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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 14/39]

KB: Aß heute nur Brot und etwas Käse. AM brachte eine frisch geköpfte Kokosnuß, das Wasser sollte gut sein gegen Durchfall. Schicksalsergeben schluckte ich das Zeug runter. Ammeni würde zum Abendessen Kanni, eine Reissuppe für mich kochen. Was in Europa Haferschleim war, das war hier Kanni, gekochter Reis, bei dem das Kochwasser nicht weggeschüttet wurde. Absolut geschmacksneutral, zumindest schmeckte es nicht nach Coconut, und sehr nahrhaft. Die Arbeiter auf dem Grundstück bekamen es jeden Vormittag zum Frühstück. Zum Nachtisch gab’s einen Apfel. Für mich. Ob die Arbeiter jemals in ihrem Leben einen Apfel gegessen hatten, wußte ich nicht.

Eine Wette
Da ich immer noch heftigen Durchfall hatte, schluckte ich zwei Imodium-Kapseln. Nach dem Frühstück wankten wir durch die Hitze, RR heute mit schwarzem Schirm gegen die Sonne, nach Cherpu hoch bis zum Tempel. Auf diesem Weg machten wir eine interessante Beobachtung: Wir konnten aus dem Gesicht und dem Gang eines uns Entgegenkommenden ziemlich sicher schließen, ob er sich, wenn er an uns vorbei war, umdrehen und hinter uns herglotzen würde oder nicht. Wir machten ein paar Versuche, und es haute hin. Wir könnten Wetten abschließen!

Nach einer halben Stunde hatten wir von Hitze, Staub und Lärm genug und nahmen eine Rikscha zurück nach Nalukkettu, wo wir uns auf die kleine Terrasse setzten, da auf der großen Frontterrasse die Bauarbeiten in vollem Gange waren. Das Thermometer zeigte einunddreißig Grad. AM hatte Anweisung gegeben, dass ich jeden Tag eine Kokosnuß essen müsse, deshalb stand, kaum hatten wir uns erschöpft in den Korbsesseln niedergelassen, Balan, das Faktotum für die gröbere Gartenarbeit, vor uns und köpfte mit seiner Machete vor unseren Augen so ein haariges, braungrünes Ei. Ich schluckte gehorsam die klare Flüssigkeit, doch das Fruchtfleisch zu essen, weigerte ich mich. Ameni empfahl als Hausmittel gegen Durchfall: Black tea with lemon, no sugar... Zum Lunch gab es für mich Rasam, in die ich ein paar Löffel Reis reinschaufelte. Als ich mir eine üppige Dosis Tamarindenpaste, die heute auf dem Tisch stand und fein säuerlich gesund schmeckte, in die Suppe tun wollte, warnte Alok Don’t take too much, you get thinshit from it... Mahlzeit!

Missverständnisse und Widersprüche
Was uns bei Gesprächen mit den Einheimischen irritierte, war, dass ein Kopfschütteln JA bedeutete, was zu Mißverständnissen führen konnte, da der Kopf eine gewiße Zeit brauchte, um die ungewohnte Körpersprache adäquat zu übersetzen. Außerdem wurde uns allmählich klar, dass der Reiz des Neuen vorbei war. Was vor einer Woche noch exotisch war, heute war es nur noch eine Mischung aus schlechter Luft, Lärm, Staub, feuchter Hitze und nicht vorhandener Landschaft, in der überall Menschen standen oder herumgingen. Das Auge fand keinen Punkt, wo es sich ausruhen konnte, nichts lud zum Verweilen ein.

Während ich hier Probleme mit vier warmen Mahlzeiten am Tag hatte, verhungerten im nahen Tamil Nadu jeden Tag Hunderte von Menschen, über siebentausend täglich sollten es auf dem Subkontinent sein. Diesen ganzen Karma-Bullshit hatte ich noch nicht so verinnerlicht wie PM, der erzählte, er könne seelenruhig am Tisch sitzen und essen, während jemand neben ihm verhungerte. So weit war ich noch nicht. Die Widersprüche dieses Landes machten mich krank. Ich fühlte mich ihnen ausgeliefert. Selbst im privaten Bereich waren sie allgegenwärtig. Es gab keine Rückzugsmöglichkeit. Während ich vergebens mit dem Kopf gegen sie anrannte, rebellierte der Bauch.

Das blaue Riesen-Streifenhörnchen
RR: Die Luftfeuchtigkeit war so hoch, dass man immer
ein Tuch zum Schweiß abwischen zur Hand haben
musste. Wir saßen auf der kleinen Terrasse, bewegten uns so wenig wie möglich und sahen den Vögeln zu, die ungeniert um uns herumhüpften. Einige erinnerten an kleine Wiedehopfe, entweder mit einem roten Kopf oder mit rotem Schwanz. Ein Vogel hatte eine leuchtend gelbe Unterseite, die obere Hälfte war pechschwarz. PM gesellte sich zu uns und erzählte die Geschichte von dem blauen Riesen-Streifenhörnchen, das normalerweise im Dschungel lebt. Ein Bekannter hatte Frau und Kindern eine Freude machen wollen und sich ein Tier fangen lassen. Da die Frau völlig hysterisch reagierte, hatten PM und AM es in ihre Obhut genommen. Es bekam einen eigenen Raum im Haus, der mit Bambus-Ästen ausgestattet war und wurde allmählich zutraulicher. Irgendwann wurde es auf dem Grundstück frei gelassen und bewegte sich anfangs auch nur innerhalb der Mauern. Als das blaue Tier eines Tages außerhalb des Grundstücks auf einem Baum saß, bewarfen die Kinder es mit Steinen. PM sagte ihnen, es sei wie alle Tiere heilig und sie sollten es in Ruhe lassen und sich einfach daran erfreuen. Doch je weiter es sich vom Haus entfernte, desto mehr wurde es gejagt, schließlich gefangen - und aufgefressen. PM hörte sich um und ließ in der Nachbarschaft verbreiten, dass die Täter zu ihm kommen sollten. Es kamen tatsächlich drei Männer, die er fragte, warum sie in dem Tier nicht die Gottheit gesehen hätten. Sie waren ziemlich zerknirscht, da sie gläubige Hindus waren und sagten, wenn sie gewusst hätten, dass es dem Saipu (Sahib) gehörte, hätten sie es natürlich nicht getötet und gegessen...

Kathakali in Trichur
KB: PM war Mitglied in mindestens einem Dutzend Vereinen, die sich der Pflege der keralischen Hochkultur widmeten, war zu allen Veranstaltungen eingeladen und durfte Gäste mitbringen. Heute Abend fand in Trichur eine Kathakali-Veranstaltung statt. Kathakali (wörtlich: Darstellung einer Geschichte) hat sich im 17. Jahrhundert aus dem viel älteren Kutiyattam, von dem wir schon einen Eindruck erhalten hatten, zu einer eigenständigen, klassischen rituellen Tanzform entwickelt. Die Tänzer, deren Ausbildung im Alter von acht Jahren beginnt und über zehn Jahre dauert, haben kunstvoll gearbeitete, weite, steifleinene Reifröcke an, die farbenprächtig verziert sind, hinten nur knapp bis zur Kniekehle reichen und in der Taille gebunden werden; sie tragen einen hohen, an einen christlichen Heiligenschein erinnernden Kopfschmuck und an einer Hand manchmal lange Silberfingernägel, die ein noch ausdrucksvolleres Spiel der Hände ermöglichen. Das Make-up ist aufwendig, und das Schminken kann Stunden dauern. Jede Farbe oder Farbkombination im Gesicht ist bestimmten Charakteren zugeschrieben. Alle, auch die weiblichen Rollen werden von Männern getanzt.

Es wurde heftig mit den Augen gerollt, die Augenbrauen hoben sich bedeutungsvoll, jede Bewegung der Hände und Füße drückte emotionale Tiefen aus, die dem Uneingeweihten verborgen bleiben. Die Bühne wurde hauptsächlich von dem fettig blakenden Licht einer großen Messingöllampe beleuchtet. Rechts im Hintergrund zwei Männer, die unterschiedlich große Becken aus Messing schlugen und manchmal in einer Art Sprechgesang die Geschichte, die gerade getanzt wurde, erzählten. Links zwei Trommler, einer schlug mit schmalen gebogenen Hölzern die aufrechte Chenda, der andere mit beiden Händen, auf deren mittleren Fingern Holzkappen saßen, die Maddalam, eine waagerecht um die Hüfte gebundene Faßtrommel. Alle waren barfuß, mit nacktem Oberkörper, und trugen lange weiße Mundus mit roten Borten. Die Trommler, die das Publikum beim Frankfurter Jazzfestival in einen Taumel der Begeisterung versetzt hätten, beobachteten die Darsteller mit einem konzentrierten und gleichzeitig entrückten Gesichtsausdruck, um jede Geste des Tanzes mit äußerst komplizierten Rhytmen zu unterlegen.

Ohne diese Trommler wäre die Geschichte, die PM uns zum Glück vorher erzählt hatte, ziemlich schnell

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