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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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Nordfrankreich - Argonner Wald, September 2000

ein Reisebericht

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Verdun

Seit einer halben Stunde fahren wir durch das leuchtende Grauweiß, die staubigen Grün- und hellen Ockertöne der Champagne. Dann und wann am Straßenrand ein Soldatenfriedhof aus dem Ersten Weltkrieg. Sind die Kreuze schwarz, so handelt es sich um einen deutschen Friedhof, die Kreuze der Alliierten sind weiß, denn laut Versailler Vertrag war für die Kennzeichnung der deutschen Kriegsgräber die Farbe Schwarz als Zeichen der Schande vor¬gesehen worden...

Hinter St.Menehould biegen wir ab in den Argonner Wald, der anfangs einen freund¬lichen Eindruck macht, dann aber, je höher wir kommen, immer düsterer wird und ganz dem entspricht, was wir uns unter ihm vorgestellt hatte. Überall Hinweisschilder zu den Schlachtfeldern des ersten und zweiten Weltkriegs. In Varennes-en-Argonne finden wir auf dem Camping Municipal einen wunder¬schönen Rasenplatz am Ufer des kleinen Flüßchens Aire.

Gegen Abend ist jemand an der Rezeption und wir erledigen die Formalitäten. Als ich der freundlichen Dame erzähle, daß mein Großvater im November 1918 ein paar Tage nach dem Waffenstillstand in den Wäldern um Verdun von franzö¬sischen Freischärlern erschossen worden war, beginnt sie Schränke aufzu¬schließen, in Prospektmaterial zu wühlen und uns Tips zu geben, auf welchen Soldatenfriedhöfen wir suchen könnten. Obwohl uns gar nicht danach ist, nach toten Großvätern zu suchen, sind wir gerührt von ihrem freundlichem Entgegen¬kommen.

Wir machen noch einen kleinen Spaziergang durch den 680-Einwohner-Ort, der eine gewisse historische Berühmtheit dadurch erlangt hat, daß hier im Jahre 1791 Ludwig XVI. auf seiner Flucht ins preußische Exil erkannt , festgenommen und nach Paris zurückgebracht worden war, wo man ihn einen Kopf kürzer machte. Schier erschlagen wird der stille Ort von dem bombastischen Pennsylvania State Memorial, den gefallenen Soldaten der amerikanischen Streitkräfte gewidmet, die 1918 Varennes befreiten. In den Sockel einer Säule eingemeißelt der Spruch: RIGHT IS MORE PRECIOUS THAN PEACE... Mit diesem Satz läßt sich jeder Krieg legitimieren. Er ist genau so obszön und verlogen wie die Denkmäler, die alle nur eines sagen: Der Krieg (das Recht) ist wichtiger als der Frieden.

Das erste Schlachtfeld, das wir besuchen, ist die 'Butte de Vauquois’. Das Dörfchen liegt nur ein paar Kilometer von Varennes entfernt hoch auf einem Hügel, von dem man einen weiten Blick ins Land hat. Genau das war der Grund für die heftigen Kämpfe, die 1914/1915 hier stattfanden. Wer im Besitz dieses Hügels war, beherrschte das umliegende Gelände bis an den Südrand der Argon¬nen. Wir sehen Schützengräben, befestigte Unterstände, Eingänge zu unterirdischen Stollen, die von beiden Seiten bis unter die feindlichen Linien vorgetrieben wurden, um dort Minen zu zünden. Entsprechend sieht das Gelände aus, auf dem damals das 160-Einwohner-Dörfchen Vauquois stand: ein Minentrichter am anderen. Der schmale Fußweg windet sich zwischen den Rändern von bis zu 30 Meter tiefen Kratern hindurch, deren Wände inzwischen von mildtätiger Vege¬ta¬tion grün überwuchert sind. Wir versuchen uns vorzustellen, wie es hier ausgesehen hat, nachdem die Deutschen ihre 60.000 Kilo-Mine gezündet hatten, was 108 französische Soldaten das Leben kostete.

Höhe 304. Ein scheußliches Monument kündet davon, daß hier in den Jahren 15/16 zehntausende von französischen und deutschen Soldaten in den zerfetzten Wäldern verreckt sind. Am Nordhang, wo wir die ehemaligen deutschen Linien noch erkennen können - der Waldboden erinnert an erstarrte Meereswogen - wächst, einsam und gut gedüngt im Laubwald stehend, ein Apfelbaum... Dann und wann ein verwittertes Kreuz aus Holz oder Stein. Darauf Name und Dienstgrad: ‚Hier starb am 20. Juli 1916 mein geliebter Mann’. Anrührende Versuche, das anonyme Sterben zu personalisieren. Unterwegs auf der von einem blaßblauen Spätsommerhimmel überwölbten Hochebene ein Soldatenfriedhof mit schier endlosen Reihen weißer Holzkreuze. Das Auge sieht weit ins friedliche Land. Der Kopf weigert sich, an Tod zu denken.

Mort Homme, der Tote Mann. Hier hatte 1916 die deutsche Armee versucht, mit einem Flankenangriff unter Umgehung des Forts Douaumont bei Verdun, die französische Front zu durchbrechen, was nicht gelang. Ein Denkmal aus weißem Marmor erinnert an die zehntausend französischen Soldaten, die bei der Vertei¬digung dieser Höhe ihr Leben gelassen haben. In den Sockel des Denkmals ein¬gemeißelt die Worte: ILS N’ONT PAS PASSÉ... Verluste auf deutscher Seite werden nicht erwähnt. Dafür, etwas abseits auf einer Wiese, ein schlichtes braunes Holzkreuz mit den eingebrannten Worten:

1916

Par dessus les tombes

amitié franco-allemande

1984

Verdun. Der Name der kleinen französischen Provinzstadt als Synonym für das Grauen des Krieges schlechthin. Wir haben eine kratrige Mondlandschaft erwartet. Die eher an einen verwilderten Park erinnernde sattgrüne Waldland¬schaft, durch die wir fahren, will so gar nicht zu dieser Vorstellung passen. Und doch wissen wir, dass der Waldboden eher aus zerfetztem Metall denn aus Erde besteht, was jegliche landwirtschaftliche Nutzung - außer eben der Aufforstung - ausschloß. Den Augen Tucholskys, der 1924 die ehemaligen Schlachtfelder bereiste, hatte sich diese Landschaft noch anders dargeboten.

Ossuaire Das Beinhaus von Douaumont. Eine Kathedrale auf einem Fundament aus Menschenknochen, deren Turm die Form einer Granate hat. Hundertdreißigtausend sollen es sein, die man als zerfetztes, jeglicher Personalität beraubtes Fleisch auf den Schlachtfeldern eingesammelt und in übereinander gestapelten Holzkisten in provisorischen Baracken zwischengelagert hatte. Was den jungen Erich Kästner zu den Gedichtzeilen inspirierte: „Über die Schlachtfelder von Verdun laufen mit Schaufeln bewaffnete Christen, kehren Rippen und Köpfe zusammen und verfrachten die Helden in Kisten...“ Damit hatte es erst ein Ende, als der Bischof von Verdun, Ginisty, 1920 die Idee hatte, den Knochen ein würdigeres Zuhause zu geben. Allerdings dürfte auch die Erwägung eine Rolle gespielt haben, für die eigenen Knochen dort eine Ruhestätte zu finden. So liegt er denn zusammen mit dem Abt Noel, dem ‚ersten Kaplan des Beinhauses’, in der Kapelle begraben. Nach 12 Jahren Bauzeit wurde das Monument im Jahre 1932 eingeweiht. Da stand der nächste Krieg schon vor der Tür. In dem 137 Meter langen bedeckten Gang, in dessen Mitte sich der 46 Meter hohe Totenturm erhebt, steht in geheimnisvoll dunkel-orange-farbenem Licht, ein Sarkophag neben dem anderen. Wären diese nicht, könnte es auch die Wandelhalle eines Kurbades sein. Die Geburts- und Sterbedaten zeigen, daß kaum einer der darunter liegenden Knochen älter als Zwanzig geworden ist. Was man von den Gebeinen des Herrn Bischofs nicht sagen kann. Der war auch am Ende von Weltkrieg II noch Bischof von Verdun.

Wir haben noch eine halbe Stunde, um in den granatenförmigen Totenturm zu steigen, wo ein Museum eingerichtet ist. Da sieht man in Guckkästen dreidimensional aufbereitete alte Photographien, die französische Poilus und deutsche Landser in ihren Schützengräben zeigen. Man meint junge Leute bei einem Sonntagsausflug in etwas ungewöhnlicher Umgebung zu sehen. Man sieht freundlich in die Kamera grinsende oder ernsthaft auf die Lösung eines Problems konzentrierte Gesichter. Daß das zu lösende Problem darin besteht, wie bringe ich die Männer, die zwanzig Meter entfernt im gegnerischen Graben hocken (wo sie über dem gleichen Problem brüten) möglichst schnell um, ehe sie mich umbringen, wird nicht klar. Es sind Propagandafotos. Andere hätten die Zensur nicht passiert. Nur die Landschaft, in der diese ‚Models’ des hunderttausendfachen Mordens herumstehen, will nicht so recht zu ihren grinsenden Gesichtern passen. Da ist kein Baum höher als einen halben Meter. Was heute üppig grünt, hier ist es zerfetzt, zermalmt, tot. Daß die unförmigen Klumpen, die manchmal zwischen den feindlichen Gräben herumliegen, Material für das Fundament dieser Kathedrale sind, ist nur zu ahnen. Da wir nicht erpicht sind, uns das Mittagsläuten der Glocke im Turm anzuhören, suchen wir das Weite, nicht ohne zuvor im Devotionalienlädchen am Fuß des Turms festgestellt zu haben, daß Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ in französischer Übersetzung ausliegt. Als die Glocke anhebt, ihr betäubendes Mittagsgeläut über die ehemaligen Schlachtfelder ertönen zu lassen, befinden wir uns schon auf der Rückseite des Gebäudes, wo hinter einer dicken Glasscheibe aus einem riesigen Berg menschlicher Knochen ein Hüftgelenk herausragt. Ich sage leise: Hallo Opa.

Der Bajonettgraben. Nachdem das Schlachten vorüber war, fand man bei Aufräumarbeiten dieses ca. 30 Meter lange Grabenstück, das so mit Erde angefüllt war,daß nur noch die Spitzen der Gewehrläufe herausragten. Von den Amerikanern wurde es mit einer wuchtigen Betonkonstruktion überdacht, über deren Eingangsportal die Worte stehen: „Den unbekannten französischen Soldaten gewidmet, die im Stehen schlafend, das Gewehr geschultert, in diesem Grabenabschnitt verschüttet wurden.“ Legende oder Wahrheit? Die Forschung ist geteilter Meinung. Unter die Scheibenwischer hat man uns inzwischen einen Werbezettel geklemmt: Kommen Sie zum 'Mittagessen auf den Schlachtfeldern' in die Brasserie „Zum Schlachtenbummler“... Auf dem Rückweg zur Hauptstraße kommen wir an einem Schlagbaum vorbei, vor dem ein junger französischer Soldat Wache schiebt, und können einem Schild entnehmen, daß dahinter militärisches Übungsgelände beginnt...

Abri du Kronprinz. In einem kleinen Wäldchen, ein paar Kilometer von Varennes entfernt, das ‚Hauptquartier des Kronprinzen’, der nominell Oberkommandierender der 5. Armee war. Das heißt, er durfte Befehle unterzeichnen, die andere ausgearbeitet hatten. Hier wohnte er bei seinen raren Frontbesuchen, wenn er es nicht gerade vorzog, in der Etappe mit jungen Damen Tennis zu spielen, um den ins Feuer abziehenden Truppen mit dem Racket leutselig zuzuwinken und ein Päckchen Zigaretten mit seinem Konterfei drauf huldvoll vor die schlammigen Stiefel zu schmeißen. Über das nicht sehr große Areal sind fünf durch tiefe Laufgräben verbundene Unterstände aus massivem Beton verteilt. Einer davon fällt auf durch seine für einen Kriegsbunker außergewöhnliche Architektur. Da ist der Eingang wie ein Erker gearbeitet mit einem Giebelchen darüber. Die ungewöhnlich großen Fensteröffnungen haben zierliche Rundbögen. Auch ein offener Kamin fehlt nicht. Wir versuchen uns vorzustellen, wie der junge Schnösel, bei Kerzenlicht über die Karte des Kriegschauplatzes gebeugt, die gerade nicht stattfindende Schlacht leitete. Selbst den Franzosen, die sonst überall große Informationstafeln aufgestellt haben, muß es, als sie dieses eher wie ein komfortables Ferienhäuschen und nicht wie ein Schutzbunker aussehende Gebilde entdeckten, die Sprache verschlagen haben...

Musée d'Argonne. Hier wird das Anonyme konkret, alltäglich, fast banal. Wir sehen Fotos, deutsche und französische Ausrüstungsgegenstände, Kartenmaterial, Waffen, Rot-Kreuz-Utensilien, Bücher, Briefe, Postkarten.. In einem Glaskasten spiralförmige Eisenstangen, wie sie immer noch überall in den Wäldern aus dem Boden wachsen, und wissen jetzt, wozu sie dienten: die Drahtverhaue wurden daran befestigt. Im nächsten Schaukasten eine Puppe in französischer Offiziersuniform, an einen Tisch gelehnt, auf dem ein umgedrehtes Rotweinglas steht. Wir umrunden den skurril aussehenden Teil eines Baumstammes und lesen die Erklärung: Als der Krieg zu Ende war, hatte ein deutscher Soldat sein Gewehr an einen Ast gehängt, er brauchte es nicht mehr. 50 Jahre später entdeckte man das mittlerweile halb eingewachsene Gewehr. Wir versuchen uns vorzu¬stellen, wie die Geschichte gelaufen wäre, hätten die Soldaten - und zwar alle - nicht erst im November 1918 sondern schon im September 1914 ihre Gewehre an einen Baum gehängt... Der Zweite Weltkrieg ist auch vertreten in Form eines blank polierten amerika¬nischen Jeeps, über dem ein großes Plakat hängt, auf dem steht: Sie haben uns zweimal befreit. Irgendwie hört sich’s zweideutig an. In einem Glaskasten: ein Päckchen Lucky Strike ohne Filter, ein Päckchen Camel mit Filter (historische Schlamperei: mit Filter gab es 1945 nicht), eine kleine Flasche Coca Cola, 4 Sorten Kaugummi, verblaßte Fotos von Pin-Up-Girls. Der liebevoll bösartige Kommentar: „Die kulturellen Errungenschaften, die uns die Amerikaner gebracht haben.“ Hier wird die Zweideutigkeit ziemlich eindeutig.. In einem anderen Bereich des Museums befinden sich handwerkliche Gegen¬stände, eine Schulbank mit Tafel und ein Foto, auf dem eine Kindergruppe zu sehen ist. Unterschrift: Kleine Schulkinder proben das Aufsetzen von Gas¬masken...

Am späten Nachmittag sitzen wir in Varennes vor dem Bistro gegenüber der Kirche. Zwei alte Leutchen am Nebentisch träufeln mit Hilfe einer Spritze einem apathischen Hündchen Wasser ins Maul. Auf meine Frage, ob der Hund krank sei, erhalte ich einen leicht vorwurfsvollen Blick und die Antwort: „Il est vieux, Monsieur“...

Seit wir auf dem Campingplatz sind, hatten wir immer wieder Leute beobachtet, die gebückt um einen bestimmten Baum herumgehen, etwas einsammeln und in Plastiktüten stecken. Wir tippten zunächst auf Würmer zum Angeln... Heute fassen wir uns ein Herz und schauen nach, was das für ein Baum ist. Das große Fragezeichen wird zu einem kleinen Ausrufezeichen, als wir auf eine Walnuß treten. Ganze fünf finden wir noch... Auf dem Rückweg zum Zelt kommt unser letzter verbliebener Nachbar, ein älterer französischer Herr, den wir auch unter dem Baum hatten herumkriechen sehen, auf uns zu und drückt uns eine mit klackenden Walnüssen prall gefüllte Plastiktüte in die Hand: Voilà pour vous, 'sieurdame...

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© Klaus Bölling, Frankfurt 2002
 
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