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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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Cornwall und Südengland, September 2000

ein Reisebericht

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Land's End

Von Menhiren und Fröhlichen Jungfrauen

Ein Spätsommertag auf der Penwith Halbinsel im Süden Cornwalls
Land's End... dieser, ozeanische Weite und terrestrische Einsamkeit versprechende Name, hatte schon vor Monaten, bei einem ersten Blick auf die Karte Cornwalls, unsere Phantasie erregt. Da mußten wir hin - zum westlichsten Punkt der Britischen Inseln.

Die Straße ist wie üblich nur ein Sträßchen. Dafür sind die Hecken um so höher. Kurz hinter Penzance, nahe dem kleinen Ort Boleigh, sehen wir - im Rückspiegel(!) - zwei Menhire auf einer Wiese stehen. Wegen der Hecken und hohen Viehgatter können wir sie, an denen die Kühe sich schuppern und die der Volksmund The Pipers nennt, nur aus der Ferne betrachten. Ein paar Hundert Meter weiter auf einer Viehweide auf der anderen Straßenseite ein Steinkreis, The Merry Maidens, von der Wissenschaft auf die Zeit um 2400 v. Chr. datiert. Neunzehn, ca. ein Meter hohe, unregelmäßig behauene Steine bilden einen perfekten, wie mit dem Zirkel gezogenen Kreis von über 20 Metern Durchmesser. Man erzählt sich die Geschichte von den 19 kecken Jungfrauen aus Boleigh, die in einer Vollmondnacht im Frühling den Pipers, die in solchen Nächten manchmal erwachten und auf ihren Pfeifen zum Tanz aufspielten, zu nahe gekommen waren und daraufhin in Steine verwandelt wurden. Eine Weile stehen wir noch ganz allein auf der Wiese unter dem großen grauen Himmel und überlassen uns der Magie des Ortes, die mit ein bißchen Fantasie auch heute noch zu spüren ist. Zweihundert Meter weiter, direkt am Straßenrand, eine Grabkammer aus der Broncezeit, in der zwei Lehrerinnen aus Darmstadt probeliegen.

Kurz vor Land's End machen wir noch einen Abstecher nach Porthcurno, wo 1870 das erste britische Überseekabel über Suez bis nach Bombay abging, da Aufstände in der Kolonie Indien eine schnellere Kommunikation notwendig machten. Heute ist der Ort noch bekannt wegen des Minack-Theatre, das von Rowena Cade, einer wohlhabenden Engländerin, in die Felsen gebaut wurde, mit dem Ozean als Bühnenhintergrund. Abgeschreckt von der Architekturmischung aus Vorstadt¬bungalow und Parkhaus sowie einer horrenden Eintrittsgebühr, genießen wir ein paar Meter abseits den gleichen, nicht umbauten und daher kostenlosen Blick aufs Meer.

Bei Land's End ist dieser mit einer burgartigen Betonkonstruktion zugebaut, hinter deren Mauern wir alle Scheußlichkeiten Disneylands vermuten. Da gibt es, wie wir aus einem Prospekt erfahren, Attraktionen wie: Besucherzentrum, See-Luft-Rettungs Show, Letzte Labyrinth Show, Abenteuer-Spielplatz, Kegelbahn, Land's End Post Room, Land's End Main Street, The Land's End Hotel, Longships Family Restaurant and Bar, Cornish Pantry, Smugglers Burger Bar, The Pasty Shop, Tea Shop, The Land's End Sweet Co., The Land's End Trading Co., Land's End Souvenirs, Photo Development... Das ganze Gelände befindet sich in den Händen einer privaten Betreibergesellschaft, die mit dem scheinheiligen Argument, die Natur hier für spätere Generationen bewahren zu wollen, die heutige Generation mit Pseudo-Attraktionen zumüllt und dabei gnadenlos abzockt. Da wir nicht vorhaben, hier länger als nötig zu bleiben, aber schon in der Einfahrt zum Parkplatz gelandet sind, steige ich aus und frage den Typen im Kassenhäuschen, wo man hier wenden könne. Mit breitem, verständnisvollen Grinsen weist er mit dem Daumen über die Schulter und öffnet den Schlagbaum. Da führt eine Straße zurück in die Freiheit. Ozeanische Weite, terrestrische Einsamkeit... ade...

Rechts und links der Straße können wir die teilweise noch gut erhaltenen Ruinen alter Maschinenhäuser sehen. Obwohl fast alle Minen stillgelegt sind, dünstet die Landschaft immer noch den Schweiß der Bergleute aus, die hier nach Zinn oder Kupfer gruben. Der Förderturm der Geevor Mine, wo auch heute noch Zinn aufbe¬reitet wird, steht vor der erhabenen Weite des Ozeans, ohne dadurch an Schönheit zu gewinnen.

Bei Morvah biegen wir rechts ab in Richtung Madron, Penzance. Das sind sechseinhalb Meilen Fahrt durch eine Landschaft, die, aufgrund der archäologischen Funde, die man dort gemacht hat, in prähistorischer Zeit dicht besiedelt gewesen sein muß - die Griechen hatten sogar einen Namen für diesen Teil des Hochlands der Penwith-Halbinsel: Bolerion. Heute macht sie einen unbewohnten Eindruck. Rechts ein Hügel, links ein Hügel, dann ein kleines, von grünen Hecken umwucher¬tes, dem Straßenrand abgerungenes Plätzchen zum Parken, und wenn ein Auto drauf steht, sind wir glücklich, weil nicht mehr ganz allein unter dem großen grauen Himmel.

Nach kurzer Fahrt zeigt uns ein nicht mehr ganz neuer Wegweiser die Richtung zum Chun-Castle. Über ein kurvenreiches Sträßchen, dessen Steinmauern rechts und links sich noch nicht einmal als Hecken verkleidet haben und wo man einem entgegenkommenden Auto auch bei bestem Willen nicht hätte ausweichen können, erreichen wir nach knapp zwei Kilometern einen einsamen Bauernhof, wo die Straße endet.

Eine noch nicht gänzlich verwitterte Informationstafel am Rande der schlammi¬gen Wiese, auf der maximal 5 Autos parken können, weist auf einen weiß leuchten¬den Felsbrocken hin, der ca. 50 Meter entfernt am Fuße eines Hügels den Aufstieg zum Chun-Castle markiert. Dort beginnt indeed ein handbreiter Trampelpfad, der uns durch erst hüft- dann schulterhohen Stechginster die 800 Meter, die kein Ende nehmen wollen, bis zum Castle hochführt. Gerade wollen wir beginnen uns verarscht zu fühlen, als wir die Kuppe des Hügels erreicht haben. Dort können wir dann die Überreste einer eisenzeitlichen Hügelfestung bewundern, die aus einem kreisförmig angelegten Haufen alter Steine und einem weit weniger alten englischen Ehepaar besteht, das, auf dem Steinhaufen hockend, uns, als wir unvermittelt aus dem Ginsterdschungel vor ihm auftauchen, ein fröhliches Hello entgegenruft, ohne sich beim Betrachten der ringsum ausgebreiteten kargen Hügellandschaft stören zu lassen. Ähnliche Situationen muß Henry James im Sinn gehabt haben, als er vor über hundert Jahren bemerkte, daß die englische Landschaft immer "eine Landschaft mit Figuren" ist.

Und der Figuren werden noch mehr. Eigentlich sind es Figürchen, die sich bunt und in ungeordneten Haufen zielstrebig Chun-Castle nähern. Während R. mit flinken Fingern dabei ist, einen neuen Film einzulegen, damit wir den Steinhaufen noch in seiner erhabenen Einsamkeit fotografieren können, nimmt eine englische Schulklasse die Burg im Handstreich. Wir machen trotzdem ein Foto. Auf die mit¬leidig gegrinste Bemerkung des Lehrers, daß wir das Foto wohl lieber ohne Figuren gehabt hätten, grummeln wir tapfer zurück, daß das völlig o.k. sei. So englisch sind wir schon. Zu Hause stellt sich heraus, daß das Foto sehr hübsch und bunt ge¬worden ist. Nachdem wir uns durch den Stechginster, teilweise mit erhobenen Armen, zum Auto runtergearbeitet haben, kurven wir zurück zur Hauptstraße, wo wir nach ca. 200 Metern auf einem angedeuteten Parkplatz halten. Ein kleines Schild weist den Weg zum Men-an-Tol, was auf Cornisch "Stein mit einem Loch darin" bedeutet. Das Paar von Chun-Castle ist schon vor uns da und begrüßt uns mit einem freund¬lichen, wiedererkennenden Lächeln. Wir ziehen ein Paar festere Schuhe an und folgen ihm, da wir ahnen, daß es das gleiche Ziel hat wie wir. Es geht über einen holprigen Feldweg. Links erstrecken sich Wiesen, eingegrenzt durch schnurgerade Steinmäuerchen, in der Ferne eine unbewohnt aussehende Farm. Ein kleiner Holz¬wegweiser führt uns nach rechts. Wir klettern über Weidenzäune und dann sehen wir den Stein mit dem Loch. Er wird von zwei aufrechten Steinsäulen flankiert, und war ursprünglich wohl der Eingang zu einem Megalithgrab.

Die Engländerin sitzt etwas abseits auf einem Felsbrocken, er steckt seinen Kopf durch das Loch und lacht. Sie erzählt uns, in ihrem Reiseführer stehe, wenn man elfmal hindurchkrieche, würden Krankheiten wie Rheuma, Skrofulose und Rachitis geheilt. Ich grinse und erkläre, daß laut unserem Reiseführer schon ein neunmaliges Hindurchkriechen reiche. In jedem Fall sei es ratsam, wie bei allen alten Steinen, die Hand draufzulegen und auszuspucken... Wir beschließen, wenigstens einmal durch das Loch zu kriechen, das soll vor Alpträumen schützen. Der Gentlemen ist nun nicht mehr zu halten und zwängt sich, von allen angefeuert, ebenfalls hindurch.

Da es inzwischen heftig zu drizzeln begonnen hat, verabschieden wir uns mit einem freundlichen Good bye, das mit einem ebenso freundlich-ironischen So long beantwortet wird und machen uns auf den Rückweg zum Parkplatz. Im immer dichter werdenden Nieselregen halten wir noch einmal kurz an. Wir klettern eine glitschige Böschung hinauf, turnen auf einem kunstvoll mit Stacheldraht verzierten Zauntritt herum und fragen uns, ob diese Konstruktion das Übersteigen der Mauer erleichtern oder erschweren soll. Trotz allem können wir einen melancholischen Blick auf den in einhundert Metern Entfernung auf einer Viehkoppel stehenden Lanyon Quoit werfen, einen der - laut Expertenmeinung - schönsten Dolmen Westeuropas. Und er ist schön in seiner aller Zeit entrückten Einsamkeit.

Weißt Du eigentlich, was ein Dolmen ist?!

Äh, ein Dolmen ist...

Genau...

...ein Tisch in der Landschaft, an dem vor zehntausend Jahren Riesen getafelt haben. In Frankfurter Designerläden wäre man entzückt, ihn zum Verkauf anbieten zu können. Wenn man entsprechend dimensionierte Ausstellungsflächen hätte.

Dieser Dolmen ist 4 m hoch, Mann, der paßt in keinen Laden.

Sag ich doch...

Wir haben die Vorstellung, daß es Gräber waren. Wenn das stimmt, dann ist es so wie heute: man buddelt eine Leiche ein und legt ne schwere Steinplatte drauf. Warum eigentlich? Daß nichts entweichen kann? Warum dann die Steine mit Loch? Damit die Seele oder was immer raus kann?

Vielleicht um die nächste Leiche bequemer nachschieben zu können...?!

Die Dinger waren mit Erde bedeckt. Nur: wieso sind sie immer noch nicht umge¬fallen, obwohl die Erde um sie rum weg ist? Die Steine sind mehrere Tonnen schwer. Wie können sie Tausende von Jahren auf einer 10-cm-Auflagefläche liegen und nicht runterrutschen? Wer hat das berechnet? Und wer hat das gebaut?.Vielleicht solltens auch mal Pyramiden werden, oder waren es, und der Rest ist umgefallen... Egal! Ein paar Leute werden Befehle gegeben, der Rest wird die Fresse gehalten und geschuf¬tet haben...

Genau: die Leute, die die Dolmen errichtet haben, wurden bestimmt nicht darin bestattet. Die wurden in die Ginsterbüsche geschmissen...

Tatsache ist: etwas ist geblieben, das wir als schön empfinden - mit oder ohne Nieselregen...

Wir machen ein Foto und mehr oder weniger auf dem Hintern die schlammige Böschung runterrutschend, haben wir für heute mit Prähistorischem nichts mehr am Hut. Wir schleichen zum Auto zurück und es müßten schon mindestens sieben Druiden auftauchen, um uns noch einmal vom Sitz zu reißen.
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© Klaus Bölling, Frankfurt 2001
 
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