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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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[Kerala 2004 - Seite 3/39]

Nachdem wir einen Parkplatz gefunden und den Round ohne größere Verletzungen überquert hatten, führte uns PM ins Indian Coffee House, ein an eine Bahnhofswirtschaft dritter Klasse erinnerndes Restaurant, wo man aber unbedenklich etwas trinken und essen konnte, was in anderen Etablissements, wenn man sie nicht genau kannte, nicht anzuraten war. Ein Kellner mit weißem, an einen gefächerten Turban erinnernden Kopfputz brachte uns Kaffee und drei Gläser mit Wasser, die er gleich wieder mitnahm, als er bemerkte, dass wir nicht so aussahen, als würden wir Leitungswasser trinken. Es fiel auf, dass nur Männer rumsaßen. PM klärte uns auf, dass der erste Stock und die Separées an der einen Längswand für Familien und Frauen reserviert waren. Kurze Zeit später allerdings setzten sich zwei Paare in unsere Nähe, ohne dass ein Aufstand ausgebrochen wäre.

Eine Tasse des hervorragenden indischen Kaffees kostete vier Rupien, was beim derzeitigen Kurs von 1 Euro gleich 58 Rupien etwa sieben Cent waren. Für die Einheimischen, die ihr Geld hier verdienten, das hatte uns PM erklärt, entsprachen vier Rupien dem, was für uns zwei Euro in Frankfurt gewesen wären. Faustregel also: Um nachvollziehbare und vergleichbare Eurobeträge rauszubekommen, mussten ausländische Euroverdiener den jeweiligen Rupienbetrag durch 58 teilen, einheimische Rupienverdiener durch 2 !

Die Preise, die ich mir in den beiden Supermärkten notierte, die wir anschließend besuchten, sprachen für sich:

1 kg Salz 7 Rp (Für uns 12 Cents; für Inder 3,50 Euro)
Ein Stück Lux Seife 13 Rp (Für uns 25 Cents; für Inder 6,50 Euro)
6 abgepackte Äpfel (Importware) 39 Rp (Für uns 68 Cents; für Inder 19 Euro)
2 Ltr. Mineralwasser Aquafina 18 Rp (Für uns 31 Cents; für Inder 9 Euro)
Halber Liter Milch 7 Rp (Für uns 12 Cents; für Inder 3,50 Euro)
Colgate Zahnpasta 12 Rp (für uns 21 Cents; für Inder 6 Euro)
Halbes Kilo Kichererbsen 27 Rp (Für uns 47 Cents; für Inder 13,50 Euro)...

Der normale Einheimische, der sich im Indian Coffee House an einem Glas Leitungswasser festhielt, konnte in diesen Supermärkten nicht einkaufen. Das war uns klar, und PM bestätigte es.
(RR: Im Supermarkt im City-Center passiert zum ersten Mal das, was später noch oft geschehen sollte: Eine ältere indische Dame spricht mich freundlich an und fragt, woher ich komme. Sie erzählt, dass sie in Dehli lebe. Da sie ein sehr gutes Englisch spricht, verstehe ich sie problemlos, im Gegensatz zu anderen Indern. Die meisten haben offenbar ihr eigenes Englisch entwickelt, von dem ich in der ersten Zeit nur einzelne Wörter erkenne. Auch KB ging es zu Anfang ähnlich. Später gewöhnt man sich immer mehr daran.)

In beiden Supermärkten hatte ich, wenn auch nur verstohlen, so doch um so vergeblicher nach einem Wein- oder Bierregal Ausschau gehalten. Deshalb hielt PM in der Nähe des Busbahnhofs vor einer an der Frontseite offenen Bude, vor deren Theke eine lange Schlange von Männern wartete. Es war die staatlich lizensierte Alkohol-Tanke. Da PM weder rauchte noch trank, konnte er mir nicht sagen, wieviel Tankstellen dieser Art es in Trichur gab. Ich nehme an, es waren nicht viele. Da wir in einem Landrover vorfuhren und weiße Haut hatten, wurden wir sofort an die Spitze der Schlange gewunken, wo wir im Handumdrehen einen Karton mit zehn Flaschen Bier erhielten. Die 0,65 Liter Flasche kostete vierzig Rupien, das waren für mich siebzig Cent, für einen Inder zwanzig Euro. Als Greenhorn war es mir noch peinlich, derart bevorzugt behandelt zu werden, doch die Einheimischen, die nach billigem Schnaps anstanden, zeigten nur stumpfe Gleichgültigkeit.
(RR: Mehrfach schon hatte ich an irgendwelchen Mauern Männer im Mundu stehen sehen, die mir den Rücken zukehrten. Mit nicht allzu viel Fantasie hatte ich erraten, dass sie dort ungeniert pinkelten. Einige saßen
auch in der Hocke davor, und da ich nicht davon ausging, dass sie dort meditierten, ergab meine Nachfrage bei PM, dass ich richtig vermutet hatte, sie mussten halt gerade mal kacken.)

Das Chaos funktioniert
KB: Die enge Seitenstraße war blockiert. Zwei Busse und zehn Rikschas standen ineinandergeknäult, weil sich alle gleichzeitig hatten überholen wollen und jetzt weder vorwärts noch rückwärts konnten, und keiner bereit war, auch nur einen halben Meter Boden aufzugeben. Die Mittagssonne knallte aufs Autodach, und den offenen Abwasserkanälen entströmte ein herber Geruch. Die Inhaber der Bretterbuden am Straßenrand erwachten aus ihrer Lethargie und balancierten ein Tablett mit Gläsern voll Chai durch die Menge. Ein gelangweilter Verkehrspolizist führte seine gestärkte, senfgelbe Uniform durch das Gewühl, und bald darauf wurde eine Rikscha ein paar Schritte zurückgeschoben, eine andere ein paar Meter zur Seite, eine dritte einen Meter nach vorn, ein Motorradfahrer quetschte sich durch die entstandene Lücke, und die Busse begannen zu rangieren. Eine Ambulanz mit Blaulicht erhöhte noch einmal kurzzeitig die Spannung, als sie durch das in Bewegung geratene Chaos kreischte, das niemand außer uns, denen der Arsch an den Kunststoffsitzen klebte, als Chaos wahrgenommen hatte. Irgendwann löste sich der Blechklumpen auf. Die Fahrgäste, die mitgeholfen hatten, die Rikschas hin und her zu schieben, stiegen in ihre Busse, und die Händler schlurften mit leeren Teegläsern zu ihren Bretterbuden zurück, um weiterzudösen. Der indische Alltag ging weiter - ohne Hast, ohne Hektik. Das Chaos funktionierte. Außerdem gewöhnte man sich allmählich an den Straßenverkehr. Auf der Hinfahrt hatten wir einen Unfall gesehen, der nicht so aussah, als hätte ihn jemand überlebt. Es war also nicht ungefährlich, sich auf diesen Straßen zu bewegen. Unseren Traum, ein Fahrrad zu mieten und damit durchs Land zu fahren, hatten wir bereits aufgegeben. Dazu reichte unser Gottvertrauen nicht aus. Entschädigt wurden wir durch den Anblick zweier Elefanten, die auf einem Holzplatz, der die umliegenden kleinen Möbelmanufakturen mit Material versorgte, bei der Arbeit waren. Fast überall waren auf offenen, betonierten Veranden die gleichen häßlichen Sessel und Couchgarnituren ausgestellt, die bei uns als Gelsenkirchner Barock bekannt sind. Ganz Indien wurde von hier aus beliefert. Landschaft war kaum zu sehen. Ab und zu ein mit Wasserrosen bedecktes Reisfeld, ansonsten wimmelte es in dem milchiggrünen Licht von Menschen, die unter staubigen Kokospalmen immer in Bewegung waren.

Tempelfest in Cherpu
Es war bereits dunkel, als wir bis zur Ortsmitte von Cherpu fuhren, wo wir in der Nähe des Tempels parkten. Nur die Straßen, die zum Tempel führten, waren durch extra installierte, mobile Neonlaternen hell erleuchtet. An den Straßenrändern standen Verkaufsbuden mit Süßigkeiten und Spielsachen. Es herrschte Kirmes-Stimmung. Die Menschen, die uns umwogten, waren festlich herausgeputzt, die Frauen trugen bunte Saris, die Männer weiße Mundus, ihre Oberkörper waren nackt, über der rechten Schulter lag ein akurat gefaltetes weißes Handtuch, damit war man als Mann korrekt gekleidet. Bei denen, die sich mit besonders arroganter Miene durch die Menge schoben, sah man zusätzlich die dünne Brahmanenschnur über der Schulter. Es roch nach staubiger Hitze und tropischem Regen, der keine Kühlung brachte und, je näher wir dem Haupteingang des Tempels kamen, nach siedendem Kokosöl, das in hunderttausenden von Öllämpchen verbrannt wurde und die Luft mit fettigen Schwaden durchzog. Zwei Bettler machten halbherzige Versuche, eine Rupie von uns zu ergattern und waren wohl eher vom Tourist Department hergeschickt worden, um den verloren am Straßenrand herumstehenden sechs europäischen Touristen, die vom nahegelegenen Ayurvedaresort herangekarrt worden waren, einen Eindruck von authentischer indischer Folklore zu bieten. Schon in Trichur war uns aufgefallen, dass es in Frankfurt mehr Bettler gab als hier. PM hatte uns erklärt, wenn Obdachlose oder Bettler aufgegriffen würden, so stammten sie mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem armen Nachbarstaat Tamil Nadu, wohin sie gleich wieder abgeschoben wurden.

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