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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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Relzow, Rügen, September 2003

ein Reisebericht

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SO 31.8.2003
KB: Am frühen Nachmittag erreichen wir das Städtchen Naumburg, wo wir uns den Camping Blütengrund ausgeguckt haben. Rechts und links der Autobahn war der Himmel meist wolkenlos gewesen, nur direkt über uns schien sich ein endloses Wolkenband vom Atlantik bis zum Ural hinzuziehen, aus dem es dann und wann kräftig regnete. Nach 350 Kilometern stehen wir zwanzig Minuten vor Drei vor der geschlossenen Schranke des Campingplatzes. Wir fluchen ein bißchen über die Ossis, die unbedingt von 13 bis 15 Uhr Mittagspause machen müssen. Der Himmel ist zum ersten Mal heute von einem strahlenden Spätsommerblau, doch schiebt sich von Westen her ein schwarzes Wolkengebirge heran. Wir schicken Stoßgebete in den Äther, dass er seine Wassermassen zurückhalten möge, bis wir das Iglu aufgebaut haben. Punkt Drei geht die Schranke hoch. Wir zahlen 13 Euro fuffzig an einen gutmütig sächselnden Glatzkopf, der in der Rezeption freundlich grinsend unsere Personalien aufnimmt und sputen uns, das Iglu aufzubauen, denn der Himmel ist inzwischen ziemlich schwarz geworden. Als wir den letzten Hering in dem Grasboden, unter dem sich eine Betondecke zu befinden scheint, krumm geschlagen haben, fängt es an zu schütten. Wir flüchten ins Cockpit. Der Schauer ist schnell vorbei, und wir können Stühle und Tisch rausstellen, um die Blicke schweifen zu lassen und in Ruhe unsere aus Frankfurt mitgebrachten gebratenen Hühnerbeine zu verzehren. Wir sitzen auf einer freundlichen Wiese mit alten Bäumen. Das Ufer der Saale ist einen Steinwurf weit entfernt hinter Hecken verborgen. Junge Leute schleppen Kanus und schälen sich aus Schwimmwesten. Bis auf einen spanischen Motorradfahrer und ein junges englisches Pärchen, das später sein Iglu neben uns aufbaut, sind wir allein auf der Wiese. Die Sanitäranlagen sind eher primitiv. Die FKK-Dusche ohne Tür scheint noch aus DDR-Zeiten zu stammen. Der Tischtennisraum, in den ich einen kurzen Blick werfe, befindet sich in einem flachen Gebäude, das den Platz zum Naturschwimmbad hin abgrenzt und ist wie geschaffen, um ostalgische Gefühle aufkommen zu lassen. Von den schiefen, graubraunen Holzpaneelwänden blättert die Farbe, und es riecht nach Moder.

RR: Der gutmütig sächselnde Glatzkopf in der Rezeption hat ca. 10 Einstichlöcher in seiner rechten Ohrmuschel und Tätowierungen an den Unterarmen... So primitiv finde ich die Sanitäranlagen für „Damen“ nicht. Alles ist sauber, es gibt warmes Wasser und die Duschen, die übrigens nur auf einen 50-Cent-Chip reagieren, sind bei uns mit Vorhängen dekoriert. Den Chip sparen wir uns, da wir am nächsten Tag unter die Dusche in Relzow hüpfen werden.

KB: Die Saale, ein nicht sehr breites, träges Flüßchen kann man unweit des Platzes auf einer der letzten handbetriebenen „Gierseilfähren“ überqueren, man muss nur zwei an Ketten hängende rostige Eisenteile zusammenschlagen, dann holt der Fährmann über. Die Gartenkneipe am Fuß der Weinberge am anderen Ufer könnte uns zu einer Überfahrt verlocken, doch wir wollen uns erst Naumburg anschauen. Dort parken wir das Auto am Rande eines Parks, in dem sich die Gebäude der Staatsanwaltschaft und des Oberlandesgerichts befinden. Ein Gässchen mit Katzenkopfpflaster führt zum Dom, einer düster wirkenden, graubraunen Steinmasse mit vier Türmen über roten Ziegeldächern. Da die Besichtigungszeit gleich rum ist, wir auch nicht die Absicht hatten, Ablaß zu zahlen, damit wir das Innere des Doms sehen dürfen, werfen wir noch einen Blick in den frei zugänglichen Innenhof mit einer schönen alten Linde in der Mitte, gehen durch den mächtigen Kreuzgang und schauen uns die berühmte steinerne Uta auf einer Postkarte an, wo ihr Schmollmund im hübschen, herzförmigen Gesicht beeindruckt. Neben ihr stützt sich Gemahl Graf Ekkehardt aufs Schwert. Ums steinerne Haupt quellen Hippielocken, er hat ein Doppelkinn und Glubschaugen.

Durch den Steinweg und die Herrenstraße, beides Fußgängerzonen mit hübsch renovierten Häusern, in deren Erdgeschossen sich die üblichen Boutiquen und Cafés und die obligatorische Schlecker-Filiale befinden. Auf dem Marktplatz mit bunten Barock- und Renaissancefassaden findet gerade der Topfmarkt statt, der uns nicht groß interessiert. Das Weinfest auf dem nahen Holzmarkt liegt uns eher. Es werden Weine von Saale und Unstruth ausgeschenkt, und wir erinnern uns, schon einmal von diesem nördlichsten Weinbaugebiet Deutschlands und wohl auch Europas gehört zu haben. Wir kosten einen halbtrockenen Müller-Thurgau für 80 Cents und einen trockenen Gutedel für einen Euro fünfzig. Beide sind bestimmt zu schade, um exportiert zu werden. Allerdings bleibt auch kaum etwas übrig für den Export, denn der größte Teil wird gleich hier in der Gegend gesoffen. Im ein paar Kilometer entfernten Freyburg, dem Zentrum des Weinbaugebiets, wird übrigens der berüchtigte Rotkäppchen-Sekt produziert. Auf der Rückwand der Verkaufsstände hängt ein Schild Zum Weinfest ist das Biertrinken auf dem Platz untersagt...

Über die Marienstraße wandeln wir zum Marienplatz und werfen einen Blick aufs Marientor, das gerade Feierabend macht und freuen uns, dass die - jawohl - Marienkirche geschlossen hat. Auf dem Huppelpflaster der Marienmauer, die sich parallel zur alten Stadtmauer hinzieht, gelangen wir endlich nach Off-Marien, wo in dem Eckhaus Jacobsmauer/Weingarten Nietzsche aufgewachsen ist und wo wir nachvollziehen können, dass er nach einem Besuch bei Mutter und Schwester, zu der Erkenntnis gelangt sein muss, dass Gott tot ist. Ein Drittel der übrigen Gebäude in dieser nur geringfügig abseits der touristischen Trampelpfade gelegenen Gegend befindet sich in ziemlich erbärmlichem DDR-Urzustand, ist nur selten bewohnt, und meist sind die Fenster mit Brettern vernagelt. Viele Häuser möchten verkauft werden. Obwohl laut offizieller Web-Seite Naumburg ein Dienstleistungszentrum für den Burgenlandkreis, ein Standort für Maschinenbau und metallverarbeitende und bauhandwerkliche Betriebe ist, außerdem nahe bei Zeiss Jena liegt, nicht zu vergessen das Industriegebiet Halle-Leipzig mit den Leunawerken, scheint auch hier Geld knapp zu sein. Aber man kennt das ja. In Sindelfingen soll die Einnahme aus der Hundesteuer höher sein, als das, was Daimler-Chrysler an Gewerbesteuern zahlt... Über die Höhe der Arbeitslosigkeit gibt die Web-Seite leider keine Auskunft. Die Menschen machen keineswegs einen verbitterten Eindruck. Das mag daran liegen, dass die Stadt von Weinbergen umgeben ist... Skins oder Punks sieht man auch nicht. Vielleicht dürfen die sonntags und vor allem, da notorische Biertrinker, während des Weinfests nicht... Nach zweieinhalb Stunden Naumburg freuen wir uns auf die stille Wiese, wo wir bis 23 Uhr, nur einmal von einem kurzen Regenschauer gestört, unter den alten Bäumen und einem funkelnden Sternenhimmel sitzen, Rotwein trinken und uns freuen, dass wir die ganzen Ferien noch vor uns haben.

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© Klaus Bölling, Frankfurt 2003
 
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