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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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Venedig, Mai 2007

ein Reisebericht

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RR = Renate Rüthlein
KB = Klaus Bölling



… Wasser, das bei Ebbe wieder zu Land wird, nassem Land aus saugendem
Schlamm, Jagdrevier des Dunklen Wasserläufers, des Rotschenkels, des
Strandläufers auf ihrer ewigen Suche nach Würmern und kleinen Muscheln. Sie
waren die ersten Bewohner, und vielleicht, wenn die Stadt dereinst wie eine
unendlich verlangsamte Titanic wieder im weichen Boden versinkt, auf dem sie jetzt
noch zu schwimmen scheint, werden sie auch die letzten sein, als habe die Welt
zwischen diesen beiden Augenblicken etwas geträumt, das unmöglich ist, einen
Traum von Palästen und Kirchen, von Macht und Geld, von Herrschaft und
Niedergang, ein Paradies der Schönheit, das aus sich selbst vertrieben worden ist,
weil die Erde ein so großes Wunder nicht ertragen konnte.

Cees Noteboom SO 31.8.2003


KB: Bereits vor knapp dreißig Jahren waren wir, mehr oder weniger zufällig, schon einmal in Venedig gewesen. Wir waren damals, im Sommer 1978, unterwegs nach Süditalien, und da es direkt am Wege lag, dachten wir, schauen wir uns auch Venedig an, parkten das Auto auf dem Festland und fuhren mit einem kleinen Schiff durch die Lagune nach San Marco. Nachdem wir Zarina, die sechs Jahre alt war, zwei Stunden lang bei brütender Hitze von Eisbude zu Eisbude geschleppt hatten, wagten wir, aus einer engen, bis zur Schmerzgrenze von halbnackten Touristen angefüllten Gasse kommend, einen Blick auf den Markusplatz, sahen aber nicht viel mehr, als ungefähr hunderttausend Menschen, die Schulter an Schulter standen und nach irgendwas die Hälse reckten. Über ihnen eine Milliarde kreischender Tauben, die der amorphen Masse aus menschlichen Leibern auf die Köpfe schissen. Erschrocken nahmen wir den nächsten Vaporetto zurück zum Auto und schworen uns: hier kommen wir noch mal her, zu einer anderen Jahreszeit und - ohne Kinder…

MO 14.5.2007 Es waren also durchaus gemischte Gefühle mit denen wir in Frankfurt den Airbus bestiegen. Die Erwartung, etwas Einmaliges zu sehen, war groß, die Angst, enttäuscht zu werden, ebenso. Ich war darüber hinaus nach allem, was ich über die Stadt gelesen hatte, und aus einer daraus resultierenden spätpubertären Trotzreaktion heraus, wild entschlossen, Venedig abscheulich zu finden.

RR: Ich hatte versucht, ähnlich wie KB, mir Venedig so schlimm wie möglich vorzustellen, um nicht zu sehr enttäuscht zu werden. Ich sah uns im Geiste, wie wir von Touristenmassen durch stinkende Gassen geschoben wurden, Essen und Trinken unbezahlbar und nirgends eine Toilette…

KB: Auf Marco Polo hatte der Flieger nicht gleich eine Landeerlaubnis bekommen und musste eine Runde über der Lagune drehen. Einem toten Fisch gleich, der, auf der Seite liegend, auf dem graugrünen Wasser schwamm, sahen wir unter uns die Stadt.

Der Flughafen war überschaubar. Am Informationsschalter holten wir uns Tickets (2 €) für den Bus Nr. 5, der uns in einer dreiviertel Stunde, wovon er knapp die Hälfte der Zeit im Stau stand, nach Venedig brachte. Wer es sich leisten konnte, nahm einen Vaporetto (12 €) oder ein Wassertaxi (100 €) nach San Marco. Das war die standesgemäße Art, sich Venedig zu nähern. Mit dem Bus, der sich tapfer durch verstaubte Wohn- und Gewerbegebiete hindurch quälte, betrat man es quasi durch den Hintereingang.

Es war früher Vormittag, und die Piazzale Roma, wo aller Autoverkehr vom Festland endet, lag im milden Licht des Maimorgens unter einem dezenten Schleier aus Dieselabgasen. Wir waren entschlossen, dem Chaos mit souveräner Gelassenheit zu begegnen. Zwischen Andenken- und Getränkebuden, die die eine Seite des Platzes beherrschten, führten ein paar flache Treppenstufen zum Ufer eines Kanals hinab, wo wir uns in den winzigen Schatten eines grauen, stachligen Baumes quetschten und eine Zigarette rauchten, jeden Augenblick damit rechnend, dass jemand auf uns zu käme, um uns darauf aufmerksam zu machen, dass Rauchen in der Öffentlichkeit nicht erlaubt sei.

Obwohl wir sicher waren, dass uns nur ein paar Schritte vom „wirklichen“ Venedig trennten, galt es doch als erstes, den Bus der Linie 53 nach Padua zu finden, denn irgendwo zwischen Venedig und Padua sollte am Ufer der Brenta in einer Villa aus dem 18.Jahrhundert ein Zimmer für uns reserviert sein. Nach längerem, intensiven Umherschlendern wurde es zur Vermutung, dass nur die mit einem grünen C 4 gekennzeichnete Haltestelle in Frage kam. Zur Gewissheit wurde es, als dort tatsächlich ein Bus hielt, der nach Padua fuhr.

Während RR, unter dem weithin leuchtenden grünen C 4 stehend, unser Gepäck bewachte, machte ich mich an einem Bauzaun entlang, hinter dem Pressluftbohrer in Beton wühlten, auf den Weg zum Ticketschalter der venezianischen Verkehrsgesellschaft ACTV. Der Mann hinter der Glasscheibe sprach kein Englisch. Ich versuchte, ihm mit meinem weitgehend aus Verdiopern herrührenden Italienisch klar zu machen, was ich wollte: Tickets für einen Bus, der in Richtung Padova fuhr, aber bitte nicht über die Autobahn, sondern über eine Landstraße, wo es irgendwo zwischen den Ortschaften Mira und Dolo eine Haltestelle geben musste, die sich Casello 12 nannte und im Ortsteil Cesare Musatti liegen sollte. Namen, die dem Herrn hinter Glas offensichtlich genauso wenig sagten wie mir. Etwas genervt und mürrisch ließ er, gewillt den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, seinen Computer zwei Tickets nach Padova ausspucken. Was ich umgehend reklamierte, woraufhin er die Tickets seufzend zusammenklammerte und in eine Schublade legte. Wo wir denn nun hinwollten. Nach Padova oder Dolo. Nach Dolo sagte ich mutig, obwohl ich gar nicht mehr sicher war, ob wir wirklich dahin wollten. Wie dem auch sei, ich hatte zwei Fahrscheine für je 2 Euro 80 in der Hand. Dolo konnte also nicht sehr weit sein. Als wir schließlich in den Bus nach Padua einstiegen, zeigte ich dem Fahrer den Zettel mit dem Namen der Haltestelle und meinte, die Andeutung eines Kopfnickens wahrzunehmen.

Kurz nachdem wir den Damm, der Venedig mit dem Festland verbindet, passiert hatten, standen wir bei Porto Marghera im Stau einer einspurigen Baustelle. Bei der Gelegenheit konnten wir das Panorama des Industriegebiets von Marghera und Mestre ausgiebig betrachten. Was sich hier an Dämpfen und Schwaden, die den Schloten und Kraftwerkstürmen entwichen, dem überwältigten Auge darbot, war im Wortsinne atemberaubend. Hinter einem Metallgitterzaun, vor dem an strategisch günstigen Stellen der Straßenstrich von Mestre Aufstellung genommen hatte, sah man das kilometerlange Durcheinander von horizontalen und vertikalen Rohrleitungen der größten petrochemischen Anlage Italiens in den bleifarbenen Himmel ragen, der bis zum Horizont von Hochspannungsleitungen zerrissen war. Später waren wir froh, dass wir jeden Tag zweimal hier vorbei fahren mussten, denn dadurch war die Gefahr, in Venedig die Bodenhaftung zu verlieren, entschieden verringert worden.

Als wir die Baustelle endlich hinter uns hatten, ging ich noch mal nach vorn, um den Fahrer daran zu erinnern, dass er Bescheid sagen sollte, wenn wir aussteigen mussten. Diesmal bekam ich ein fast wahrnehmbares Nicken als Reaktion. Nach insgesamt annähernd einer Stunde Fahrtzeit klopfte er schließlich an die Scheibe seiner Fahrerkabine und gab mit einer lässigen Kopfbewegung zu verstehen, dass die nächste Haltestelle die unsere sei.

Es war inzwischen High Noon, die Sonne stand sehr hoch am milchigen Himmel. Zwischen Straßenrand und dem schmiedeeisernen Vorgartengitter einer einstmals herrschaftlichen Villa war ein ungefähr eineinhalb Meter breites, staubiges Niemandsland, an dem der Autoverkehr zwischen Venedig und Padua vorbei dröhnte. Wir mussten eine Lücke in dem fast endlosen Fahrzeugstrom abwarten, um auf die andere Straßenseite zu gelangen, wo die Ausbuchtung eines Parkplatzes war und am Fuße einer steilen, mit dürrem Gras bewachsenen Böschung, gesäumt von alten Weiden, die Brenta floss. Die Weiden waren auf dem Höhepunkt ihrer Fruchtbarkeit und hüllten uns in ein fröhliches, weißes Pollengestöber, das Augen und Nase verklebte und überall an den Klamotten haften blieb. Im mageren Schatten eines dieser Fruchtbarkeitsungeheuer rauchten wir gierig eine Zigarette und begannen, nach unserer Villa Ausschau zu halten, die fünfzig Meter von der Haltestelle entfernt sein sollte. Und in der Tat, in einem der Vorgärten konnte man mit etwas Phantasie den auf ein Holzschild gemalten Schriftzug „Villa Gasparini“ erkennen.

Der Straßenlärm war wie abgeschnitten, als wir die doppelt verglaste Eingangstür hinter uns geschlossen hatten. Ein freundlicher junger Mann, der ein passables Englisch sprach, bestätigte unsere Buchung und führte uns in Zimmer 101, das direkt neben der Rezeption zur Straße hin lag. Das Mobiliar war nachgemachtes 18. Jahrhundert in Weiß und Gold und Grün mit zierlich geschweiften Kanten. Der Flachbild-Fernseher auf dem zerbrechlichen Sekretär war nicht nur ein Stilbruch, sondern nahm auch noch viel Platz weg, den man als Ablagefläche gebraucht hätte. So wurschtelten wir ziemlich erschöpft und mürrisch auf engem Raum herum und versuchten, unsere wenigen Sachen zu verstauen. Rauchen durfte man nicht, da an der hohen Decke zwischen den Originalbalken von 1700 ein Rauchmelder installiert war, worauf uns der freundliche Herr am Empfang gleich hingewiesen hatte. Wir hatten zwar ein Raucherzimmer gebucht, aber so etwas gab es hier gar nicht. Rauchen konnte man nur auf der kleinen, ein paar Schritte von unserem Zimmer entfernten Terrasse, wo man an zierlichen schmiedeeisernen Tischen auf zierlichen schmiedeeisernen Stühlchen saß, die hart und unbequem waren, was aber nicht weiter störte, denn wegen des Lärms auf der nur fünf Schritte von der Terrasse entfernten Landstraße konnte man es eh nur auf eine Zigarettenlänge aushalten.

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© Klaus Bölling, Frankfurt 2007
 
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