deutsche Version

manasvi.com/manasvi.de
Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
©
Webmail
Rechtshinweis
Feedback
 
 

PROVENCE, September 1998

ein Reisebericht

1
2
3
4
5
6

Die kleine Kneipe, vor der wir sitzen, gehört einem Aficionado. Die Wände sind tape¬ziert mit Stierkampfplakaten und signierten Fotos von allen, die Rang und Namen ha¬ben in der Zunft. Untereinander spricht man Catalanisch.

Gleich nebenan van Goghs "Nachtcafé". Architektonisch kaum verändert nennt es sich heute "Café van Gogh" (Bravo!). Wir müssen dort aufs Klo gehen, da das in der Stierkampfkneipe verstopft ist. In die Kloschüsseln könnten Vincent und Gaugin schon gepinkelt haben...

Beim Durchqueren des Innenhofs, der zur Place de la Republique führt, treten wir kurz ins pompöse Treppenhaus des Rathauses und entdecken hinter schmiede¬eisernen Gittern eine atembe¬raubend schöne Venus aus Marmor. Gegenüber, als ästhetische Antithese, schleppt der Blinde einen Lahmen auf den Schultern. In die Kirche St. Trophime werfen wir einen flüchtigen touristischen Blick, der berühmte Kreuzgang macht zum Glück gerade Mittagspause. In einem historischen Innenhof, der jetzt zu einer Bank gehört, entdecken wir drei alte Holztüren mit winzigen Gitter¬fenstern und schweren Riegeln davor. Eine Steintafel sagt uns, daß hier die Arlesier eingesperrt wurden, ehe die Nazis sie ins KZ abtransportierten...

Wir bummeln weiter in Richtung Arena. Ehe wir das riesige Bauwerk überhaupt zu Gesicht bekommen, hören wir schon in der Seiten¬straße die hellen Fanfarenstöße, die eine neue Phase des Kampfes einleiten, das dumpfe Aufstöhnen der Zuschau¬ermenge, gefolgt von frenetischem Beifall, wenn die tödlichen Hörner des Stiers um Haaresbreite am Gemächt des Matadors vorbeiwischen.

Wir schlendern langsam um die Arena herum. Versuchen uns vorzustellen, was dort gerade passiert, machen Verrenkungen, um durch die zweitausend Jahre alten Rundbögen einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen, sehen aber nur ein paar Damen hinter der Zuschauer¬barriere, die sich mit bunten Fächern Luft zuwedeln. Dann wieder Fanfaren, Beifall rauscht auf. Der Stier ist tot. In der Straße unterhalb der steinernen Rampe, die um die Arena herumführt, helles Pferdegetrappel: auf einem mit Blech ausgeschlagenen Holzbrett liegend wird der tote Stier, alle Viere von sich gestreckt, im Galopp zum Metzger geschleift, der in den Kata¬komben der Arena auf ihn wartet. Morgen gibt es in den Restau¬rants und Charcuterien rund um die Arena frisches Bullenfleisch. Wer etwas auf sich hält, nagelt den blutigen Stierkopf auf ein Brett vor seinem Laden. Na ja!

Anmerkung: Die Kampfstiere der Camargue, ebenso wie ihre Artge¬nossen in Anda¬lusien, wachsen in völliger Freiheit auf riesigen Weideflächen heran. Ihre Bestim¬mung ist es, im gleißenden Sonnenlicht unter einem weiten blauen Himmel im Sand der Arena getötet zu werden. Und das nach genau zwanzig Minuten. Das ist die Zeit, die der Stier braucht, um zu lernen, daß nicht das rote Tuch der Feind ist, sondern der Mensch, der es schwenkt. Ließe man ihm nur 5 Minuten mehr Zeit zum Lernen, am nächsten Tag gäbe es Torerofleisch in den Metzgereien.

Immer wieder passiert es, daß stierkampfbegeisterte junge Männer sich heim¬lich auf eine Weide schleichen, um dort mit einem jungen Kampf¬stier zu "üben". Werden sie erwischt, gehts ab in den Knast. Werden sie nicht erwischt, schneiden sie fairerweise dem Stier ein Stück vom Schwanz ab, um dem Züchter zu zeigen, daß dieses Tier Menschenkontakt hatte und somit für die Arena nicht mehr geeignet ist. Dort würde es sich mit der Capa nicht mehr auf¬halten, sondern direkt auf den Mann gehen. Zwanzig Minuten also. Fünf Minuten etwa darf der Stier, ohne daß ihm ein Schmerz zugefügt wird, mit hocherhobenem Kopf seine geballte Muskelkraft und Eleganz demonstrieren. Er wird genau beobachtet, abtaxiert, ob das linke oder das rechte sein Angriffshorn ist. Von dieser Erkenntnis kann das Leben des Matadors abhän¬gen. Dann die Picadores, die auf ihren gepanzerten Schindmähren sitzend, dem edlen Tier ihre Lanzen in den Nackenmuskel wühlen. Das ist unappetitlich. Es folgen die Bande¬rillas. Das ist schmerzhaft. Aber er wird wilder dadurch. Jetzt kann er nur noch mit gesenkten Hörnern angreifen und der Matador muß, nachdem er mehr oder weniger elegant die rituellen Figuren am Stier ausgeführt hat, genau die winzige Stelle im Nacken für den Todesstoß fixieren. Ein guter Matador schafft das beim ersten mal. Ein schlechter... na ja, ein Pfeifkonzert ist ihm gewiß.

Wüßte unser Stier von qualvollen Tiertransporten, die tage- oder wochenlang übers europäische Schienennetz laufen, wofür, wenn er könnte, würde er sich entschei¬den? Für den anonymen Tod im Neonlicht der gekachelten Blutrinne irgendeines Schlacht¬hauses oder für die Arena?

Auf der Suche nach der Place Lamartine geraten wir in ein Gewirr von Gäßchen oberhalb der Arena. Eine freundliche Dame, deren Katze wir gerade strei¬cheln, beschreibt uns den Weg: genau in die andere Richtung... Wir schlendern zurück in die Unterstadt, trinken einen Schluck auf der Place Voltaire und schauen dann kurz durchs Stadttor auf die Place Lamartine. Genau gegenüber auf der anderen Seite des weiten, verkehrsreichen Platzes erkennen wir das rechteckige Haus, in dem van Gogh gewohnt hatte und auf dem jetzt das Logo des Crédit Lyonnais in der Sonne leuchtet. Wir verzichten darauf, den Platz zu überqueren, denn wir wissen, dass wir von van Gogh nichts mehr finden werden.

Bevor wir in die Gässchen der Altstadt abgebogen waren, hatten wir am Ende des Parkplatzes ein kleines Bistro bemerkt. Auf der Terrasse saß ein weißbärtiger alter Mann mit einer bunt bestickten Kappe auf dem Kopf, vor sich einen kleinen Roten. Wir grüßten freundlich, er lächelte zurück. Auf dem Rückweg zum Auto kommen wir wieder an dem Bistro vorbei, wo der alte Mann immer noch vor einem kleinen Roten in der Sonne sitzt. Wir sind uns sicher, daß er darauf lauert, fotografiert zu werden. Van Gogh hätte ihn be¬stimmt gemalt. Er erinnert sogar ein bißchen an das Portrait des Briefträgers Roulin... Die freundlich melancholischen Greisen¬augen folgen uns, ohne daß er die Haltung des Kopfes verändert. Erst nachdem wir an ihm vorbei sind, wir haben ihm wieder freundlich zu¬genickt, bedeckt er die uns zugewandte Seite seines Profils mit einem Tuch, wohl um uns zu verstehen zu geben, dass er nicht heimlich und ohne Honorar fotografiert werden möchte...

Auf dem Rückweg nach Stes. Maries entdecken wir einen Schleichweg, eine gut ausgebaute schmale Landstraße, die ein paar Kilometer abseits der Nationalstraße durch eine Gegend führt, wo rechts und links der Straße so selbstverständlich Fla¬mingos herumstehen, dass wir sie zuerst gar nicht bemerken. Sie sehen tat¬sächlich aus, wie auf den Postkarten. Der Kopf ist meistens nicht zu sehen, da er im seichten Wasser steckt, um nach Nahrung zu suchen. Wenn sich dann ein paar dieser lachs¬farbenen Vögel, schwerfällig und doch elegant, wie eine rosa Wolke in die Luft schwingen, bekommt man eine Ahnung davon, wie es am Morgen der Schöpfung ausgesehen haben mag...

Nach ein paar Kilometern eine kleine Parkbucht. Das was von der Camargue noch übrig ist, steht unter Naturschutz, d.h. man darf sich nur auf vorhandenen Straßen und Pfaden bewegen. Wir spazieren ein Stück durch die Landschaft und genießen zumindest die Stille, die durch einen Vogelschrei oder das dezente Rauschen des Windes im Schilfrohr noch verstärkt wird.

Kurz vor dem Camping fahren wir auf einen Parkplatz in den Dünen. Es stehen vielleicht fünf Autos dort, man kann sich aber vorstellen, wie es in der Hochsaison aussieht. Es ist sehr windig. Wir laufen trotzdem am Strand entlang bis zur Anlege¬stelle des Raddampfers, mit dem man über die Petit Rhone schippern kann.

Gegen die Mündung zu hört der Strand auf. Man hat ihn mit dicken Felsbrocken aufgefüllt, um Meer und Flußmündung in Einklang zu bringen. Das Meer donnert mit großem Getöse gegen die Felsen, auf denen mit stoischer Ruhe die Angler sitzen, lange Ruten ins Wasser halten und die Myriaden von Mücken ignorieren, vor denen wir schleunigst die Flucht ergreifen. Später erfahren wir, dass die Angler alle nicht bedeckten Körperteile mit Petroleum einreiben...

Der Parkplatz vor der Anlegestelle des Raddampfers läßt von der Größe her darauf schließen, dass die Fahrten sich großer, sehr großer Beliebtheit erfreuen. Wir können nur hoffen, dass diese im September ein bißchen abgenommen hat...

Pünktlich um 10.00 Uhr sind wir am Anlegesteg der "Tiki III". Die Sonne scheint, aber es weht ein ei¬siger Wind. Der Dampfer hat in der Mitte einen verglasten Aufbau, in den sich die Handvoll Passagiere zurückzieht, um dem Wind zu entkommen. Wäh¬rend wir auf die Abfahrt warten, wird es draußen lebendig: Offenbar ist ein Bus mit den Bewohnern eines Altenheims angekommen, die sich alle, zitternd vor Kälte, ebenfalls hinter das schützende Glas flüchten. Der Platz reicht gerade aus, dass alle einen Sitzplatz haben. Nun kommt allerdings eine weitere Busladung, die noch mehr nach Altenheim aussieht - und alle quetschen sich in den Glaskasten. Höf¬lich wie wir sind, überlassen wir und die anderen jüngeren Passagiere zähneknirschend unse¬re Plätze den älte¬ren Mitbürgerinnen und Mitbürgern und setzen uns nach vorne in den Wind. Da wir vorsichtshalber dicke Jacken mitgenommen hatten, ist es dann auch zu ertragen.

Die Petit Rhone versucht den Eindruck zu erwecken, als fließe sie durch "unberührte" Natur. Doch die zahlreichen Wochenendhäuschen und Anglerhütten am Ufer strafen diesen Eindruck Lügen. Trotzdem hat die Landschaft ihren besonderen Reiz. Die nicht begradigten Ufer sind mit niedrigem Buschwerk bewachsen, man ahnt weites flaches Land, über dem ein hoher zartblauer Spätsommerhimmel steht. Ab und zu macht uns eine Lautspre¬cher-Durchsage auf Graureiher, schwarze Stiere und weiße Pferde aufmerksam. Gehorsam fotografieren wir, obwohl wir wissen, dass ohne Tele¬objektiv auf den Fotos später kaum was zu erkennen sein wird.

Nachdem der Dampfer nach ca. einer Stunde gewendet hat, steuert er langsam eine freie Stelle am Ufer an. Hier löst sich das Rätsel, warum das Schiff im Bug einen ganzen Berg Heuballen mit sich führt. Ein stolzer Camargue-Cowboy, der Guardian, hat hinter einer Hecke verborgen, auf die Ankunft des Schiffes gelauert, um dann wie zufällig eine Handvoll Jungstiere und weiße Pferdchen vor die Objektive der Schiffs¬passagiere zu treiben. Ein Helfer wirft die Heuballen an Land, der Guardian auf seinem Pferd wirft sich in Pose und die Fotoappara¬te klicken. Ein Hauch von Disney-Land. Unsere erste Fotosafari. Wir sind entzückt.

Neben uns ein junges französisches Paar. Ehepaar, Liebespaar? Sie redet dann und wann halblaut auf ihn ein, er nickt, zuckt die Schul¬tern, starrt mit Tunnelblick andert¬halb Stunden vor sich hin, ohne einmal den Kopf zur Seite zu wenden, manchmal hat er die Augen geschlossen, dann ein träges Blinzeln, als hätte er das alles schon in einem anderen Leben gesehen. Es gelingt uns nicht herauszufinden, ob sie glücklich oder unglücklich aus¬sehen...

Nachmittags fahren wir nach Salin de Giraud. Am Straßenrand kann man Speziali¬täten aus der Provence kaufen. Eine reizende Dame kredenzt uns Muscat-Wein und Stierwurst, lecker aber teuer, wir kaufen Trauben, Pfirsiche, To¬maten, Herbes de Provence.....

Die 60 Kilometer bis Salin de Giraud führen durch einen Teil der Camargue, der noch recht intakt scheint. Dann und wann klettern wir auf einen der extra zu diesem Zweck am Straßenrand errichteten Hochstände, um Vögel und die kleinen "wilden" Pferde zu beobachten. Man wird fast betrunken vom Licht, von den Düften und den Farben. Die Stille, nur unterbrochen vom Sirren der Zikaden, verursacht ein sanftes Kribbeln im Bauch.

In den Salinen sehen wir die weißen Berge aus Myriaden von Salzkristallen vor den viiolett schimmernden, seichten Wasserflächen, die unbarmherzig das Licht und die Hitze reflektieren.

Zurück auf dem Platz erholen wir uns von dem anstrengenden Tag, schwimmen ein paar erfrischende Runden im Pool. Danach gibt es Spaghetti, Rotwein, Baguette, Käse, Trauben, Kaffee, wir leben wie Gott in Frankreich...

Heute fahren wir nach Aigues-Mortes. Das war vor Jahrhunderten Hafenstadt mit einem direkten Zugang zum Meer, welcher im Lauf der Zeit verlandete, daher der Name "Tote Wasser".Heute liegt es immer noch innerhalb einer impo¬santen mittelalterlichen Stadtmauer mit zahlreichen düsteren Festungstürmen. Wir schlen¬dern durch die recht leeren mittäglichen Gäss¬chen. Leider haben wir, da wir uns immer noch nicht daran gewöhnt haben, daß man überall eine Unsumme für Park¬platzgebühren zahlen muss, das Auto außerhalb der Stadtmauern auf einem Bus¬parkplatz abge¬stellt. Nun sind wir doch etwas beunruhigt, laufen deshalb zum Auto zurück und beschließen, uns Aigues-Mortes ein andermal in Ruhe anzuschauen.
1
2
3
4
5
6
© Klaus Bölling, Frankfurt 2002
 
Unsere Linkempfehlung: Reisespinne
 

separation

Copyright © 2002-2007. Alle Rechte vorbehalten.
WebDesign & WebHosting: nalukkettu consulting

manasvi.de