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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 10/39]

sein ganzes Leben als Porter, also Lastenträger, gearbeitet und keine Reichtümer anhäufen können. Alte Leute, das wußten wir, waren in Indien im allgemeinen auf die Unterstützung ihrer Kinder angewiesen.
(RR: Zum zweiten Frühstück köpfte AM eine Kokosnuss, ich trank die Flüssigkeit, die eher wie Wasser aussah, aber köstlich schmeckte (wenn man Kokos mag!) und aß das etwas wabbelige Fleisch der Nuss. Es gab mehrere Arten von Kokosnüssen. Aus einer bereitete Ammeni Kokosraspeln.)

Cherpu oder die Sehnsucht nach einem Straßencafé
KB: Die Mittagsruhe war heute etwas problematisch, da unter unserem Schlafzimmerfenster die Schreiner herumturnten, die begonnen hatten, eine neue Holzkonstruktion für das Terrassendach zu montieren. Statt zu ruhen, machten wir einen kleinen Spaziergang nach Cherpu. Zur Abwechslung gingen wir den Weg, der am Vordereingang vorbeiführte. Wir hatten die Hauptstraße kaum erreicht, als auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Mensch uns aufgeregt zuwinkte. PM hatte uns schon gesagt, dass dort eine kommunale Holzwerkstatt war, in der Elefanten geschnitzt wurden und die wir uns unbedingt ansehen sollten. Da uns heute nicht nach neuen Erlebnissen zumute war, kehrten wir bald wieder um und saßen bis zum Abend schwitzend und erschöpft auf der Terrasse. In jedem anderen Land der Welt mit entsprechendem Klima hätte es um die Ecke ein Straßencafé gegeben, wo man unter dem tropischen Nachthimmel hätte sitzen und einen Rotwein trinken können. In Cherpu, hatten wir gehört, gab es nichts weiter als einen ‚Bar’ genannten offenen Bretterschuppen, wo ein paar finstere Gestalten im Mundu am Tresen herumstanden und sich mit stieren Blicken in größtmöglicher Eile einen Turborausch antranken. Als Erwachsene verkleidete Kinder im Toddyrausch, das war nicht das, worauf wir Lust hatten. Wir zogen es vor, um halb neun ins Bett zu gehen, wo wir uns, im eigenen Saft schmorend, unterm Moskitonetz herumwälzten.

Trichur-Impressionen
In einer Bank, vor deren Eingang bewaffnete Security stand, die uns höflich die Glastür aufhielt, zogen wir problemlos mit der EC-Karte den Höchstbetrag von fünfundzwanzigtausend Rupien. Der Tageskurs war ein Euro gleich achtundfünfzig Rupien. Im Supermarkt im City Center kauften wir ein Kilo Tomaten für knapp fünfzig Rupien.

In einer von der Klimaanlage auf Kühlschranktemperatur heruntergekühlten Herrenboutique im City Center versuchte ich, eines dieser langen, weißen Hemden zu erstehen, mit dem ich mich als Inder hätte verkleiden können. Doch da die beiden Verkaufsbeamten kein großes Interesse an den Tag legten, das einzige vorhandene Exemplar, einen Ladenhüter mit einem auffälligen Fleck auf der Knopfleiste, durch einen kräftigen Preisnachlaß loszuwerden, verzichteten wir auf den Kauf. Diese Kurta genannten Hemden mit dem Pyjama, der dazu passenden, in der Taille gebundenen, weißen Hose, wurden eher in Nordindien getragen und waren hier nur schwer zu bekommen. PM hatte seines aus Poona mitgebracht.

RR: Bis jetzt haben wir noch keine anderen „Weißen“ gesehen, deshalb fällt mir in einem
vorbeifahrenden Bus ein Mann auf, den ich als typischen Nordeuropäer

bezeichnet hätte (er erinnert mich an Boris Becker). Aber PM erklärt, dass das ein Albino sei, der eine Albino-Frau und Albino-Kinder hätte, und soweit er wüsste, würden diese Menschen, von allen verachtet, am Straßenrand sitzen und betteln.

KB: Auf dem Heimweg hielten wir noch kurz am Stadtrand von Trichur. Stadtrand war nicht so zu verstehen, dass hier die Stadt zu Ende war, es bedeutete nur, dass die flachen Gebäude auf der anderen Straßenseite weniger dicht standen und katastermäßig zu einer anderen Gemeinde gehörten. In die kleinen Lücken zwischen den Häusern hatten die Ärmsten der Armen sich Hütten aus Palmblättern gebaut, von denen wir nicht vermutet hätten, dass darin Menschen lebten. Doch wir sahen sie im grellen Schatten vorm Eingang und im Halbdunkel des Inneren auf dem nackten Erdboden hocken und alltäglichen Verrichtungen nachgehen. Wenn die Kommunisten gerade in der Regierung saßen, wurden diesen Menschen menschenwürdige Unterkünfte zugewiesen, die Hütten wurden abgerissen und die Straße wurde verbreitert, damit für eventuelle neue Hütten kein Platz mehr war. Die bürgerliche Regierung, die im Augenblick das Sagen hatte, tat sich mit diesem Programm der Slumvermeidung etwas schwerer.

Beim Zahnarzt
Im Wartezimmer hing ein Foto, auf dem verschiedene zahnärztliche Folterinstrumente abgebildet waren und auf dem geschrieben stand: HIGHLY STERILE DENTAL CLINIC We Use Only Highly Sterile Instruments... Um vier Uhr hatte ich den ersten Termin in Irinjalakuda. Eine Vollprothese sollte viertausend Rupien kosten, das waren weniger als siebzig Euro. Der Zahnarzt war PM von einem einheimischen Freund empfohlen worden. Im winzigen Warteraum saß eine junge Dame im Sari und mit blitzender Zahnspange hinter dem Empfangspult und langweilte sich furchtbar, da sie nichts weiter zu tun hatte, als ab und zu von fertig behandelten Patienten eine Handvoll Rupienscheine entgegenzunehmen.

Soweit ich das beurteilen konnte, gab es im Behandlungszimmer alles, was ein Zahnarzt brauchte, um professionell arbeiten zu können. Was das Ambiente betraf, so sah man sich in eine Zahnarztpraxis Mitte der fünfziger Jahre in der nordhessischen Provinz zurückversetzt. Ich sagte dem Doktor, dass ich mit dem Preis einverstanden sei und er anfangen könne. Ein erster Abdruck wurde gemacht, und in etwa zehn Tagen sollte alles fertig sein. Bis dahin würden wir bestimmt den Namen des Ortes, Irinjalakuda, zehn Kilometer südlich von Cherpu gelegen, aussprechen können.

Termiten schlüpfen
Den Abend verbrachten wir im Innenhof des Hauses, weil wir dort rauchen konnten und sogar, wenn die Wolken sich verzogen hätten, den Vollmond hätten sehen können. Allerdings brauchten die Wolken endlos, bis sie vorankamen, denn es wehte kein Lüftchen, und die Hitze floß wie Rübensirup über die Dachschrägen. Die Terrasse hatten wir verlassen, weil wir dort von einer Unmenge Viechern, die wir für fliegende Ameisen gehalten hatten, belästigt wurden. Es stellte sich heraus, dass es Termitenlarven waren, die heute aus ihren Erdlöchern geschlüpft waren und die Flügel, sobald sie eine Futterstelle in einem Stück Holz gefunden hatten, abwarfen, um sich ans Fressen zu

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