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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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Relzow, Rügen, September 2003

ein Reisebericht

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MI 17.9.03.
Westwind. 15 Grad. Bedeckt.

Auf dem Weg nach Groß Zicker schauen wir uns bei Lobbe das große Windrad an, an dem wir schon mehrmals vorbeigefahren sind. Es ist das letzte von ehemals 33 Windschöpfwerken, die auf Rügen betrieben wurden, um etliche Hektar Polderland zu entwässern. Heute machen das von Elektromotoren angetriebene Schöpfwerke mit Propellerpumpen. Die bis zur Achse der Windrose 14 Meter hohe Konstruktion erinnert an die Windräder, wie man sie von den Balearen kennt.

Auf dem alten Gottesacker um die kleine Kirche von Groß Zicker stehen ehrwürdige, verwitterte Grabsteine aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Das Kircheninnere hat einen rustikalen Charme. Die aus Eichenholz geschnitzte Kanzel stammt aus der Zeit kurz nach dem dreißigjährigen Krieg und ist mit bäuerlicher Ornamentik bemalt. Noch interessanter ist ein aus einem Eichenstamm gehauener Sakramentsschrein mit von eisernen Bändern gehaltenen Türen, der zur Aufbewahrung von Kultgegenständen diente. Wie alles auf der Mönchgut-Halbinsel hat auch das Kirchlein mit der Aktivität der Mönche des ehemaligen Zisterzienserklosters Eldena bei Greifswald zu tun. Mit dem Bau begonnen wurde um 1350. Bis vor kurzem noch schmückten den Chorraum kleine, buntbemalte runde Glasfenster, die um 1600 in Holland entstanden sind. Heute hängen an der Wand der winzigen Sakristei nur noch die Fotos dieser Fenster, die aus Sicherheitsgründen vor einigen Jahren ausgebaut werden mußten und jetzt im Pfarrhaus aufbewahrt werden. Wir finden diese Fenster deshalb bemerkenswert, weil sie keinerlei christliche Thematik aufweisen. Man sieht die Wappen der Schneiderzunft von 1595. Auf einer der runden Scheiben sind Segelschiffe im Sturm dargestellt, und ganz im Stil der detailversessenen holländischen Genremalerei dieser Zeit kann man miterleben, wie ein Mann von der Mastspitze in die Tiefe stürzt...

Unweit der Kirche führt ein Wanderweg in die Zicker Berge. Über einen sanft ansteigenden Feldweg, der sich durch ein kleines Laubwäldchen und über Wiesen mit Magerrasen schlängelt, gelangen wir zum höchsten Punkt der Gegend, dem 69 Meter über NN liegenden Bakenberg. Leider scheinen nicht nur Schafe sondern auch die kleinen gefügelten Teufel diesen Ort zu schätzen. Mit den Armen wedelnd versuchen wir uns einzureden, dass der Ausblick auf die hügelige Endmoränenlandschaft mit Meer und Bodden zauberhaft ist, doch ist das ständige Umsichschlagen nicht dazu angetan, einen ungestörten Naturgenuß zu gewährleisten. Zu DDR-Zeiten soll auf dem ca. 20 mal 20 Meter messenden Plateau des Bakenberges ein weithin sichtbarer, grauer Betonklotz gestanden haben, der ein Trinkwasserreservoir enthielt. Dieses Ding hat man nach der Wende dankenswerterweise in den Boden versenkt. In vorindustrieller Zeit stand hier eine Baake, eine Landmarke, die den Seeleuten als Orientierungshilfe diente. Leider hindern uns auf dem Rückweg zum Parkplatz Mückenschwärme daran, nach der seltenen Vegetation, die es hier geben soll, intensiver Ausschau zu halten. Da Kirchen die einzigen mückenfreien öffentlichen Räume auf der Halbinsel Mönchgut zu sein scheinen, schauen wir noch in die hinter dem historischen Schulhaus verborgene Kirche in Middelhagen rein, die Menzel und Feiniger für Wert befunden hatten, von ihnen gezeichnet zu werden. Sie ähnelt der in Groß Zicker, nur dass hier das Modell eines Segelschiffs von der Decke hängt und vorm Eingangsportal sich eine rotgetigerte Katze in der Sonne räkelt.

Nachmittags Spaziergang am Strand, wo es an manchen Stellen von Quallen wimmelt. Fressen Quallen Mücken? Die halten sich nämlich in Grenzen heute. Allmählich beginnen wir uns auf ein mückenfreies Frankfurt zu freuen.

RR: Direkt am Eingang des Campingplatzes am Rande einer Wiese steht ein einsamer Sanddorn-Strauch. Hier ist ein junges Paar mit zwei Kindern damit beschäftigt, mit bloßen Händen die gelb-orangenen Beeren zu ernten. Wir erinnern uns an Vor-Wende-Zeiten, als Sanddorn-Saft in der DDR ein gesundes, preiswertes National-Getränk war, in der BRD dagegen im Reformhaus in kleinen Fläschchen sündhaft teuer angeboten wurde.

DO 18.9.03.
KB: Am Strand hat vormittags der Wind die Mücken vertrieben. In Göhren schließen die Museen um 17 Uhr, und es ist 16 Uhr 50 als wir ankommen. Wir bummeln über die Hauptstraße bis zum Anfang der Strandpromenade. Die Bäderarchitektur ist sehr hübsch, und die Schlecker-Filiale macht Umsatz mit Mückenspray. Die Urlauber sehen nicht sehr erotisch aus. Man sieht ihnen an, dass sie sich in den Ferien um das eigentliche Leben genau so beschissen fühlen, wie sie das zu Hause tun. Nur wagen sie hier noch nicht mal zu ahnen, dass es so sein könnte. Das verleiht den meisten Gesichtern beim Eisessen im Gehen einen Ausdruck gereizter Zufriedenheit.

RR: Auf dem Rückweg hüpfe ich noch schnell in den Thiessower Spar-Laden. Dort entdecke ich, flankiert von Regalen, einen standhaften braunen Kachelofen, den ich bisher übersehen hatte. Nostalgischer Augenblick…

KB: Abends kündigt sich ein Sonnenuntergang der Extraklasse an. Über den Deich, der Thiessow im Norden gegen etwaige Sturmfluten schützt und die beiden Ortsenden tangential auf kürzestem Wege verbindet, arbeiten wir uns durch Wolken blutgieriger Mücken, die in den feuchten, von der Sonne üppig bestrahlten Salzwiesen die ideale antiautoritäre Kinderstube vorfinden, in Richtung Surf Oase voran, wo am Horizont des Greifswalder Bodden die Sonne ihren effektvollen Abgang inszeniert. Es ist völlig windstill, was die Blutsauger und uns zur Raserei treibt. Die Hoffnung, dass am Strand weniger Mücken seien, erweist sich als nichtig. Das wird auch daraus ersichtlich, dass hier, wo sich bei einem solchen Sonnenuntergang die Urlauberpopulation klumpen würde, nur ein einsamer Mann bis an die Brustwarzen in der Ostsee steht, die Videokamera unverdrossen auf das Untergangsspektakel gerichtet, während seine Frau mit Hund und Armen wedelnd hektisch an der Wasserlinie auf und ab rennt. Nachdem unsere Pentax alles dokumentiert hat, überlassen wir die Sonne ihrem einsamen Schicksal und machen uns, unfeine Worte murmelnd, auf den Rückweg. Durch die vielen überflüssigen, da nutzlosen Bewegungen geraten wir heftig ins Schwitzen, was die Mücken zu Höchstleistungen anspornt. Auf dem Platz angekommen, gibt es kaum noch welche. Wir sitzen trotzdem dick eingepackt unter dem Sternenhimmel und freuen uns auf Frankfurt. (O-Ton-Tagebuch RR: Nachts 15 Grad. KB tapfer im Skianzug!)

FR 19.9.03.
RR: Um 8 Uhr ist es windig bei 16 Grad Wir fahren früh nach Göhren und schauen uns im Heimatmuseum eine Küche aus altdeutscher Zeit, die gute Stube, verschiedene Seemannskisten, Bernsteine und Versteinerungen an. Selbstverständlich haben die Kurgäste auch vor 100 Jahren schon Ansichtskarten verschickt und Kurtaxe entrichtet. Damals allerdings wurde ein Kurbuch geführt, in dem alle Gäste incl. der Höhe ihrer Kurtaxe penibel aufgelistet wurden. Besonders faszinierend sind die alten Trachten. Wir stehen grübelnd vor Fausthandschuhen mit zwei Daumen und stellen schon Überlegungen an, ob die Rügener mit dieser körperlichen Anomalität gesegnet bzw. geschlagen waren, da fühlt sich die apfelbäckige Kassiererin verpflichtet, uns aufzuklären: wenn die eine Seite nass war, konnte man die Handschuhe einfach umdrehen. Wow!

KB: Im Fischgeschäft gegenüber dem Museum kaufen wir Zanderfilet, den wir abends, nachdem wir ihn tagsüber im erst morgens entdeckten Gemeinschaftskühlschrank gelagert hatten, braten. Der Wind kommt aus Nordwest, und wir sind froh, dass uns der breite Rücken des nachbarlichen Caravans ein bißchen Schutz gewährt. Mittags am Strand ist es nicht so stürmisch, da wir im Windschatten der Dünen liegen. Abends Mücken, doch hat das Thema keinen Unterhaltungswert mehr.

RR: Am Strand fiel uns ein Pärchen auf, Mitte bis Ende zwanzig, beide recht üppig tätowiert. Am Nachmittag kommen sie in einem Bus auf den Platz gefahren und schlagen auf einem Standplatz mit Stromanschluss in unserer Nähe ein kleines Zelt auf. Als ich später zur Toilette marschiere, sehe ich sie unbeweglich im Auto sitzen und in eine kleine Glotze starren, die hinter der Windschutzscheibe installiert ist. Als ich KB davon erzähle, meint er, sie hätten vorhin schon einen Elektro-Grill auf dem Tisch stehen gehabt und Würstchen gebraten.

Bei unseren Nachbarn aus RT, deren Caravan wir als Windschutz in Anspruch nehmen, werden auf einmal die Fenster aufgeklappt und Lachen ist zu hören. Wir können es nicht fassen und stellen fest, dass sie Besuch bekommen haben. Auf dem Platz sitzt sie gewöhnlich nur im Caravan, er stellt sich auch mal einen Stuhl raus, um zu lesen. Ist das Wetter sonnig und warm, wandern sie, voll bepackt, für 2 Stunden an den Strand, wo er für sie eine Liege aufbaut, auf der sie, ihre üppigen Formen in lange Hose und langes T-Shirt gehüllt, ruht.

SA 20.9.03.
KB: Um halb sieben stehen wir auf und sind kurz nach acht Uhr abfahrbereit. Da Arbeiten wie Zeltabbauen und Autopacken meist mit dem gleichzeitigen Gebrauch beider Hände und Arme verbunden sind, bin ich für Sekunden immer wieder hilflos den Angriffen der Mückenschwärme ausgeliefert, was mich mehrmals fast an den Rand eines Tobsuchtsanfalls bringt. Doch mein Herumbrüllen und die Tatsache, dass ich mit dem Handtuch wild auf das arme Auto einprügele, beeindruckt sie nicht. Als wir zur Rezeption rollen, um auszuchecken, ist die Acht auf dem Schildchen, wo die morgendliche Öffnungszeit angegeben ist, mit einer Neun überklebt, da seit zwei Tagen die Nachsaison begonnen hat. Am Rande eines Nervenzusammenbruchs vernichte ich das Rezeptionsgebäude samt angrenzendem Campingplatz mit einem mentalen Flammenwerfer, gehe dann aber doch lieber für die restliche halbe Stunde auf dem Deich spazieren, wo es heute Morgen keine Mücken gibt, die lümmeln alle vor der Rezeption. Wir hätten einfach losfahren und das Geld von Frankfurt aus überweisen sollen. Doch dazu sind wir zu altmodisch. (RR: Wenn ich KB nicht schon so lange kennen und mich seit 25 Jahren in Gelassenheit üben würde, wäre dieser Morgen mal wieder ein Scheidungsgrund gewesen.)

Der Tag geht dann auch so weiter. In Putbus ist die Straße nach Garz und damit der kürzeste Weg zur Fähre gesperrt. Die Umleitung führt über Bergen, was einen Umweg von mindestens 30 Kilometern bedeutet. Das wäre eigentlich kein Problem, doch dadurch passiert genau das, was wir hatten vermeiden wollen: hinter Bergen landen wir zwangsläufig auf der Bundesstraße, die zum Rügendamm führt. Und die ist dicht. Blech an Blech quält sich an einer Unfallstelle vorbei. Ein Schleichweg, den wir uns auf der Karte ausgeguckt haben, ist ebenfalls gesperrt. (RR: Dieser Schleichweg führt durch ein Dorf, wo man gerade dabei ist, die eine Straßenhälfte für normale Autos passierbar zu machen. Leider ist erst ein Viertel der Strecke fertig gestellt und wir rumpeln mit 5 kmh vorwärts - bis ein Schild uns die Weiterfahrt versperrt. Hinter uns rumpelt eine Familie im Volvo-Kombi. Wir lächeln uns gequält zu, während wir wenden, um zurückzufahren). Eine Frau, die wir später auf der Fähre treffen, sagt uns, sie wäre in Putbus einfach weiter gefahren und ohne Probleme durchgekommen. Klar, man vergißt immer, dass die Anwohner ja auch irgendwie durch müssen. Um halb zwölf sind wir wieder auf dem Festland, zwei Stunden später als geplant. Damit ist der Besuch Barlachs in Güstrow gestorben. Über die Mecklenburgische Schweiz, deren weite Hügellandschaft uns beeindruckt, fahren wir auf die A 19 und sind am späten Nachmittag in Naumburg, wo wir uns auf dem Camping Blütengrund installieren.

Hier sieht es heute etwas anders aus als beim letzten mal. Die Wiese ist voller Iglus und kleiner Zelte. Die meisten Besucher sind Kanufahrer, die das Wochenende hier verbringen und vor allem in den Gemeinschaftseinrichtungen eine fröhliche Jugendherbergsatmosphäre schaffen. Bei den Klos und Duschen ist ein lautstarkes Kommen und Gehen. Noch in Hörweite unseres Iglus steht ein Wohnmobil, wo ein Vater mit vier Kindern im unteren problematischen Altersbereich residiert. Er hat offensichtlich Besuch von einem Paar, das zwei Kinder ähnlichen Kalibers in die Wochenendgemeinschaft eingebracht hat. Die Kids sind eindeutig in der Überzahl und dementsprechend sehr lebhaft und spielen bis weit in die hereinbrechende Dunkelheit hinein vor den Waschräumen Fangen, wobei sie mit Begeisterung auf die Eisenbleche hopsen, die die Kanalisation abdecken, was allerliebste, das vegetative Nervensystem etwas aus dem Gleichgewicht bringende Geräusche verursacht. Manchmal greift einer der Erziehungsberechtigten ein, und dann hört man Sätze wie dasgähdrgornischdan oder Jäzzobarzaggisch... Nachdem der Besuch weg ist, fängt der alleinstehende Vater seine Brut ein und bringt sie zu Bett. Man hört nur noch das leise Rauschen der Bäume, dann und wann ein halblautes Wort, und wären nicht die Berliner Nachbarn gewesen, die um Feuer bitten und die neueste Entwicklung auf dem Gebiet der Taschenlampentechnik erklären müssen, hätten wir im Dunkeln das Gefühl gehabt, wieder ganz allein auf dem Platz zu sitzen. Als wir Duschen gehen, erwartet uns eine angenehme Überraschung. Wir hatten uns diesmal an der Rezeption wieder zwischen zwei Arten von Duschen entscheiden können (jede mit anderen Chips) und stellen fest, die sogenannten ‚neuen’ Duschen sind in Wirklichkeit die alten DDR-FKK-Duschen, wo man unlängst nur neue Rohre verlegt hatte, während die sogenannten ‚alten’ Duschen, für die wir uns diesmal entschieden haben und die wir gar nicht bemerkt hatten beim ersten mal, da sie in einem abseits gelegenen Gebäude untergebracht sind, die wirklichen neuen Duschen sind, die allen Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden...

SO 21.9.03. Um halb sechs sind wir wach, um halb sieben stehen wir auf. Die Sonne scheint, wir haben 10 Grad. Wir frühstücken ein bißchen Brot und Käse. Wir werfen noch einen schnellen Blick in das ‚Naturschwimmbad’, das vom Platz aus zugänglich ist. Aufgrund der langanhaltenden Trockenheit ist das Schwimmbecken zu einem kleinen schlammigen Tümpel ausgetrocknet. Dann fahren wir vor zur Kneipe gegenüber der Rezeption, um einen Kaffee zu trinken. Der Wirt, in einem Alter zwischen fünfundvierzig und fünfundsiebzig, scheint heute Morgen das Wort Kaffee zum ersten mal in seinem Leben zu hören, und es dauert daher etwas länger, bis er zur Kaffeemaschine geschlurft ist, um das heiße Gesöff mit zitternden Händen in die Tassen zu gießen. Am Nebentisch eine mürrische Frau mit einem fetten Knaben. Sie schaufeln Wurst- und Marmeladenbrote rein. Dazu trinkt der Kabe einen Liter Coca Cola. Eine Flasche Sprite bestellt er zum mitnehmen. Die Mutter zahlt und schweigt.

Um neun Uhr fahren wir los. Da es ein schöner Spätsommertag zu werden verspricht, wollen wir noch ein bißchen Natur mitnehmen und beschließen, über kleinere Landstraßen in Richtung Weimar zu fahren, wo es dann auf die Autobahn gehen soll. Eine Umleitung schickt uns hoch in die Weinberge überm Saaletal, von wo aus wir einen grandiosen Blick auf Naumburg ins zerebrale Bildarchiv aufnehmen. Für ein Foto mit der Pentax steht leider die Sonne zu ungünstig. Unter einem hohen blassen Himmel fahren wir durch eine kaum bewaldete, sanft gewellte Hügellandschaft. Am Straßenrand öfter eines der braun grundierten Schilder, die auf Touristisches hinweisen. Zwei gekreuzte Säbel deuten auf Schlachtfelder hin. Wir haben erst mal ein Fragezeichen im Kopf, doch als ein Hinweisschild nach Auerstedt weist, macht es im Abiturientenhirn Klick und die grauen Zellen spucken gut dressiert den Begriff Schlacht bei Jena und Auerstädt aus. Um unsere historische Gaffsucht zu befriedigen, nehmen wir ein paar Kilometer Umweg in Kauf und fahren durchs Dörfchen Auerstedt (heute mit e damals mit ä) hindurch, doch ein Schlachtfeld finden wir nicht, die Toten sind alle bestattet. Man hatte ja fast zweihundert Jahre Zeit. Am 14. Oktober 1806 besiegte das Heer Napoleons, das sich auf dem Weg nach Rußland befand, einen Teil der preußischen Armee bei Jena und den anderen Teil bei Auerstädt. Es war eine vernichtende Niederlage, und Preußen spielte fortan nur noch in der zweiten Liga. Deshalb mutet die Inschrift des Denkmals in Auerstedt etwas großkotzig an. Preußens Aar flog über Auerstedts Gefilde nach Sedan. Dazu brauchte er zwar vierundsechzig Jahre, aber dafür war die Rache der Preußen fürchterlich und der Krieg von Siebzigeinundsiebzig ein Höhepunkt der deutschfranzösischen ‚Erbfeindschaft’, übertroffen nur noch von Weltkrieg I und II. Während wir in Gedanken versunken das Denkmal umrunden, kommt ein Mann, ein Fahrrad schiebend, auf uns zu und sagt, nachdem er freundlich einen guten Morgen gewünscht hat, dass seine Frau in zehn Minuten das Museum aufmacht, das sich im damaligen preußischen Hauptquartier, einem ehemaligen Kloster, befinde, dessen finstere Mauern auf das Denkmal herabblicken. Um auch was zu sagen, sage ich so was wie Hier hamse sich also gekloppt - zwischen Jena und Auerstädt... was heftig verneint wird, bei Jena und Auerstädt... Ich: Stimmt, so hab ichs in der Schule gelernt. Er erzählt noch von einer Tochter, die in Herborn wohnt, und die er ab und zu besucht. Er fährt nach Möglichkeit auch nur Sonntags, wegen der LKWs. Damit sind wir wieder im Jahre 2003 angelangt, und in Anbetracht der sich abzeichnenden Hitze beschließen wir, das Museum im ehemaligen preußischen Hauptquartier sein zu lassen. Wir fahren schleunigst auf die Autobahn, und sind um zwei Uhr nachmittags und 2533 Kilometern mehr auf dem Tacho in Frankfurt.

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© Klaus Bölling, Frankfurt 2003
 
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