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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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Cornwall und Südengland, September 2000

ein Reisebericht

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Carter's Farm
BSE hin Schafkrankheit her - es gibt sie noch, die bukolischen Landschaften mit den poetischen romantischen Schafen des Henry James...


Ein Spätsommertag in Südengland
Families only... steht auf dem kleinen Schild am Eingang zum Camping Site auf dem Farmgelände, man möchte nur Paare über Dreißig, dogs welcome...

Es ist früher Nachmittag, als wir auf den Hof von Carter's Farm rollen. Auf dem Weg dorthin haben wir einen Vorgeschmack auf die Straßenverhältnisse abseits der Hauptstraßen bekommen. Der rechte Fahrbahnrand von einer gepflegten Hecke gesäumt, neben uns noch Platz für einen Fahrradfahrer. Zum Glück kam uns niemand entgegen, und wir können uns jetzt erleichtert den Angstschweiß von der Stirn wischen. In Dover, wo die Zollabfertigungsanlagen entfernt an das alte Herleshausen erinnerten, waren wir, ehe wir auch nur registrieren konnten, daß es für EU-Bürger keine Zoll- und Gesichtskontrolle mehr gibt, auf einer vierspurigen Schnellstraße gelandet, wo es von Geisterfahrern nur so wimmelte... Durch die gepflegten kleinen Badeorte entlang der alten Küstenstraße, auf die wir abgebogen waren, fuhr R. jetzt schon souverän auf der falschen Seite, was niemand außer mir bemerkte. Irgendwann hatten wir das Auto an der Strandpromenade geparkt, die Nasen in den grauen, sonnigen Kanalwind gehalten und waren glücklich wie die Kinder gewesen.

Eine Heiratsurkunde müssen wir der freundlichen Farmerin in Kittelschürze nicht vorlegen und dürfen zwischen sanften grünen Hügeln, auf denen Schafe weiden, am Rande eines eher stehenden als fließenden Bächleins, das verdammt nach Mückenbrutanstalt aussieht, unser Iglu aufschlagen. Wir zählen 3 weitere Zelte und 7 Caravans, die über die weite Hügellandschaft ver¬streut sind. Der Abstand zum nächsten Nachbarn beträgt gut 100 Meter.

Nachdem wir etwas gegessen haben, fahren wir nach Rye, einem Kleinst¬städtchen mit schönen alten Fachwerkhäusern und viel Kopfsteinpflaster. Am Hafen kreischen Möven. In den Antiquitätenläden klingeln die Kassen. Mittendrin eine normannische Kathedrale, die leider geschlossen ist. In der Nähe des Autos ein etwas abgekämpfter, aber fröhlicher Radtourist, immer noch, trotz der kalten Brise, in kurzen Hosen und Unterhemd. Er erkundigt sich nach einem Campingplatz in der Nähe. Wir versuchen, ihm Carter's Farm zu beschreiben. Der junge Mann sagt grinsend, wir könnten auch deutsch reden - er sei Holländer. Als er hört, daß auf dem Campingplatz nur Familien und keine Leute unter dreißig erwünscht sind, grinst er und klärt uns auf, daß man sich damit nur lärmende Jugendgruppen vom Hals halten wolle, ihn allein würde man immer aufnehmen.

Wieder zurück auf Carters Farm machen wir, ehe es zu dämmern beginnt, noch einen Spaziergang in Richtung Meer. Ein Pfad aus kurzem Grün am Rande eines Laubwalds, der linkerhand in steiles Hügelland übergeht, führt in eine gewellte Marschlandschaft. Gleichsam in die Erinnerung an einen vergangenen Aggregatzustand der Schöpfung. Ein Wassergraben mit zwei Schwänen und dem Kupfergrau des Abendhimmels darin zeichnet eine Diagonale auf den Horizont zu, aus dem rechterhand eine wie mit Riesenbrokkoli be¬wachsene Düne aufsteigt. Schafe knabbern am Grasteppich um silbrige Disteln herum. Die Ursehnsucht nach bukolischer Landschaft: hier wird sie gestillt. Henry James, der viele Jahre in Rye gewohnt hatte, beschreibt im Jahre 1877 eine ähnliche Landschaft einige Meilen weiter nördlich von hier: Unmittelbar auf der anderen Seite des Flusses befand sich eine ebene Wiese, die dem Rasen, auf dem ich stand, den Rang streitig machte, und diese Wiese schien vermöge der dickleibigen Schafe, die darauf grasten, nur um so wesentlicher zur Szene zu gehören. Diese Schafe waren keineswegs nur eßbare Hammel; es waren poetische, historische, romantische Schafe; sie waren nicht wegen ihres Gewichts oder ihrer Wolle hier, sie waren hier wegen ihrer Präsenz und ihres kompositorischen Wertes, und sie wußten es sichtlich...

Wir begegnen einem einsamen Jogger, der uns natürlich auf der falschen Seite des Wiesenpfads entgegenkeucht. Als wir im letzten Moment ausweichen, werden wir mit einem freundlichen Thank you bedacht. Auf dem Rückweg beginnt es zu regnen, und wir beschließen, nie wieder ohne unsere reichlich vorhandene Regenkleidung auszugehen.

Zurück auf dem Platz, können wir zuschauen, wie der Farmer mittels Landrover und zwei emsigen Hunden die Schafherde von den Hügeln pflückt und zwischen den Zelten und Caravans hindurch zum Stall treibt. Morgen früh werden sie wieder auf die Hügel verteilt werden, um ihrer verantwortlichen Tätigkeit des Einfach-Vorhandenseins nachzugehen. Unser holländischer Radtourist hat den Weg nach Carter's Farm nicht gefunden und sich wahrscheinlich irgendwo ein Zimmer genommen. Wir verbringen die Zeit bis zum Schlafengehen im Auto und hören dem Regen zu, der dezent aufs Dach trommelt...

Von Pferden, Kühen und einem potenziellen weißen Einhorn.

Ein Campingplatz im NEW FOREST im bukolischen Süden der britischen Insel
Nachdem uns die junge Frau an der Rezeption, als sie meinen fremdländi¬schen Akzent bemerkt und einen Blick aufs Autokennzeichen geworfen hat, in sehr prononciertem Oxford-English, oder was ich dafür halte, einen Platz in der no-dog-area zugewiesen hat, bittet sie uns freundlich, mindestens sechs Meter Abstand zum nächsten Nachbarn zu halten und auf keinen Fall Lebensmittel im Zelt aufzube¬wahren...

Vormittags waren wir auf den Klippen oberhalb des Leuchtturms von Beachy Head gewesen, der rotweiß geringelt in der heute nicht sehr starken Brandung stand. Inmitten von Schafen und einer deutschen Schulklasse nebst anglophilem Lehr¬personal waren wir ein bisschen in den zarten Grün- und Ockertönen der South-Downs-Ausläufer herumgestiegen, hatten uns vom Westwind zausen lassen und einen langen Blick auf die sich grau-weiß bis zum Horizont erstreckende Steilküsten¬linie der Seven Sisters geworfen. Einen großen Bogen um Brighton machend, waren wir dann auf der M 27 um Southhampton herum weiter bis zum New Forest gefahren.

Wir hatten einige Zeit gebraucht, bis wir in diesem über 300 km² großen ehemaligen Jagdrevier der englischen Könige und heutigen Naturschutzgebiet einen Camping-Site ent¬deckten. Nicht, weil es so wenige gäbe, sondern weil sie so gut getarnt sind. Als wir schließlich aufatmend zur Rezeption des "Hollands Wood" rollen, wird uns klar, dass wir an mindestens 5 Plätzen ähnlicher Art, ohne sie bemerkt zu haben, vorbeigefahren sein müssen, was uns im Nachhinein für die Platzbetreiber, eine englandweit arbeitende Campingplatzkette mit Sitz in Edinburgh, einnimmt.

Auf der Suche nach der no-dog-area stellen wir einigermaßen verwundert fest, dass man auf diesen Platz offensichtlich nicht nur seine Hunde und Kinder, sondern auch seine Pferde mitnehmen kann und sind geneigt, es als eine Schrulle englischer Camping-Urlauber hinzunehmen. Pferde bellen ja nicht... Wir schaffen es gerade, unser Iglu notdürftig zu installieren, als erst ein Pferd, dann ein zweites auf uns zugeschaukelt kommt. Schließlich sind es fünf ausgewach¬sene Ponies, die um unser Auto her¬umstehen und mit offenen Augen, ein Bein leicht angezogen, in tiefen Schlaf versinken. Mit sehr gemischten Gefühlen zwänge ich mich durch die Masse schlafen¬den Pferdefleischs bis zur Heckklappe des Autos, um einen Aperitif herauszuangeln. Wir wissen, dass man die Viecher in diesem Zu¬stand nicht zu sehr erschrecken darf, deshalb knalle ich die Autotür nur sehr behutsam zu. Wir nippen am Aperitif und genießen das Unvermeidliche. Nach einer knappen halben Stunde wachen sie, eines nach dem anderen, auf und trotten friedlich, ohne uns eines Blicks zu würdigen, von dannen.

Den Anstoß, das Rätsel der Pferde zu lösen, gibt kurz darauf das Auftauchen einer - Kuh, die ein paar Meter von uns entfernt ihr schwarz-weiß geflecktes Fell an einem Baum schuppert und mit sanften Augen zu uns herüberglotzt. Da wir davon ausgehen, dass auch der spleenigste Engländer etwas so Sperriges wie eine Kuh nicht auf den Zeltplatz mitnehmen würde, beschließen wir, unsere Umgebung etwas näher zu untersuchen: Der Platz, an dessen Rand wir uns befinden, geht unmittelbar in eine große Lichtung über, auf der Pferde und Kühe in pastoraler Eintracht das Gras in Rasen verwandeln. Für die Pferde und Kühe bildet der flache Graben zwischen Zeltplatz und Lichtung kein Hindernis, zumal er an mehreren Stel¬len von kuhbreiten massiven Holzstegen überbrückt wird, über die sie mit herein¬brechender Dämmerung in ihre Welt zurückkehren und die auch von den Bewohnern des Platzes benutzt werden, um sich auf der Lichtung inmitten der kaum Scheu zeigenden Tiere zu ergehen. Man kennt sich ja von der anderen Seite. Später am Abend, als im Zwielicht und den aufsteigenden Nebeln die Tierkörper nur noch als Schemen zu erkennen sind, wären wir nicht verwundert gewesen, hätten wir am gegenüber¬liegenden Waldrand ein weißes Einhorn aus dem Unterholz treten sehen...

Die scheinbare bukolische Einheit von Mensch, Natur und Tier hat einen durchaus materiellen Hintergrund, wie wir bei einem Spaziergang zum nächsten Ort feststellen. Der Weg führt größtenteils direkt am Rand der vielbefahrenen Landstraße entlang, wo die von der Arbeit in Southhampton in ihre My-home-is-my-castle-Idylle zurückkehrenden Pendler nicht weniger gestresst in ihren im Schritt-Tempo rollenden, stinkenden Blechkisten hocken wie ihre Artgenossen im übrigen Europa. Überall beiderseits der Straße, selbst in den Wohngebieten am Ortsrand sehen wir freilau¬fende Schafe, Pferde und Kühe als lebende Rasenmäher. Um zu verhindern, dass die Viecher den Verkehr auf der Hauptstraße blockieren, hat man da, wo eine Seiten¬straße abbiegt und damit den parallel zur Straße laufenden Graben über¬queren muss, ca. 3 m breite Eisenroste (cattle grids) verlegt, die von Autos bequem befahren aber von Huftieren nicht betreten werden können. Für Fußgänger gibt es eine kleine Pforte, die man sorgfältig hinter sich schließt. Auf Zäune und Tempo 30 Schilder kann man verzich¬ten. Genial! Das unaufdringlich selbstverständliche Vorhandensein nicht kasernierter Tiere ist eine ganz neue Erfahrung für uns. Obwohl ganz real, sind es Bilder, die einem Traum, der mit verschütteten Erinnerungen spielt, entstammen könnten.

Um nicht völlig von euphorischen Gefühlen überwältigt zu werden, betreten wir in Brockenhurst einen kleinen Supermarkt, wo eine Flasche argentinischer Tafelwein ("vine of the week") umgerechnet ca. 15 Mark kostet... Ein kleines Päckchen deutsches Vollkornbrot kostet 4,25 DM. Wir erstehen ein "Whole Meal tin can" Brot, dessen wunderbare Konsistenz beim Kauen uns fast an der Unglaubwürdigkeit der Geschichte von der Speisung der Zehntausend zweifeln lässt... Nach einigem Suchen im Langenscheidt und einiger sprachlicher Kombinationsarbeit tippen wir auf Brotkonserve, die aber frisch aussieht und sich auch so anfühlt. Trotz allem: es schmeckt wunderbar, ist bezahlbar und scheint im Mund nie weniger zu werden...

Vor dem Laden sehen wir elegante Ladies und Gentlemen im blank polierten Jaguar vorfahren, Hausfrauen in geblümten 50er-Jahre-Kleidern tragen schwere Einkaufskörbe, ein hoch gewachsener, dürrer Mann in schäbigster Hose und löcherigem Pullover, mit verfilzten grauen Haaren, die bis zu den Schulterblättern reichen, schreitet mit der 'Times' unterm Arm erhobenen Hauptes an uns vorbei. Er erinnert uns sehr an die Anekdote von dem Earl, der auf die Frage, warum er, egal ob auf seinem Landsitz oder in London weilend, immer im gleichen Landstreicher-Outfit herumläuft, lapidar antwortet: hier kennt mich jeder und in London kennt mich keiner...

Als wir endlich wieder vor unserem Iglu sitzen, sind Pferde und Kühe im Nebel, der über der Lichtung liegt, verschwunden, und der Platz gehört ganz den grauen (!) Eichhörnchen, die possierlich in den uns umgebenden Bäumen herum¬kobolzen. Ca. 20 Meter von uns entfernt stehen zwei Caravans, der eine mit engli¬schem, der andere mit holländischem Kennzeichen. Bei unserer Ankunft waren die Bewohner unterwegs gewesen. Als sie jetzt zurückkommen, besteht ihr erstes hektisches Tun darin, Bettücher und Decken auf bereits gespannte Wäsche¬leinen zu hängen, damit niemand sehen kann, wie sie vor ihrer Hütte sitzen und Dosenbier trinken.

Bei unserem abendlichen Rundgang über den Platz, der trotz seiner Größe völlig in die Landschaft integriert ist, entdecken wir am Eingang zu den blitzsauberen, komfortablen Sanitäranlagen Hinweis¬schilder, die daran erinnern, dass die Betreiber keine Verantwortung übernehmen, sollte ein Pony das Zelt ramponieren, weil man dort Lebensmittel deponiert hat...
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© Klaus Bölling, Frankfurt 2001
 
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