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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 7/39]

Kinderjahre verbracht hatte. May I ask you a question, fragte er plötzlich, what was your concept of India? Wir erzählten von unseren Vorurteilen, unseren Ängsten, mit Armut, Elend, Krankheit und Tod konfrontiert zu werden und daß wir bis jetzt, was Kerala betraf, angenehm überrascht waren. Viel hätten wir allerdings in zwei Tagen noch nicht sehen können. PM forderte Ashwin noch auf, mir eine Frage zu stellen, was den armen Jungen erstarren ließ. Daraufhin meinte PM lächelnd, er solle sich doch etwas für nächsten Sonntag überlegen. Und ich ergänzte, zu Ashwin gewandt: If you like it...

Allein nach Cherpu
KB: Wir hatten beschlossen, einen Ausfall aus der Festung zu wagen. RR trug einen von PM geliehenen Strohhut, dessen Form einem Tropenhelm nachempfunden war. Die Schultern hatte sie halbwegs züchtig bedeckt. Ich trug Baseballmütze und Trekking-Shorts mit Hosenträgern. In einer der vielen Taschen konnte ich unauffällig die Nikon verstauen. Nur mit Schmetterlingsnetz und Botanisiertrommel wäre ich mir noch merkwürdiger vorgekommen. Den Einheimischen schien es ebenso zu gehen. Wir waren nie ganz sicher: lachten sie uns aus oder an. Nach einhundert Metern hatte sich unser Selbstbewusstsein soweit stabilisiert, dass wir nicht mehr über die eigenen Füße stolperten. Alte Frauen, die uns auf dem sandigen Weg entgegenkamen und uns anglotzten, als seien wir Außerirdische, oder stehenblieben und mit offenen, zahnlosen Mündern hinter uns her starrten, ignorierten wir bereits gekonnt. Zumindest taten wir so.

Bald verließen wir den Schatten der hohen Steinmauer, die das Grundstück umgab, und kamen durch eine kleine Siedlung, in der schmucke Häuschen im Bungalowstil standen. Hier wohnte die neue Mittelschicht, die sich in Kerala immer mehr zu entwickeln begann. Unser Vorbeigehen ließ ganze Großfamilien aus dem Inneren der Häuser auf die Terrassen strömen, von wo man mit offenen Mündern den weißen Negern nachglotzte. Obwohl der Weg durch die Siedlung nicht gepflastert war und wir uns ziemlich am Ende der Welt wähnten, herrschte reger Verkehr. Rikschas kamen uns entgegen, Fahrräder und immer wieder Motorräder, deren Fahrer nebst Beifahrer, wenn sie uns überholt hatten, die Hälse verrenkten, um uns möglichst lange im Rückspiegel betrachten zu können.

Am Ende der Siedlung gab es einen kleinen Tempel. Es war ein langgestreckter, weißgetünchter Flachbau, das Dach mit rotbraunen Keralaziegeln gedeckt. Drum herum lief eine hohe Mauer mit einem schmiedeeisernen Tor, das verschlossen war. Vor den Stufen zum Haupteingang stand ein niedriger würfelförmiger Schrein, der von einem, das übrige Gebäude überragenden, auf einer Konstruktion aus Metallrohren aufliegenden Wellblechdach beschützt wurde. Eine blaue Plastikplane gegen den Monsunregen rundete das Ganze ab. So ähnelte der schlichte, doch freundliche Harmonie ausstrahlende Tempelbau eher einer Garage mit Kuhställen dahinter.

Zwischen den Mauern zweier Grundstücke führte ein schmaler, nach feuchtem Müll riechender Weg zum Tempelteich, einem mit Entengrütze überzogenen, größeren Tümpel, der vor der Kulisse eines Waldes aus Kokospalmen lag und in ein Landschaft und Weite vortäuschendes Reisfeld überging. Zwei Männer mit nacktem Oberkörper, mit Mundus um die Hüften und Tüchern um die Stirn, standen auf den Stufen, die zum
Wasser hinabführten und fischten. Ich hatte, ehe sie uns bemerken konnten, vorsichtig ein Foto von ihnen
gemacht. Als sie uns gesehen hatten, starrten sie eine Weile bewegungslos in unsere Richtung, doch bald wandten sie sich wieder ihrer Beschäftigung zu. Irgendwann wurde auch der weißeste Neger langweilig.

Wir gingen zurück zum Hauptweg, der jetzt teilweise asphaltiert war. Hier reihten sich Einfamilienhäuschen aneinander. Alle mit kleinem Grundstück drumherum. Bis auf ein brachliegendes Reisfeld, das an die Poolseite von PM’s Grundstück grenzte und auf dem Wasserbüffel in der Sonne lümmelten, war jedes Fleckchen bebaut. Zwischen den schwarzglänzenden Büffelchen standen reiherartige, grauweiße Vögel, die ihnen bei der Körperpflege halfen. Ein paar protzige Häuser von Neureichen sahen wir auch. Einer, der darin wohnte, so erfuhren wir von PM, sollte ein Vermögen mit Kerosinschiebungen gemacht haben.

Je mehr wir uns der Hauptstraße von Cherpu näherten, desto mehr Müll lag vor den Mauern der Grundstücke. Inmitten einer dieser Müllhaufen sahen wir einen Mann liegen. Sehr dünne Ärmchen und Beinchen. Die Augen halbgeöffnet, alterslos, lag er auf dem Rücken im Schatten der Mauer und rührte sich nicht. Niemand der zahlreichen Fußgänger, die von der Hauptstraße herunterkamen, kümmerte sich um ihn, also gingen auch wir davon aus, dass er nicht tot war. Wir sollten ihn später noch öfter sehen, wenn wir diesen Weg gingen. Dann saß er, meist am Rande des Sträßchens, mit gekreuzten Beinen, das Gesicht der Hauptstraße zugewandt und starrte blicklos vor sich hin. Er bettelte nicht, wie wir erwartet hatten, sondern verbreitete eine anklagende, unberührbare Stille um sich, die wir nicht zu deuten wußten.

Als wir die Hauptstraße erreicht hatten, knallte eine steile Sonne auf uns herab. Schatten gab es keinen. Nicht wenige Einheimische hatte ihre Regenschirme aufgespannt, um sich gegen diesen fast senkrecht am Himmel stehenden Heizstrahler zu schützen. Wir stolperten ein paar hundert Meter durch den Staub und Dreck am Rande der Straße, auf der der Linksverkehr tobte und die nach Cherpu hineinführte. Dass hier der Ort begann, konnte man nur daran erkennen, dass die Bretterhütten näher zusammenrückten und die Menschen nicht mehr nur in Bewegung waren, sondern auch noch zusammengeklumpt herumstanden. Es war keine Landschaft für Paranoiker. Wenn ich von „Bretterhütten“ spreche, meine ich übrigens nicht, dass die Gebäude am Straßenrand nicht größtenteils massiv gebaut waren; sondern dass, auch wenn sie aus Beton waren mit Ziegeldach, mein europäisch konditioniertes Auge „Bretterhütten“ in ihnen erblickte.

Als uns klar wurde, dass wir das Sträßchen, das nach Nalukkettu hinabführte, verpasst hatten, winkten wir erschöpft einer Rikscha, hielten dem Fahrer PM’s Visitenkarte unter die Nase, er kannte die Adresse, und ab gings mit Geknatter. Schon nach der ersten Kurve verreckte der Motor. Der Fahrer drückte mit der rechten Hand einen Knopf am Armaturenbrett, und mit der linken pumpte er einen langen Hebel neben dem Sitz auf und nieder, auf und nieder, und siehe da, der Motor sprang an, und wir erreichten ohne weitere Zwischenfälle, nur ein bisschen arg durchgeschüttelt, in kürzester Zeit unsere Burg. Als wir erschöpft und schweißnass auf der schattigen Terrasse sitzen, zeigte das Thermometer vierunddreißig Grad und hundert Prozent Luftfeuchtigkeit...
(RR: Das einzige, was ich während dieses Spaziergangs in meiner Hosentasche hatte, war die Visitenkarte von PM. Vor dem Tor von Nalukkettu stellten wir fest, dass wir kein Geld dabei hatten. Ich

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