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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 20/39]

Am Ende des letzten Saales angekommen, öffnete die junge Frau, die uns diskret begleitet hatte, eine schmale Tür, die blendendes Sonnenlicht und leicht gesalzene Meeresluft hereinließ. Man blickte über eine breite Wasserstraße, auf der das Grün einer Unmenge von Wasserhyazinthen trieb, hinüber zu den Hafenanlagen von Wellingdon Island, das wie ein Schiff inmitten des Naturhafens trieb, den die Engländer, ehe man sie davonjagte, noch für Ozeanriesen hatten ausbauen lassen. Das Gras auf dem schmalen, gemauerten Uferstreifen, wo Boote anlegen konnten, erinnerte an einen sorgsam gepflegten, englischen Rasen. Wir genossen die frische Meerluft bis wir wieder zurück in die Antiquitätendämmerung traten, um uns durch den Staub des Göttlichen und Profanen bis zum Ausgang zurückzutasten.

Die Synagoge am Ende der Gasse war leider geschlossen, aber auch von außen sah sie sehr schön aus mit ihren weißen Mauern, den meerblauen Fensterläden, der Sonnenuhr von 1770 und dem rotgeschindelten Keraladach, auf dem sich ein filigranes Türmchen mit einer frei hängenden Glocke darin und einer Wetterfahne auf der Spitze erhob. Die Mitglieder der einstmals blühenden jüdischen Gemeinde in Kochi waren übrigens bis auf eine Handvoll Familien in den letzten Jahren alle nach Israel ausgewandert

Es war nicht einfach, mit dem Auto aus dem engen Gassengewirr herauszufinden, wo sich Lastwagen, Busse und Rikschas manchmal zu schier unüberwindlichen Barrikaden verknäulten. Wenn es dann weder vorwärts noch rückwärts ging, ließ ein ortskundiger Straßenhändler seinen zweirädrigen Karren am Straßenrand stehen und leitete den Verkehr kurzerhand um. Als Nicht-Ortskundige hatten wir noch mit einer anderen Schwierigkeit zu kämpfen: Da es an kaum einer Straßenkreuzung Wegweiser gab, mußten wir alle paar hundert Meter einen Einheimischen fragen, wo es nach Fort Kochi ging. Dabei konnte es vorkommen, dass wir von verschiedenen Leuten in verschiedene, manchmal auch entgegengesetzte Richtungen geschickt wurden (RR: Das sollte sich als indische Eigenart herausstellen. Da ein Inder es aus reiner Höflichkeit seinem EGO gegenüber nicht über sich bringt, zuzugeben, dass er etwas nicht weiß, zeigt er in so einem Fall strahlend in irgend eine Richtung und ist davon überzeugt, ein gutes Werk vollbracht zu haben, da er weder den Auskunftheischenden noch sich selbst gekränkt hat).

Trotz der Auskünfte der Einheimischen fanden wir schließlich nach Fort Kochi, wo wir das Auto in der parallel zum Strand verlaufenden River Road parkten, in der Nähe des Vasco da Gama Square. Kaum hatten wir das Auto verlassen, wollten Schlepper uns zu Rikschafahrten nach dahin, wo wir gerade herkamen, überreden. Bis zu den chinesischen Fischernetzen, dem bekanntesten Fotomotiv Keralas, waren es nur ein paar Schritte. Am Kai hatte gerade eine Dschunke festgemacht, auf der Fischer, die im Kostümfundus eines Operettentheaters gewildert zu haben schienen, in ihrem Fang wühlten und mit wilden Blicken für die Nikon Haltung annahmen. Ein sehr kleiner Hund versuchte schüchtern und unerfahren auf tapsig einknickenden Beinchen und mit freundlich wedelndem Schwanz einen Fisch zu erschmeicheln. Leider erfuhren wir erst, nachdem wir wieder zu Hause waren, dass wir für ein paar Cent einen Fisch direkt vom Schiff hätten kaufen und in einer der Bretterbuden am Kai mit Knoblauch, Salz und Zitrone und garantiert ohne Kokos auf offenem Grill hätten zubereiten lassen können.

Auf dem kleinen, dreieckigen Platz, dem Children’s Park, ging es im Schatten alter Baumriesen zu, wie auf einer Dorfkirmes. Aufgeputzte einheimische Kinder kreischten sittsam um ein handbetriebenes Karussell herum. Europäische und amerikanische Touristen schoben ihr gesottenes Fleisch durch die Gegend. Tonnenweise wurde Plastikmüll in Souvenirform angeboten, unter anderem auch ein Modell der chinesischen Fischernetze, das mich interessiert hätte. Da ich aber grundsätzlich an solchen Örtlichkeiten nichts kaufte, würde deren Funktionsweise mir auf ewig verborgen bleiben. Kurta Pyjamas in allen Variationen und Flatterhemden in allen Farben des Regenbogens hätte ich hier kaufen können, zum dreifachen Preis wie in Trichur.
(RR: Ich zögerte ein wenig beim Vorbeischlendern. Hier würde ich wahrscheinlich etwas für die Töchter zu Hause finden. Aber ein vernichtender Blick von KB und ein Kurzreferat von PM signalisierten mir, dass hier alles viel zu teuer sei. Vielleicht hätte ich mich nicht so leicht gefügt, wenn ich nicht völlig erschöpft gewesen wäre. Ich fühlte mich einfach außerstande, mit den Händlern auch nur ein Wort zu wechseln.)
Wir spazierten lustlos über die neue gepflasterte Strandpromenade durch eine blaugrüne Hitze, die jede vom Winde verwehte Plastiktüte, jeden Papierschnipsel am Straßenrand die Dimension einer Mülldeponie annehmen ließ. Palmen wiegten sich im kaum vorhandenen Wind, das Arabische Meer leckte mürrisch an dem mit verwehtem Restmüll bedeckten Strand, zu dem heilige Banyantrees sehnsüchtig ihre Luftwurzeln ausstreckten. Fette, schwarzglänzende Krähen schaukelten, wenn sie nicht gerade kreischend über unseren Köpfen segelten, auf den Haltetauen der Fischernetze. Ein Eisverkäufer schob seinen von einem bunten Schirmchen gekrönten Karren vor sich her. Als wir die beiden über vier Meter hohen, rostigen Dampfkessel passiert hatten, die um die Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert im alten Hafen ihren Dienst versehen hatten und jetzt als Industriedenkmal in der Landschaft herumstanden, verließen wir die Gestade des Arabischen Meeres und wandten uns dem touristisch erschlossenen Binnenland zu.

Hinter hohen, oft stacheldrahtgekrönten, einstmals weißen Steinmauern sah man Ferienbungalows, die alle leer zu stehen schienen. Bei manchen schien man mittendrin mit dem Bauen aufgehört zu haben. Hinter einem rostigen Eisentor ragte eine vom Monsunschimmel zerfressene Betonruine in den giftblauen Himmel. Ein Teil der Mauer war kanariengelb getüncht. Darauf stand in signalroten Buchstaben geschrieben ‚Rooms available here’, was von unfreiwilliger Komik war, denn nichts schien hier bewohnbar zu sein. Aber wir konnten uns auch täuschen.

Die Straße, in der das Auto geparkt war, führte zum Parade Ground, einem Platz von der Größe eines Fußballfeldes, auf dem inmitten mampfender Ziegen Schuljungen in Uniform, zu der natürlich eine Krawatte gehörte, Kricket spielten. An der Stirnseite ein Luxushotel, aus dem zwei junge weiße, und obendrein hübsche Memsahibs herauskamen, um mit dem vor dem Hotelportal wartenden, ebenfalls sehr jungen, einheimischen Rikschafahrer zu verhandeln, dem man ansah, dass sein Hormonhaushalt bei dieser Fuhre appetitlichen weißen Weiberfleisches aus den Fugen zu geraten drohte. Laut PM lagen die Preise in dieser Luxusherberge bei zweihundertfünfzig Dollar aufwärts pro Person und Nacht.

An der einen Längsseite des Platzes stand hinter einer untadelig weißen Mauer ein ebenso untadelig weißer Bungalow, hinter dessen Glastür wir Air Condition und Sauberkeit vermuteten. Es war ein Designer Laden, in dem uns zwei charmante, junge Inderinnen empfingen, die, souverän und gut geschult, auf den ersten Blick sahen, dass wir nichts kaufen würden, aber nachempfinden konnten, dass wir einen kurzen Aufenthalt in ihren klimatisierten, klinisch sauberen, mit sehr geschmackvollen Dingen dekorierten Räumen unbedingt brauchten. Es gab entzückenden Schmuck nebst modischem Schnickschnack und Kunsthandwerk zu sehen
(RR: zu durchaus europäischen Preisen). Obwohl wir nichts gekauft hatten, wurden wir zum Schluß höflich und überaus freundlich verabschiedet.

Als wir wieder unter den leeren Himmel traten, schien sich die Temperatur verdoppelt zu haben. Wir warfen einen Blick in die St. Francis Church, drückten einer am Portal lauernden Bettlerin eine Münze in die Hand und gingen durch ein paar Gassen, wo der Blick immer wieder auf brachliegende Baugrundstücke fiel, auf denen sich Abfall sammelte. Auch die paar Gebäude im holländischen und englischen Kolonialstil mit Türmchen und Erkerchen und winzigen Sprossenfenstern, wie man sie in der Altstadt von Delft oder in der Hügellandschaft von Devon sehen konnte, machten die Gegend nicht attraktiver.

Das Kashi Art Café in der Burgher Street war ein Lichtblick, eine Oase in der Wüstenei des indischen Alltags, wo man immer in Bewegung sein mußte. Hier durften wir endlich rasten. Unaufdringlich sauberes Innenhofambiente mit hellen, freundlichen Farben. Ein kleiner Springbrunnen verbreitete die Illusion von Kühle. Von zehn Gästen waren acht Europäer. Alleinreisende junge Engländerinnen saßen an Holztischen und schrieben Briefe oder in dicke Reisetagebücher. Zwei zartgliedrige, hübsche italienische Boys saßen uns gegenüber auf Barhockern und unterhielten sich über die Qualität des europäischen breakfast, das man hier im Café bestellen konnte. Angenehm entspannte Atmosphäre, in der wir uns bei einem wunderbaren Eiscafé von den Strapazen des alltäglichen indischen Wahnsinns erholten.

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