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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 1/39]

Oktober/November 2004

Cherpu, Trichur, Kutiyattam, Ayurveda, Irinjalakuda, Kerala-Architektur, Arabisches Meer, Delhi-Belly, Kathakali, Monsun, Kochi, Elefanten, Athirappilly Water Falls, Im Dschungel, Streik, Kodungaloor, Kerala Kalamandalam, Beim Toddymaker, Kerala Sangeet Natak Academy, Bahrain

KB, RR   = Gäste [Reiseberichterstatter]
PM       = Gastgeber

Ankunft im Land der (S)tempel
KB: Es war sechs Uhr morgens. Bei gefühlten dreißig Grad und neunundneunzig Prozent Luftfeuchtigkeit standen wir auf dem Rollfeld in Kochi und warteten auf den Shuttle, der uns zur Abfertigungshalle bringen sollte. Zu Fuß wären es zehn Schritte gewesen, während der Bus einmal um das halbe Flughafengelände fahren mußte. Da wir als letzte der glühend heißen Blechbüchse entkommen waren, standen wir ganz am Ende einer der vier Schlangen in der Abfertigungshalle und versuchten cool auszusehen, während uns der Schweiß in den Augen brannte. Im Flieger hatte man vor der Landung Formulare verteilt, die man für die Einreise auszufüllen hatte. Auf Nachfrage hatte der Steward treuherzig versichert, für Europäer hätte er keine Formulare, die brauchten so was nicht. Brauchten sie doch! Die Damen und Herren der Imigration Authority wollten was zu stempeln haben. Obwohl wir nach vierundzwanzig Stunden ohne Schlaf kaum noch wußten, wie wir hießen und Schwierigkeiten hatten, unseren Namen zu schreiben, sollten wir auf graues, schweißfeuchtes Papier Zahlen und Buchstaben kritzeln, die garantiert keinen Menschen interessieren und wahrscheinlich ungelesen im Papierkorb landen würden.

Da der Mensch mit den Stempeln offenbar selbst nicht genau wußte, was wir alles auszufüllen hatten, winkte er dezent eine mütterlich wirkende Dame herbei, deren Uniform sie als Flughafenangestellte auswies und die es offensichtlich gewohnt war, mit solchen Situationen umzugehen. Sie führte uns freundlich lächelnd und beruhigend auf uns einredend zu einem etwas abseits stehenden Tisch, wo wir unser Handgepäck abstellen und im Sitzen Zahlen und Buchstaben in die vorgegebenen Kästchen malen konnten. Sie war ganz reizend und diktierte uns sogar die Nummern unserer Reisepässe. Irgendwann, als die Formulare bis zur Hälfte ausgefüllt waren und sie merkte, dass das Gekritzel sowieso kein Schwein lesen konnte, meinte sie, das würde genügen, wir sollten nur noch unterschreiben, und schwupp waren die Zettel verschwunden. Der Mensch am Passschalter erwachte aus seiner Meditationshaltung und ließ die Stempel knallen.

Nachdem wir unsere Koffer geholt hatten, die ganz allein noch neben dem Gepäckband standen, konnten wir endlich PM begrüßen, der hinter einer Absperrung geduldig gewartet hatte und mit dem wir schon seit einer Stunde Blick- und Winkkontakt gehabt hatten. PM war ein alter Freund noch aus Schultagen und lebte seit über zehn Jahren in Indien. Was ich aus der Ferne nicht genau hatte erkennen können aber geahnt hatte, stellte sich als richtig heraus: er hatte sich als Einheimischer verkleidet und trug einen langen weißen Wickelrock, den Lunghi (den man in Kerala Mundu nennt) und darüber die Kurta, ein knielanges weißes Hemd.
Eine Autofahrt
Während wir vor dem Flughafengebäude standen und auf PM warteten, der das Auto vom Parkplatz holte, zündete ich mir mit vor Erschöpfung zitternden Händen eine Zigarette an. Ich konnte gerade drei Züge machen, als aus der Menschenmenge, die auf dem Platz wogte, ein streng blickender, in Senfgelb gekleideter Polizist auf mich zukam, um mir mitzuteilen, dass es verboten sei, hier zu rauchen. Inzwischen hatte PM das Auto vorgefahren, wir schmissen die Koffer rein, und los ging’s zur abenteuerlichsten Autofahrt unseres Lebens.

Die Vegetationskulisse am Straßenrand bildeten nicht mehr im milden Herbstwind raschelnde, buntbelaubte Kastanien oder Eichen, sondern Kokospalmen, Bananenstauden und Gummibäume. Alle von einem beängstigenden, dunstige Schwaden ausdampfenden, gefräßigen Grün.Die Straße war von der Breite eines zerfetzten, an den Rändern ausgefransten Handtuchs und schien eine endlose Dorfstraße zu sein, denn die flachen Hütten aus Brettern, Palmblättern und Wellblech hörten nicht auf, die Landschaft zu verdecken. Nur dann und wann ließ ein Reisfeld am Straßenrand für einen kurzen Augenblick einen grünen Horizont aufscheinen. Die dunkelhäutigen Menschen, die sich auf dieser Straße bewegten oder am Straßenrand hockten und dem Landrover nachstarrten, trugen Lendenschurz oder Sari. Sie kamen uns entgegen in dreirädrigen Motorradrikschas, auf knatternden Mopeds oder Motorrädern, buntbemalten, bis an den Himmel beladenen Lastwagen, in vollbesetzten Bussen, aus deren scheibenlosen, nur mit zwei Gitterstäben gesicherten Fenstern uns erstaunte schwarze Augen ansahen. Manche schoben voller Gottvertrauen mit Gemüse oder Fischen beladene, zweirädrige Karren durch das lärmende Gewimmel oder balancierten Körbe mit Brennholz auf dem Kopf oder ausladende Bananenstauden auf dem Fahrradgepäckträger. Und alle, wirklich alle hatten es auf einen Frontalcrash mit uns abgesehen. Manchmal paßte kaum eine Daumendicke zwischen die Außenspiegel des Landrovers und eines überholenden, entgegenkommenden Busses, der den Landrover an den äußersten Straßenrand gedrängt hatte. Der sehr verwirrende Eindruck, in einen menschlichen Ameisenhaufen gefallen zu sein, wurde durch den Linksverkehr und durch unsere von Übermüdung herrührende Überempfindlichkeit noch verstärkt. Verkehrsregeln schien es nicht zu geben, es galt das Recht dessen, der den stärkeren Motor oder die lautere Hupe hatte. Es war ein Kampf Mann gegen Mann, Fahrzeug gegen Fahrzeug. Wir konnten nur auf PM vertrauen, der völlig entspannt am Steuer saß und mit aufheulendem Motor und dröhnender Hupe Rikschas, Lastwagen, Wasserbüffel und heilige Kühe überholte oder von Bussen überholt wurde, die oft den Anschein erweckten, als ob sie nur noch durch die Gebete der Fahrgäste zusammengehalten wurden. Während er so von Lücke zu Lücke sich vorwärts arbeitete, hatte er noch Zeit und Muße, die aktuelle Lage der Welt zu kommentieren und uns anschaulich Phänomene des keralischen Straßenverkehrs zu erklären. Wir wurden von Kilometer zu Kilometer fatalistischer und zogen uns immer mehr in eine allem Schmerz der Welt entrückte Apathie zurück, bis wir endlich nach ungefähr einer Stunde Fahrt das Dorf Cherpu und damit PM’s Wohnsitz erreichten.
(RR: Das ganze Chaos war von überdimensionalen Werbeplakaten am Straßenrand gesäumt. Auf der

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