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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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PROVENCE, September 1998

ein Reisebericht

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Es hat die ganze Nacht geregnet. Nach einer Ge¬wöhnungsphase ließ es sich bei dem eintönigen Trommelgeräusch auf dem Dach des Campingwagens gut ein¬schlafen. Gegen Morgen nieselt es nur noch. In einer kurzen Regenpause schaffen wir es, das Auto zu beladen, ohne daß etwas naß wird. Auf dem Markt in Jaujac kaufen wir noch ein paar Tomaten. Dann gehts ab in Richtung Süden.

Bei Vallon-Pont d'Arc biegen wir ab auf die Panoramastraße, die in relativ sanften Kurven dem Verlauf der Schlucht folgt, wo tief unten, grün und schön die Ardèche fließt. Die Kanufahrer sind nur als kleine Pünktchen zu erkennen. Meine Höhenangst hält sich diesmal in Grenzen.

Hinter Pont-Saint-Esprit kommen wir wieder auf die N 86 und sind in der Provence. Es nieselt. Alles sieht nicht so aus, wie wir es uns vorgestellt hatten. Dieser nördliche Rand der Provence, wo die Cevennen in die Ebene übergehen, ist stark industri¬alisiert und entsprechend zersiedelt. Alle Zement¬fabriken Frankreichs scheinen hier konzentriert zu sein. Als es mal zwei Minuten aufhört zu nieseln, erschlägt die Bau¬stelle der Betontrasse für den TGV die Landschaft. Mit Gesichtern, grau und zer¬furcht wie das uns umgebende Land, fahren wir irgendwie in eine Richtung. Wir trösten uns: keine heile Urlaubsidylle, sondern die Realität hatten wir finden wollen. Muß die nur gleich so rea¬listisch aussehen?!

Um Beaucaire-Tarascon werden wir über das ausgedehnte Gelände einer Zement¬fabrik herumgeleitet. Als wir schon ziemlich sicher sind, daß diese Straße auf dem Parkplatz des Verwaltungs¬gebäudes der Fabrik enden wird, sehen wir ein Schild, das uns den Weg nach St. Rémy weist. Fahren wir also nach St. Rémy. Nur die Kühltürme eines AKWs könnten uns jetzt noch beeindrucken.

Nachdem wir die Rhone überquert haben, wird es grüner. Aus dem Nieseln ist Regen geworden. Kaum zu glauben, in diesem Aquarium hatte vor über hundert Jahren van Gogh seine von irrsinniger Sonne durchglühten Bilder gemalt!

Wir sehen uns einen etwas abseits der Straße gelegen Camping Municipal an. Da schimmeln mächtige Caravan-Festungen vor sich hin. Wir wenden uns mit Grausen. Dito in St. Rémy. Obwohl wir kaum wissen, wo wir herkommen, fahren wir wieder irgendwie zurück. Auf einem Zebrastreifen in St. Rémy skurrile, freundlich gesti¬kulierende und grimassierende Gestalten. Wir grüßen freund¬lich zurück. Vincents Irrenanstalt gibt es also noch.

Wir sind müde und hungrig und beginnen mit dem Gedanken zu liebäugeln, heute vielleicht doch kein Zelt aufzubauen und uns irgendwo ein Zimmer zu suchen. Dann am Straßenrand das Schild FONTVIEILLE. Ha! Daudet's Mühle! Da wollten wir doch hin.

Auf dem Cours Bellon quetschen wir uns in eine Parklücke, und mit etwas zittrigen Beinen stehen wir endlich auf dem Boden der Provence. Wir stolpern über die Hauptstraße und durch die drei Gäßchen des reizenden Ortes auf der Suche nach einem Hotel. Obwohl die vitale Bedürfnislage mein bestes Französisch aktiviert hatte, ist das erste Hotel complet, das zweite finden wir nicht.

Alle Gäßchen führen unfehlbar zum Cours Bellon zurück, wo wir uns unter die Markise eines Straßencafès setzen. Zwei kleine Rote. Wir sitzen und schauen, schauen rechts, schauen links und sehen, ein paar Schritte von uns ist ein Restaurant, und über dem Restaurant ist ein Hotel, und das hat auch noch ein Zimmer für uns frei.

Da's eh nicht mehr drauf ankommt, beschließen wir, uns mit einem Menu im Hotel zu belohnen. Essen gibt's erst in gut einer Stunde. Schwankend vor Hunger erstehen wir gegenüber in der Boulangerie zwei Croissants und machen noch eine kleine Runde durch den Ort, um nach anderen Restaurants Aus¬schau zu halten, doch vor der angegebenen Zeit gibt’s nix zu fressen, nirgendwo.

Wir geraten dann zufällig in die Eröffnung einer Ausstellung pro¬vencalischer Volks¬kunst. Als glutäugige junge Mädchen in wunderschönen provencalischen Trachten erscheinen, sind wir mit unserem harten Los hier in der Fremde einigermaßen wieder versöhnt. Aus einer im Café herumliegenden Zeitung erfahren wir, daß an diesem Wochenende in Arles und Umgebung aus Anlaß des Beginns der Reisernte in der Camargue drei Tage lang die Feria du Riz gefeiert wird.

Punkt halb acht sitzen wir erwartungsvoll im etwas plüschigen Speiseraum des Hotels. Fin de siècle mit ein bißchen Plastik¬kultur verschnitten. An den Wänden schreckliche Gemälde. Egal, wir haben Hunger. Pastis. Salat. Eine Fischpastete in Blätter¬teig. Eine köstliche Daube de Boeuf. RR speist ganz vornehm irgendwas mit Lachs. 1/2 Flasche Wein. Zum Dessert ein riesiges Stück Johannisbeer¬kuchen. Deux petits noirs. Wir sind rund und können kaum noch laufen. Brauchen wir auch nicht. Müssen nur noch eine kleine Treppe hochkriechen.

Über unserem Bett hängt kein röhrender Hirsch, sondern ein lustiger Kandinsky. Wir versuchen herauszufinden, wie man sich in diesem französischen Bett zudeckt. Wir schieben uns einfach zwischen die mumifizierenden, blitzsauberen Laken und schmeißen die im Schrank vorhandenen Wolldecken darüber! Doch das hat noch Zeit. Wir nippen am aus FFM mitgebrachten Rotweinvorrat und - der Provence-Regen ist fruchtbar für die Liebe, Kandinsky lächelt...

Nach wahrem Mumienschlaf öffnen wir am nächsten Morgen, hoffend, daß nichts kaputt geht, die grünen Fensterläden. Ein als Markt¬platz getarnter Riesenparkplatz, ein paar halbrunde, altrosa getönte, provencalische Dachziegeln, ein grau¬grünes Pflanzengewucher und mindestens zwei winzige, azurblaue Stellen am Himmel ver¬setzen uns, da es gerade mal nicht nieselt, in einen Zustand tiefster, hoff¬nungsvoller Euphorie.

Um 9 Uhr sind wir bereits auf der kleinen Landstraße in Richtung Arles, das nur ca. 30 km entfernt ist. Es geht durch Pinien¬wälder. Ein kleiner Mistral weht immer mehr Wolken vor sich her in Richtung Meer. Den Hinweisschildern in Fontvieille zufolge müßten wir eigentlich an Daudet's Mühle vorbeikommen. Wir halten Ausschau: nichts. Vor der Einfahrt zu einem in einem verwilderten Park stehenden Landhaus halten wir an. Wir haben in Fontvieille Croissants gekauft. In der Thermoskanne ist noch lauwarmes Wasser, in dem wir einen Teebeutel schwenken. Wir frühstücken inmitten duftenden, wilden Thymians, der überall am Straßenrand wächst. Ein Trupp Rennradler fährt an uns vorbei. Bon jour. Bon Apétit! Das letzte, nicht gedopte Team der Tour de France unterwegs ins Ziel auf den Champs Elysées....?

Ein kurzes Stück auf der Autobahn an Arles vorbei. Dann biegen wir ab auf die N 570, die mitten durch die Camargue nach Les Saintes Maries de la Mer führt. Dort finden wir direkt an der Mündung der Petit Rhone unseren Camping: Le Clos du Rhone. Vier Sterne, man gönnt sich ja sonst nichts. Iglu aufbauen, Tisch und Stühle in den Sand stellen, sitzen, schauen.

Wir hocken im Windschatten des Autos. Der Mistral hat aufge¬frischt und den Himmel blau gefegt. Die Sonne knallt. Von der Phonstärke her macht das Meer einen Lärm, der in etwa dem am Frankfurter Kreuz entspricht. Um den Lärm auch sehen zu kön¬nen, muß man durch die vielleicht zehn Meter vom Zelt entfernte, mit ver¬krüppelten Pinien bewachsene Minidüne kriechen. Ein übermanns¬hoher Drahtzaun, ein san¬diger Weg, ein Steinwall, und dann bis Afrika nur Meer. Das würde gern gegen die Küste knallen, geht aber nicht, da der Mistral ja vom Land kommt. Das Meer ist also ziemlich durcheinander. Und protestiert lautstark.

Le Clos du Rhone also. Laut Herrn Langenscheidt bedeutet Le Clos: Gehöft oder eingezäunter Weinberg. Weinberg is nich. Da wo man jetzt Pferde für die Prome¬nades à cheval mieten kann, könnte mal ein Gehöft gewesen sein. Eine weiß ge¬tünchte, reetgedeckte, an Dithmarschen erinnernde Hütte steht noch da. Bleibt: "ein¬gezäunt"... In der Tat ist das Riesenareal, auf das schätzungs¬weise sechs oder sieben Fußballplätze passen würden, von einem hohen, teilweise stacheldrahtbe¬wehrten, dezent von Hecken verdeckten Maschendrahtzaun umgeben. Ein luxu¬riöses Internierungslager also. Aber gut gemacht. Gut gegliedert. Hecken teilen die einzelnen Plätze in kleinere Einheiten, lassen weder ein Gefühl der Enge, noch des Verlorenseins aufkommen. Ganz anders als dieser Riesenplatz in Zeeland vor eini¬gen Jahren, wo wir zwei Wochen lang, eingequetscht zwischen die Vorgärten der Caravanburgen hausten, um dann eines Morgens, als in NRW die Schule wieder begonnen hatte, allein und verlassen auf einem Areal von der Größe von vier Fu߬ballplätzen zu stehen. Die Sanitär¬anlagen sind gut zu erreichen. Von außen sehen sie aus wie eine andalusische Finca. Innen ist alles blitzsauber, jeder Knopf funktio¬niert. Warmwasser kommt von Solarzellen auf dem Dach. Und erst die Piscine: ein Traum in Weiß und Blau.

Auf "unserem" Areal blähen sich, auf Rufweite voneinander ent¬fernt, eine Handvoll Iglus oder sonstige Hundehütten im mächtigen Mistral. Jetzt in der Nachsaison darf sich hier auch mal ein Wohnmobil mit steiflippigen Engländern, die stilvoll aus ge¬schliffenen Gläsern edle französische Rotweine schlürfen, hinstellen. Da haben die Iglus was zu gucken und zu tratschen. Alles in allem: wir fühlen uns zu Hause.

Wir fahren kurz ins Örtchen. Ein kleiner Yachthafen, eine weiße Arena, die berühmte Wehrkirche, im Winter ca. 4000, während der Sommermonaten ca. 100 000 Ein¬wohner. In den Gässchen immer noch ein buntes Treiben. Wir wollen uns gar nicht vorstellen, wie es hier im Juli und August aussehen mag. Trotzdem keine einzige Beherbergungsburg. Nur ein paar diskrete Ferienhaussiedlungen im örtlichen Ca¬bane-Stil. Im Vergleich zu anderen Urlaubszentren an der Küste befindet sich Stes. Maries noch im Zustand der Un¬schuld.

Wir finden einen kleinen Supermarché, versuchen, die um die Kirche herumschwir¬renden, unbedingt aus der Hand lesen wollenden Zigeunerinnen zu ignorieren, trin¬ken einen Pastis, überlegen, ob wir an einem Morgen stattfindenden Boule-Turnier teilnehmen sollen und entdecken auf einem kleinen Platz ein wunderschönes Denk¬mal von Mistrals Mireille. Eine Brust halb entblößt, ringt sie verzweifelt die Arme gen Himmel. In Mistrals provencalischem Versepos hatte sie sich, nach einer drama¬tischen Nachtwanderung durch die Camargue, in der Katakombe der Kirche von Stes. Maries umgebracht, weil ihr fiancé sie verlassen hatte...

Zurück auf dem Platz versuchen wir, die Küche einzurichten, um das erste Frei¬luftmahl zu bereiten. Das ist gar nicht so einfach, da das Flämmchen des Gas¬kochers sich vom Mistral ziemlich irritieren läßt. Wir stellen das Auto gegen die Windrichtung, den Kocher auf die Ladefläche, und die Küche ist perfekt.

Wir fahren nach Arles. Der Wind hat etwas gedreht. Obwohl die Sonne ungeheuer groß und vangoghgelb am Himmel steht, ist es kühl. Heute ist der letzte von insge¬samt drei Tagen Feria du Riz. Es ist gleichzeitig das Ende der Stier¬kampfsaison. Die Innenstadt ist für Autos gesperrt. Überall stehen Musikkapellen und machen einen fröhlichen Lärm. Rund um die Arena und auf den großen Plätzen eine Menge haupt¬sächlich französischer Touristen. In den Seitenstraßen der Altstadt treffen wir, abge¬sehen von dem alten Weiblein in Schlappen und schwarzer Kittel¬schürze mit Ba¬guette unterm Arm, kaum einen Menschen.

Der Innenhof des alten Hospitals, in dem vor über hundert Jahren dieser verrückte hollän¬dische Maler mit seinem abgeschnittenen linken Ohr in der Hand erschienen war, nennt sich jetzt Foyer van Gogh. Geliebt haben sie ihn nie, den "Fou roux". Zu¬viel Unruhe hatte er in die gemächliche Biederkeit ihrer beschaulichen Welt gebracht. Im Park vorm Antiken Theater steht ein kleiner Gedenkstein, Geschenk eines eng¬lischen (!) Earls. In einer Seitenstraße nennt sich ein Laden mit Reproduktionen und Kunstgewerbe Musée van Gogh... Damit hat sichs.

Place du Forum. Den mittäglichen Ansturm hungriger Touristen¬massen erwartend, ist der ganze Platz eine einzige große Freßkneipe. Frédéric Mistral blickt, majestä¬tisch auf seinem Denkmalsockel stehend, auf gedeckte Tische unter bunten Mar¬kisen. In riesigen Pfannen bruzzeln Paella und regionale Spezialitäten. Da wir pin¬keln müs¬sen, beschließen wir, wenigstens einen petit noir zu uns zu nehmen.
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© Klaus Bölling, Frankfurt 2002
 
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