit langweilig geworden, da wir die Geschichte, die erzählt wurde, nicht kannten und die Körpersprache, in der sie erzählt wurde, nur unvollkommen deuten konnten. Da wir keine Kutiyattam-Kenner waren und auch nicht werden wollten, war das eigentlich Faszinierende das Ambiente. Und das versetzte uns durch seine Authentizität in einen Zustand innerer Erregung, in den europäische Kulturereignisse uns kaum noch zu versetzen vermochten.

Nach einer guten halben Stunde konnte ich in der ungewohnten Haltung nicht mehr länger sitzen bleiben. Ich stand auf und verdrückte mich an den Rand des Zuschauerbereichs. Ein paar Männer, die ich nur schemenhaft in der weichen Dunkelheit durch die Rauchschwaden der Öllampen erkennen konnte, machten mir freundlich verständnisvolle Zeichen mit der Hand, dass ich mich ein bißchen weiter von dem heiligen Schrein, in dem hunderte von Öllämpchen unter dem Blechdach eine entsetzliche Hitze erzeugten, entfernen sollte. Was ich tat und mich ärgerte, dass ich nicht gewagt hatte, die Nikon mitzunehmen, zumal ich sah, dass die einheimischen Aficionados ungeniert fotografierten. Nach eineinhalb Stunden war die Aufführung zu Ende, und ich registrierte das merkwürdige Gefühl einer ausgefüllten Leere im Kopf. (RR: Was mich noch faszinierte, waren die - teilweise sehr kleinen - Kinder, die andächtig zuschauten und nur selten kribbelig wurden und herumliefen. Natürlich kannten sie im Gegensatz zu uns die Geschichte, die auf der Bühne getanzt und getrommelt wurde. Übrigens ärgerte sich auch PM, keine Kamera dabei gehabt zu haben.)

Im Garten der Tänzerin
KB: In der aufbrechenden Menge der Zuschauer hatte PM eine Frau mittleren Alters entdeckt und ging hin, sie zu begrüßen. Es war die Lehrerin der jungen Frau, die heute Abend getanzt hatte. Sie lud uns ein zu einem kleinen Imbiß, der in ihrem hinter dem
Tempel gelegenen
Haus stattfinden sollte. Zuvor mußten wir noch unsere Sandalen holen. Inzwischen waren die meisten Öllampen erloschen und, als wir am hinteren Eingang des Tempels angelangt waren, bestand die einzige Beleuchtung der Szene aus dem tropischen Sternenhimmel. Nachdem wir etwas unschlüssig umhergeirrt waren, fanden wir schließlich, uns an einer moosigen Mauer entlang tastend und über eine trockene Wiese stolpernd das Haus, wo man uns herzlich willkommen hieß.

Im geräumigen Garten, wo Öllichter in vielarmigen schmiedeeisernen Ständern, walpurgisnachtmäßig durchs Pflanzengrün flackerten, standen Bänke und Tische, an denen etliche Leute saßen. Zwei Männer gingen mit Eimern aus Edelstahl herum, aus denen sie Reis und vegetarische Gerichte auf Bananenblätter häuften. Zu trinken gab es Chai und zum Abschluß auch hier Prassadam, ‚Götterspeise’, die ich diesmal probierte, ohne jedoch in allzu große kulinarische Verzückung zu geraten. Wir stellten fest, dass auch für diese Menschen, die ein kultiviertes Englisch sprachen, unsere Hautfarbe einen exotischen Reiz besaß, doch wurden wir bei weitem nicht so unverhohlen angestarrt wie auf der Straße. Wir erfuhren, dass die Gastgeberin eine berühmte Profitänzerin war, die uns zu ihren nächsten Auftritten in Calicut herzlich einlud. Ihr Mann war Profitrommler, durfte aber für zehn Tage den Tempel nicht betreten, weil er wegen eines Todesfalls in seiner Familie als unrein galt. RR fragte die Tänzerin des heutigen Abends, wie alt sie sei. Die erhob sich, dem Alter der Fragenden Ehrerbietung zollend, sofort artig von ihrer Bank, lächelte ein reizendes Zahnspangenlächeln und sagte Fourteen. PM klinkte sich in die Konversation ein, und man stellte fest, dass sie einige Freunde seines Malayalamlehrers Ashvin kannte, der vor kurzem in der Schule in Trichur, die sie ebenfalls besuchte, Abitur gemacht hatte. Schließlich erzählte sie, dass heute Abend für sie und die drei Trommler der erste öffentliche Auftritt gewesen war, für den sie fünf Monate hart trainiert hatten. Wir wollten es nicht glauben. Mit diesem Auftritt hätten sie die verwöhnten Zuschauer der Frankfurter Alten Oper zu standing ovations hingerissen.
(RR: Die Bananenblätter und Plastikbecher, in denen der Tee serviert wurde, trugen wir in den hinteren Teil des Gartens und warfen sie in eine kleine Erdvertiefung. Am nächsten Tag, erfuhren wir, würde alles verbrannt werden. Außerdem stand ein Eimer mit Wasser und einer Schöpfkelle bereit, wo man sich die Hände waschen konnte.)

Um halb elf waren wir im Bett und konnten es kaum glauben, dass wir erst zwei Tage in diesem aufregenden Land waren.

Sonntagsfrühstück in Nalukkettu
RR: Auf dem bunten Tuch, das auf den Fliesen der Terrasse ausgebreitet war, standen ein Korb mit Schwarzbrot, diverse Gläser mit Marmelade, eine Kanne mit Kaffee und eine mit Tee. Da die Köchin frei hatte, gab es ein europäisches Frühstück. Das Schwarzbrot war ein weiches ‚Malzbrot’, von dem PM in der Bäckerei im City Center in Trichur immer zehn Laibe bestellte und einfror. Diese Bäckerei stellte auch Brötchen und Croissants her, die ein wenig an Europa erinnerten. PM hatte bereits eineinhalb Stunden Ayurveda-Massage und eine Stunde Malayalam-Unterricht hinter sich, als er zum Frühstück erschien. Sein Lehrer Ashwin frühstückte mit uns. Er war der achtzehnjährige Sproß einer Brahmanen-Familie, der, bis PM es vor zehn Jahren kaufte, dieses Haus, auf dessen breiter, sechzehn Meter langen Terrasse wir jetzt saßen, gehört hatte. Es war damals im Inneren völlig anders aufgeteilt gewesen und hatte eine Großfamilie beherbergt. So erzählte Ashvin, dass er zusammen mit Eltern und Geschwistern in dem Raum, der jetzt unser Badezimmer war, gelebt und seine

06

Copyright © 2002-2006 Prem Manasvi. Alle Rechte vorbehalten.
WebDesign & WebHosting: Nalukkettu Consulting
manasvi.de