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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 27/39]

Fußkettchen aus Silber
In der High Road, einer sehr lebhaften Basarstraße, lag ein kleiner Juwelierladen am anderen, und es wurde überwiegend Silberschmuck verkauft. Wir klapperten eine ganze Reihe von Läden ab und gingen dann wieder zurück zum ersten, wo RR hübsche Ohrringe gesehen hatte. Der Besitzer hatte ein offenes, symphatisches Gesicht und schien nicht der Typ Händler zu sein, der darauf aus war, ausländische Touristen übers Ohr zu hauen. Während wir vor den Verkaufsvitrinen saßen und darauf warteten, dass der Besitzer, der zwei indische Frauen bediente, sich uns zuwandte, ging draußen eine junge, zigeunerhaft aussehende Frau mit einem Kind auf dem Arm vorbei. Sie blickte uns direkt ins Gesicht, und ihre Augen sagten, wir haben Hunger, gebt uns eine Rupie. Der Ladenbesitzer hatte sie ebenfalls bemerkt und ignorierte sie. Wir taten das Gleiche, und sie ging weiter.

RR: Ich hatte in der Zwischenzeit bereits in Erfahrung gebracht, dass der Schmuck, der mir für die Töchter vorschwebte, überwiegend in Nord-Indien hergestellt und verkauft wurde. Da wir alle nicht so gern Goldschmuck mochten, war ich erleichtert, hier in der „Juwelierstraße“ auch Silber zu finden. Die keralischen Frauen trugen fast nur Goldschmuck, den ich zum größten Teil als kitschig empfand, der für viele Frauen aber ihren einzigen Besitz darstellte. Nur die Fußkettchen, die etliche Frauen und viele Kinder trugen, waren aus Silber. Bei „meinem“ Juwelier erstand ich also Fußketten für die Töchter, Ohrringe für uns alle und für mich noch zwei zarte silberne Halsketten. Die Augen des Juweliers begannen zu leuchteten, er witterte das große Geschäft. Nachdem er sich erkundigt hatte, ob wir Christen seien und KB zustimmend etwas gemurmelt hatte, kramte er Silberringe, die auch als Rosenkranz dienen konnten, hervor, silberne Kreuze und ähnliches, doch wir winkten ab. Zum Schluss wurde alles auf eine kleine Waage gelegt und der Preis jedes Schmuckstücks nach Gewicht berechnet. Wir zahlten dreitausendzweihundertfünfzig Rupien (knapp sechzig Euro für uns; für den Juwelier entsprach das einem Wert von tausendsechshundertfünfundzwanzig Euro). Als wir nach einem Mengenrabatt fragen, wird der symphatische Mensch einsilbig und sagt etwas beleidigt, dass wir den korrekten Preis zahlen.

Air Mail
In dem Juwelierladen hatte sich an der Decke schwerfällig ein uralter Ventilator gedreht, der zwar keine Kühlung brachte, aber immerhin die heiße Luft etwas durcheinander wirbelte und unseren Schweiß trocknete. Dieser brach auf der Straße sofort wieder aus, als wir uns auf den Weg zum Postamt machten. Wir hatten inzwischen schon fast die Geschicklichkeit und gottergebene Wurschtigkeit der Keralesen erreicht, was das Überqueren einer Straße betraf. An großen Kreuzungen sah man uns zwischen Bussen, Rikschas und Motorrollern wie die Hasen hakenschlagend über die Straße hoppeln.

Im Postamt macht mich eine freundliche Beamtin darauf aufmerksam, dass ich auf alle Postkarten (ich konnte es nicht lassen, auch in Indien welche zu schreiben) noch „Air Mail“ draufschreiben muß. Dann geht sie zu einem Kollegen, der unentwegt eine alte Frankiermaschine kurbelt und kommt zu mir zurück, um mir strahlend jede Karte mit dem darauf gestempelten Porto zu zeigen.

Unsere Hoffnung auf einen Sitzplatz im Bus nach Cherpu wird erfüllt. Vor mir sitzt eine Frau, die einen ca. zweijährigen Knaben auf dem Schoß hat, der auf seiner Stirn einen schwarzen Punkt trägt und mich aus großen, mit Kajal umränderten Augen anstarrt.

Zwischen Manufaktur und Fabrik
KB: Die Ziegelei lag etwas außerhalb Trichurs. Die Gebäude und der hohe, rechteckige Schornstein waren aus braunroten Backsteinen gemauert. Im Bürogebäude, wo PM, den wir
begleiteten, als der reiche Saipu bedienert wurde, schien man gerade Feierabend machen zu wollen. Doch die Produktion lief noch auf vollen Touren. Ob hier auch nachts gearbeitet wurde, vergaßen wir leider zu fragen. Der Betrieb war nicht mehr Manufaktur und noch nicht
ganz Fabrik. Wir hatten das
Gefühl, uns in einem Film, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielte, zu bewegen. Hier konnte man eine Übergangsperiode studieren, wo die Menschen noch die Illusion hatten, dass die Maschinen die Arbeit erleichtern, während diese weitgehend schon dabei waren, den Arbeitsrhythmus der Menschen zu bestimmen.

In den Werkhallen herrschte Halbdunkel, das durch ein paar von der Decke herabhängende Glühbirnen noch verstärkt wurde. Es war eine Schattenwelt, durch die wir uns bewegten. Jeder Lichtstrahl schnitt Staubsäulen aus dem weichen Dämmerlicht, durch das sich Frauen im Arbeitssari, mehrere Ziegelsteine übereinander gestapelt auf dem Kopf transportierend, anmutig hin und her bewegten. Ein an der Decke aufgehängtes Förderband rüttelte in Brusthöhe mit Kettengerassel von irgendwo nach nirgendwo. Es roch nach staubigen, eben abgeernteten Kornfeldern und heißem Maschinenöl. Etwa zweihundert Menschen arbeiteten hier. Davon waren zwei Drittel Frauen. Die Vorarbeiter waren Männer. Soweit wir das beurteilen konnten, hatte keine der Maschinen Schutzvorrichtungen. Reparaturschweißarbeiten wurden an der laufenden Maschine vorgenommen. Absauganlagen oder Staubmasken sahen wir keine. Gottvertrauen ersetzte den Unfallschutz.

Hunderte von LKWs brachten täglich Lehm von den Reisfeldern und luden ihn auf den Höfen, die die Werkhallen umgaben, ab, wo er von Sonne und Luft getrocknet wurde. Anschließend wurde die Masse zu Pulver zermahlen und, mit Wasser vermischt, zu groben rechteckigen Platten geformt, aus denen man Ziegel jeder Form und Größe herstellen konnte. In Trockenkammern wurden sie eine Woche luftgetrocknet, während der Monsunzeit dauerte es über drei Wochen, dann wurden sie in riesigen gemauerten Öfen, die mit dem Holz der schnellwachsenden Gummibäume geheizt wurden, gebrannt. Die bei dem Brennvorgang entstehende Abwärme wurde mittels Ventilatoren durch ein unterirdisches Röhrensystem zurück in die Trockenräume geleitet. All dies wurde uns von einem leidlich Englisch sprechenden Vorarbeiter erklärt. Da wir wie eine hochrangige ausländische Besucherdelegation herumgeführt wurden, konnte ich hemmungslos fotografieren und mich darauf verlassen, dass RR mir später alles Wichtige erzählen würde. Ich war lediglich bemüht, die Gruppe nicht aus den Augen zu verlieren, denn allein hätte ich Angst gehabt, aus diesem staubdunklen Labyrinth je wieder herauszufinden.

Disneyland und Vogelperspektive
Von der Erhebung, auf die sich eine schmale Straße emporschraubte, hatte man einen weiten Blick über die Stadt und das flache Land. PM fluchte, dass es auch hier jetzt einen Schlagbaum gab, neben dem ein uniformierter Mensch in einem Kassenhäuschen saß und die Hand aufhielt. Auf der Hügelkuppe sahen wir die trostlosen Überreste eines vor zehn Jahren errichteten „Vergnügungsparks“ vor sich hinrosten. Es gab dort ein kleines Karussell, eine Kinderrutsche und ein betoniertes Becken, in dem man, wäre es mit Wasser gefüllt gewesen, im Kreis herum hätte Boot fahren können. Alles war, da in einem lebensgefährdenden Zustand von Baufälligkeit, abgesperrt. Das Ensemble aus rostigen Metallteilen und monsungeschwärztem Beton hatte genau ein Jahr seinen Zweck erfüllt, nämlich den Erbauern eine Gelegenheit zu bieten, sich auf einer ‚künstlerisch’ gestalteten Betonmauer namentlich als Stifter dieser herrlichen Vergnügungsparkruine verewigen zu lassen. Die vor der Mauer aufgepflanzte Fahnenstange ließ darauf schließen, dass man hier an bestimmten Feiertagen, wenn die Flagge gehißt war, erbauliche Reden gehalten hatte. Früher, als dieser wunderschöne Hügel noch nicht vom Verewigungszwang geltungsgieriger Provinzfürsten verschandelt war, hatte sich hier die Jugend Trichurs getroffen. Hier konnte man einen draufmachen, ein bißchen Party, ein bißchen Flirten, und alles unbeobachtet von den Sittenwächtern der Hindutradition. Das hatte man unterbinden wollen und deshalb etwas hingestellt, wofür man Eintritt verlangen und damit den Jugendlichen den freien Zugang vermiesen konnte.

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