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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 30/39]

aussah, eine Frau unter einer der allgegenwärtigen blauen Plastikregenplanen ihren Stand aufgebaut, wo sie den Pilgern die farbigen Zeichen, die vom Tempelbesuch kündeten, gegen eine kleine Gebühr auf die Stirn malte. Im Hintergrund des weitläufigen Hofes an der Außenmauer des eigentlichen heiligen Bezirks hatte sich eine lange Menschenschlange gebildet, deren Anfang und Ende wir nicht sehen konnten und die offensichtlich ins Innere des Heiligtums führte. Da wir befürchteten, dass unseren Füßen das obligatorische Barfußgehen auf dem mit vielen spitzen Steinchen übersäten, teils mit großen Pfützen bedeckten, teils schon wieder staubtrockenen Lehmboden nicht bekommen wäre, verzichteten wir auf einen Rundgang.

Es hätte uns bestimmt niemand das Recht streitig gemacht, uns auf dem Gelände, auch wenn wir nicht wie Hindus aussahen, frei zu bewegen, denn dies war ein besonderer Tempel, wie wir später erfuhren. Er hatte als einer der ersten in Kerala den niederen Kasten den Zutritt erlaubt, der ihnen bis dahin verwehrt gewesen war. Seitdem wird hier zu Ehren der Göttin Baghavati einmal im Jahr (März/April) ein bacchantisches Fest gefeiert, das vor allem die ‚Unterschicht’ anlockt, bei dem sehr viel Alkohol fließt, und wo bei lärmenden Prozessionen um den Tempel herum Lieder mit öbszönen Texten gesungen werden. Nicht alle Anwohner sollen von diesem Fest begeistert sein.

Wir gingen durch das äußere Tor wieder zurück und folgten der Tempelmauer, die direkt an die Basarstraße grenzte. In den kleinen, zur Straße hin offenen Läden hingen Bananenstauden von der Decke, Obst und Gemüse türmte sich in den Auslagen. Jeder Händler hoffte von dem Pilgerandrang, der heute herrschte, zu profitieren. Gegenüber dem nördlichen Tempeltor sahen wir schlichte, einstöckige Pilgerherbergen und billige Garküchen, die im Erdgeschoß auf offenem Feuer ein orientalisches Duftgemisch produzierten. Sogar Hairstylers und einen Gents Beauty Parlor (also einen Schönheitssalon für Herren) gab es. An anderen Ständen wurden Ketten aus weißen Blüten verkauft, die sich viele Frauen in die zum langen Pferdeschwanz gebundenen, von Kokosöl glänzenden, schwarzen Haare geflochten hatten.

Was uns besonders auffiel, war eine lange Schlange von Pilgern, links die Frauen, rechts die Männer, die in einer Art Gasse, die von auf hohen Stangen ruhendem, rostigen Wellblech überdacht war, verschwanden. Auf einem Transparent hoch über den Köpfen stand etwas auf Malayalam und darunter etwas in lateinischer Schrift, was uns aber nichts sagte. Erst zu Hause beim Betrachten des Fotos konnten wir entziffern, was dort stand: PRASADA. Die Götterspeise! Es war der oblatengroße Klecks aus süßem Klebereis, um den man hier geduldig anstand, weil dessen Verzehr, wie bei den Christen das Abendmahl, den rituellen Abschluß des Tempelbesuchs bildete.

Im Tempelvorhof, den wir gleich anderen Besuchern, ohne die Schuhe ausziehen zu müssen, durchschritten, um zum Haupteingang zu gelangen, sahen wir einen älteren Pilger, der in einen karmesinroten Dhoti und ein togaähnliches Oberteil von gleicher Farbe gekleidet war, was ihn selbst in dieser Umgebung exotisch aussehen ließ. Es war ein alter Mann, der in seinem Dorf wahrscheinlich als ‚Seher’ verehrt wurde und den wir uns beim großen Tempelfest im Frühling vorstellen konnten, wie er bei der Prozession mit einem an eine Sense erinnernden Säbel herumfuchtelte und sich und anderen Pilgern leichtere Verletzungen beibrachte. Wenn dabei Blut floß, so war das nicht ungewollt, sondern Sinn der Sache, denn Blut spielte eine wichtige Rolle bei den rituellen Gebräuchen.

Unter einem noch nicht sehr alten Banyantree, der aber trotzdem schon ein sehr ausladendes, schattenspendendes Blätterdach hatte, bemerkten wir auf einem übermannshohen, von fleckiger rosa Tünche bedeckten Sockel die Skulptur eines weißen Huhns mit rotem Kamm und gelbem Schnabel, die weder abstrakt noch konkret sondern dilettantisch naiv war. An dieser Stelle waren bis in die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts bei den Zeremonien zu Ehren der Göttin Bhagavati rituelle Schlachtungen von Hühnern erfolgt. Daran sollte die Skulptur erinnern. Heute symbolisierte ein Stück rotes Tuch die ehemals blutige Opferzeremonie.

Das Tor, durch das wir jetzt das Tempelgelände verließen, führte auf eine breite, von flachen Holz- und Betonhäusern gesäumte Straße, auf der ein lebhafter Verkehr tobte. Wir waren erschöpft, es war unerträglich heiß, es gab keinen Schatten, und wir suchten verzweifelt ein Indian Coffee House, wo wir uns hätten hinsetzen und ausruhen und etwas essen und trinken können. Unsere Nachfrage, wieder in einem Juweliergeschäft, ergab, dass es in Kodungalloor kein I C H gab. Man zeigte uns eine Bakery an der Straße, wo man Kaffee im Stehen trinken konnte. Mehr gab es nicht. Ich hatte zwar für alle Fälle eine Flasche lauwarmes Wasser im Rucksack, aus der ich ab und zu einen Schluck trank; wenn ich pinkeln mußte, konnte ich mich ungeniert an eine Mauer stellen, doch für RR war das schwieriger. Alles, was wir sahen, lud weder dazu ein, etwas zu sich zu nehmen noch etwas von sich zu geben. Um wenigstens einen Moment sitzen zu können, hielten wir eine Rikscha an und ließen uns zur berühmten Moschee fahren, die, das hatte man uns im Juwelierladen gesagt, zwei Kilometer von hier entfernt war.
Wir hatten nicht daran gedacht, vorher den Preis auszuhandeln. Der Fahrer wollte zwanzig Rupien, wir gaben ihm, da wir wußten, dass es nicht mehr als zehn kosten durfte, fünfzehn, und er war zufrieden. Die Moschee lag direkt an der Straße und war nur durch eine hellblau getünchte Mauer von ihr getrennt. Auch die Fassade aus Beton und die mächtigen, ebenfalls aus Beton bestehenden Minarettürme mit Kugeldach und chromblitzenden, in jede Himmelsrichtung weisenden Lautsprechern waren babyblau und sahen aus wie schnell ein Foto machen und nichts wie weg. Auf dem schmiedeeisernen Tor stand geschrieben, dass dies die erste Moschee sei, die in Indien errichtet worden war. Angeblich im siebten Jahrhundert. Sie war anfangs aus Holz gewesen, doch vor einigen Jahren mussten die Außenmauern wegen Wetterschäden neu aus Beton errichtet werden.

Als ich ein Foto machen wollte, wedelte der am Tor postierte Wächter drohend mit dem Zeigefinger und wies zu einer Bretterbude, wo Eintrittskarten und auch Fotopermissions verkauft wurden. Da Frauen das Gelände sowieso nicht betreten durften, zeigten wir ihm im Geiste den Mittelfinger und gingen in eine Seitenstraße, die parallel zur Moscheemauer verlief. Nachdem ein mißtrauischer Mensch, der über die Mauer hinter uns her geglotzt hatte, verschwunden war, fotografierten wir die babyblauen Betontürme, gingen im Schatten einiger Bäume weiter bis zum Ende des Moscheegeländes und bogen dann nach rechts ab in eine Seitenstraße, die parallel zur Hauptstraße wieder zum Tempel sprich zur Stadtmitte zurückführen mußte.

Immer auf der Straßenseite, die einen Hauch von Schatten versprach, trabten wir durch den Staub des frühen Nachmittags. Die wenigen Klamotten, die wir anhatten, klebten am Körper, die Zunge am Gaumen. Fatalistisch einen Fuß vor den anderen setzend, schlichen wir unter der unbarmherzigen Sonne, gegen die nur ein Regenschirm geholfen hätte, den wir aber nicht hatten, einem nur in groben Umrissen bekannten Ziel entgegen, das ebensogut zweihundert oder zweitausend Meter entfernt sein konnte. Schon der Gedanke, jetzt noch St.Thomas Church zu besuchen, hatte etwas Absurdes. Wir waren nur noch von dem einen Wunsch beseelt: eine Haltestelle zu finden, wo ein Bus nach Irinjalakuda und damit zum nächstgelegenen I C H abfuhr.

Rechterhand führte ein etwas abschüssiger, asphaltierter Weg zu einem kleinen See hinab, an dessen Ufern, inmitten von schattenversprechenden Palmen und exotischem Grünzeug, mittelständische Einfamilienhäuser standen. Wir setzten uns auf eine niedrige Steinmauer, schauten auf den rechteckig wie ein Temple Tank angelegten See und genossen die für eine indische Stadt ungewöhnliche Stille. In den geräumigen Vorgärten der Häuser trocknete Wäsche. Wir hörten Kinderstimmen. Ein Hahn krähte. Hühner scharrten im heißen, roten Staub am Straßenrand. Über den Seerosen in Ufernähe schwirrten riesige, feuerrote Libellen, die, wenn sie sich auf einer Pflanze niederließen, wie eine zu ihr gehörende Blüte aussahen. Eine friedliche Oase inmitten des ansonsten lärmenden Treibens dieses Städtchens. Bis auf eine junge Frau im Sari, die sehr schön war und mit großer Anmut an einer Zapfstelle zwei Metallkrüge abstellte, um sie mit Wasser zu füllen, waren wir für einen winzigen Augenblick die einzigen Menschen auf der Straße.

Das Glück dauerte nur kurze Zeit. Bald kamen zwei junge Männer im Mundu angeschlendert, gingen an uns vorbei, flirteten ein bißchen mit der jungen Frau, die beim Lachen wunderbare Zähne zeigte und ließen uns dabei nicht aus den Augen. Jeden Blickkontakt vermeidend, taten wir so, als beobachteten wir interessiert das Treiben der roten Libellen. Als der eine der beiden Männer freundlich lächelnd auf uns zukam und fragte Whatsyourname, hatten wir uns zum Glück soweit erholt, dass wir, ein Grinsen anknipsend, unseren Weg fortsetzen konnten. Wir hätten die Frau an der Wasserstelle gern fotografiert, doch auf unsere fragende Gebärde winkte sie lächelnd ab.

RR: Während wir langsam durch die Straßen gehen und ich mir mit einem bereits klitschnassen Taschentuch immer wieder den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen versuche, kommen wir an einem Komplex mit Schulgebäuden vorbei. Nach dem Kinderstimmen-Geräuschpegel zu urteilen, ist offenbar gerade Pause. Als die Kids uns erblicken, hängen sie aus allen Fenstern und über die Schulhofmauer, starren uns kurz an, bis sich ein Knabe ein Herz fasst, Hello ruft und uns zuwinkt. Wir ringen uns ein Lächeln ab und winken zurück. Jetzt ist die Hölle los, alle schreien und winken begeistert, so dass wir froh sind, als wir die Gebäude hinter uns gelassen haben.

Doch die Erholung ist für mich nur kurz. Ein Kleinlaster brettert einen halben Meter entfernt an mir vorbei. Als er direkt neben mir ist, betätigt der Fahrer das Wichtigste, was es für einen Inder in einem Auto gibt: die Hupe. Mein linkes Ohr ist wie taub. Irgendwann höre ich nur noch ein grauenvolles Pfeifen , was nach ca. fünf Minuten langsam schwächer wird, und mein Hörnerv fängt wieder an zu reagieren. Ich bin fix und fertig, erkläre KB, dass es mir egal ist, ob ich mir irgendwas einfange und steuere eine winzige Bretterbude an, wo ein alter Mann Chai verkauft. Er freut sich, als wir zu ihm treten und gießt mit indischem Schwung, das heißt, aus einer Höhe von mindestens dreißig Zentimetern souverän den heißen Tee in die Gläser. Hinter seiner Bude steht

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