deutsche Version

manasvi.com/manasvi.de
Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
©
Webmail
Rechtshinweis
Feedback
 
 

Dordogne 1999

ein Reisebericht

1
2
3
Beynac, Sarlat, Abri du Cap Blanc, Les Eyzies, Font de Gaume, Roc de Cazelle, Commarque, Monpazier, Oradour sur Glane
 
Cadouin, nur ein paar Kilometer von Le Buisson entfernt, ist ein kleiner Ort mit einer riesigen Abtei und einem Kloster aus dem 12. Jahrhundert. Ein kurzes Zitat aus un¬serem Kunst- und Reiseführer mag erklären, warum wir uns dieses muffig riechende Gemäuer ansehen: ...die Abtei erlangte großes Ansehen durch das Leichentuch Christi, ein Beutestück aus dem ersten Kreuzzug. Zu den prominenten Pilgern gehörten die Könige Ludwig IX. und Karl V. sowie Richard Löwenherz. Bei den Pilgern war Cadouin eine beliebte Station, was weiter zum Wohl¬stand des Klosters beitrug. Im Laufe des Hundertjährigen Kriegs wurde die Reliquie vor den Engländern nach Toulouse in Sicher¬heit gebracht... Endlose Streitereien um die Rückgabe konnten erst durch Intervention des Papstes und Karl XI. ge¬schlichtet werden. Der Verwüstung durch die Engländer, die sich um eine gewinnträchtige Beute (!) betrogen sahen, folgte der Wiederauf¬bau des Klosters und erneute Verwüstung in den Reli¬gionskriegen. Seitdem verlor das Kloster an Bedeutung. Eine Untersuchung in den dreißiger Jahren unseres Jahrhundert ergab, daß das Leichen¬tuch eine Fälschung aus dem 11. Jh. war... (und zwar eine musli¬mische; die kannten sich mit so was ja auch aus...). In einer Seitenkapelle der Basilika ist eine "Kopie" des Leichen¬tuchs immer noch zu sehen...

Über den Besucherparkplatz torkelt ein offensichtlich betrunke¬ner alter Mann. Ein kleines Akkordeon vorm Bauch, quetscht er den heute nicht sehr zahlreichen Touristen, die um den Kofferraum ihrer dicken Limousinen herumwerkeln, ein paar aufdringlich schrille Töne vor den Wanst, daß sie, um ihn los zu sein, schnell eine Münze zücken. Wir sitzen auf der Terrasse des einzigen geöffneten Bistros. Am Nebentisch ein Mann und zwei Frauen von olivfarbener, mediterra¬ner Schönheit, die in einem unaufdring¬lich singenden Spanisch über Musik diskutieren. Sein diskret rollendes R wird manchmal von einem schüchternen, spanisch gefärbten Französisch der jüngeren Frau kontrapunktiert. Als ich zur Theke gehe, um eine Ansichtskarte zu kaufen und zu zahlen, drückt sich der alte Zausel auch dort rum. Ich gebe ihm das Wechselgeld in die Hand. Ungläubig starrt er erst mich, dann die Münzen an, schließt die Hand, murmelt etwas, das ein Dank oder ein Fluch sein kann, und drückt einer schwarzen jungen Frau, die ganz im Hintergrund des Raumes sitzt, die Münzen in die Hand. Die nimmt sie mit ungeheurer Selbstverständlichkeit entgegen.

Durch ein einsames Waldgebiet fahren wir nach Monpazier, einer im Hundertjährigen Krieg (1284) von den Engländern gegründeten Bastide. Die wenigen Straßen sind schachbrettartig angelegt. Zentrum ist hier nicht die Kirche, sondern der von Arkaden umgebene Marktplatz mit der an den Seiten offenen Halle, deren Dachkonstruktion aus einem abenteuerlichen Gewirr krummer Eichen¬balken besteht. In der Kirche ein Tisch mit Souvenirs. Darunter ein silbrig glänzender Ständer (ca. 5 cm hoch), dessen Fuß aus einer Jacobs¬muschel besteht, daran ein kleines ewiges Lämpchen hängt. Aller¬liebster Kitsch. Für 10 Francs kann man eine kleine Broschüre erstehen, in der es sinngemäß heißt: Sollten wir das Jahr 2000 erleben, so ist alles nur deshalb so schön gewesen, weil vor 2000 Jahren Christus geboren wurde, wofür wir ewig dankbar sein sollen... Auf der Terrasse eines Bistros am Rande des Marktplatzes sit¬zend, genießen wir die Harmonie der Arkadenbögen und schauen den Engländern zu, wie sie mit großen Füßen durch ihre ehemalige "Kolonie" mitten im Herzen Frankreichs latschen. Wir schauen uns noch Domme an, auch eine Bastide, die, da auf einem Berg liegend, nicht so klassisch schachbrettartig daher¬kommt. Dann noch auf der anderen Seite der Dordogne La Roque-Gageac, in den 80ern "das schönste Dorf", heute nur noch "eines der schönsten..." Frankreichs. Unsere müden Füße lassen sich nicht mehr beeindrucken, und wir fahren zurück zu unserem Iglu, wo wir den Rest des Abends unter einem 6-eckigen Gartenpavillon, der zu einem nicht bewohnten Caravan gehört, verbringen, Rotwein trinkend und dem Regen beim regnen zuschauend.

Der Limousin ist eine sanfte Landschaft mit fruchtbaren Feldern und freundlichen Dörfern und Städtchen. Hier hatte vor über einem halben Jahrhundert die SS-Division Das Reich eine blutige Spur gezogen. Am 10. Juni 1944 war der kleine Ort Oradour-sur-Glane, etwa 25 Kilometer von Limoges gelegen, unter dem Vorwand, es sei ein Hort der Résistance, von einer Abteilung SS fast völlig zerstört worden. Über 700 Männer, Frauen und Kinder wurden ermordet. Die Männer hatte man auf dem Marktplatz zusammentreiben und dann in den umliegenden Scheunen und Garagen erschießen lassen. Frauen und Kinder wurden in die Kirche eingesperrt, diese dann angezündet. Wer aus der Flammenhölle zu fliehen versuchte, wurde zusammengeschossen. Nur ganz wenige Bewohner Oradours konnten dem Massaker entkommen.

Auf dem großen verregneten Parkplatz ein paar Franzosen, Engländer, Holländer. Wir parken unser deutsches Kennzeichen etwas abseits. Versuchen, unsere Paranoia in Grenzen zu halten. Fast sind wir enttäuscht, daß niemand unser Auto demoliert hat, als wir von dem Rundgang zurückkommen. Durch ein erst im Juni dieses Jahres eingeweihtes scheußliches Mauso¬leum, das diverse Ausstellungen beherbergt, die alle geschlossen sind, da in Frankreich die Ferien zu Ende sind, betreten wir die "Stadt der Märtyrer". Die SS hat eine wahrlich fotogene Ruinenlandschaft hinter¬lassen. Ästhetik der Zerstörung denkt man und ist er¬schrocken, daß man es denkt. Die zerfetzten, immer noch rauch¬geschwärzten Mauern reden nicht. Die ausgeglühten Autowracks davor reden nicht. Das Schweigen der zerstörten Dinge ist so laut, daß es in den Ohren dröhnt. Vor dem Altar der Kirche, durch deren zerborstenes Dach seit 55 Jahren Sonne und Regen einfallen, das fast geschmolzene Unterteil eines Kinder¬wagens, seltsam verformt wie im Todeskampf erstarrte menschliche Glied¬maßen, das schreit einen lautlosen, ewigen Schrei. Dieses Morden ist, obwohl Anfang der fünfziger Jahre in Bordeaux ein Prozeß stattfand, nie gesühnt worden.

Nachdem wir Limoges hinter uns gelassen haben, fahren wir durch die Haute Vienne (das ist für Limoges, was der Vogelsberg für Frankfurt ist) in Richtung Burgund. Bei Ahun stellen wir am späten Nachmittag unser Iglu auf den Camping Municipal, genau in die Mitte der Wiese. Wir sind ganz allein auf dem Platz. Von der einen Seite aus hat man einen schönen Blick auf sanfte Täler und Hügel, links stört leider eine Hecke und ein dahinter liegender Fußballplatz. Ein Schild an der verrammelten Rezeption weist darauf hin, daß man sich einfach hinstellen könne. Zwischen 18 und 20 Uhr käme jemand vorbei. Das wird bestätigt von einem schweratmenden dicken Dorfbewohner, der sich dabei ertappt fühlt, daß er unbefugterweise die Sanitäranlagen benutzt hat. Gegen 19 Uhr erscheint wirklich eine Dame (wir ernennen sie zur Sekretärin des Bürgermeisters) und versucht, unsere Namen zu schrei¬ben. Wir bezahlen, bekommen eine Quittung. Die wohl schon einge¬mottete elektrische Anlage wird aktiviert. Das Licht im Klo geht an. Auch die kleine Allee in der Mitte des Platzes erstrahlt in sanftem Licht. Dafür muß man beim Zähneputzen dreimal nach drau¬ßen rennen, um das Licht wieder anzudrücken. Zum Ausgleich kommt das warme Wasser aus der Wand, und alles ist pieksauber. Wir schlafen gut in der wunderbaren Luft dieses Mittelgebirges. Morgens um halb sieben am explodierenden Sternenhimmel eine flammende Venus im Osten, ein Rügby-Mond im Westen.

Um neun Uhr reisen wir trockenen Zeltes weiter. Durchqueren diverse liebliche Landschaften, trinken in Etang-sur-Arroux einen Grand Crème, enttäuschen den Wirt, der gern mit uns übers Wetter palavert hätte und landen am frühen Nachmittag auf dem Camping Municipal von Arnay le-Duc, wo wir die Heringe in die heilige, vom Regen aufgeweichte Erde Burgunds schlagen. Nachdem wir uns installiert haben, schmeißen wir uns in die Jeans, die noch nicht ganz so dreckig sind, ziehen Sandalen an, klemmen prophylaktisch einen Schirm unter den Arm und machen uns auf in den Ort. Ein paar enge mittelalterliche Gassen. Eine Kirche aus dem 11. Jahrhundert. Im Eingang hängt ein Plakat vom Papst. Jemand hat ihm ein Hitlerbärtchen aufgemalt. Daneben ein großes "naives" Gemälde, das einen schwarzen Jesus darstellt. In einer Seitenkapelle eine völlig verdreckte Marienfigur mit gehäkelten Blumen davor. In einer staubigen Nische ein Papstfoto, wieder mit Hitler¬bärtchen. Scheint eine recht unorthodoxe Gemeinde zu sein. Da es zu regnen beginnt, flüchten wir ins Café du Nord und fühlen uns in die fünfziger Jahre zurückversetzt. Ein großer Raum mit einfachen Holztischen. Riesige alte Spiegel an den nikotingelben Wänden. An einem der Tische drei alte Männer, natürlich mit Baskenmütze, einer liest Zeitung, die beiden anderen unterhalten sich. Wir setzen uns an die Theke auf wacklige Barhocker. Der Wirt hat viele Narben am Hals und serviert uns freundlich zwei kleine Rote. Neben uns ein alter Herr, ohne béret, kippt einen kleinen Roten, mit Wasser gemischt. Verabschiedet sich. Eine viertel Stunde später same procedure. Wir sitzen, gucken durch die regennassen Scheiben auf den kleinen Platz und warten darauf, daß endlich Jean Gabin mit hochgeschlagenem Mantelkragen durch die Tür tritt...

Mit quietschenden Sandalen hüpfen wir durch die Pfützen zum Platz zurück, zwängen uns in Gummistiefel und machen unter tief hängenden Wolken einen Rundgang um den Etang de Fouché, an dessen Gestade der Platz liegt. Wir beobachten einen Angler, der am gegenüberliegenden Ufer mit einem Käscher ein großes Exemplar aus dem Wasser holt, ob Fisch oder Schuh können wir nicht erkennen. Der See liegt, auch bei diesem nieseligen Dämmerlicht, wie ein zartes Gemälde vor uns. Wir bewegen uns behutsam durch ein kleines Biotop, in dem auch Orchideen wachsen. Vorbei an einer alten Mühle und einem jetzt verlassenen Badestrand erreichen wir wieder den gepflegten Drei-Sterne-Platz. Die Wolken reißen kurz auf und bedeuten uns, dass wir unseren Käse im Trockenen essen können. Zwei Katzen werden an der Leine Gassi geführt und verschwinden wieder im Campingwagen. Den Rest des Abends verbringen wir im Auto, auf dessen Dach der Regen prasselt und hören über France Musique Schubert-Lieder. Wir schlafen ein mit der Musik im Kopf und dem Geräusch der Regentropfen aufs Iglu-Dach.

Über allerkleinste Straßen fahren wir am nächsten Morgen durchs regenverhangene Vallée de l'Ouche nach Dijon, wo wir versuchen die Straßen der Alt¬stadt idyllisch zu finden. Eher mißmutig haken wir ein paar Sehenswürdigkeiten ab. Unsere Köpfe wollen keine neuen Bilder mehr. Wir können sagen, wir sind in Dijon gewesen. Wir fahren zurück über Beaune, wo wir einen Blick auf die bunt glasierten Ziegel des Hotel-Dieu werfen. Die Weinernte zwischen Dijon und Beaune ist in vollem Gange. Zum Platz zurück geht es über ganz kleine Straßen, wo wir für fünf Minuten Burgund im Sonnen¬schein sehen, eine wohlgenährte Landschaft. Wir beschließen den Tag und auch die Reise mit einem Pastis im Café du Nord in Arnay-le-Duc.
1
2
3
© Klaus Bölling, Frankfurt 1999
 
Unsere Linkempfehlung: Reisespinne
 

separation

Copyright © 2002-2007. Alle Rechte vorbehalten.
WebDesign & WebHosting: nalukkettu consulting

manasvi.de