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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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Relzow, Rügen, September 2003

ein Reisebericht

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MO 1.9.03.
Auf der Autobahn Prenzlau/Stettin gibt es immer noch viele Baustellen, doch im Vergleich zu vor ein paar Jahren kann man einigermaßen bequem fahren, ohne befürchten zu müssen, dass die Radkappen abfallen. Die A 20 ist inzwischen über Prenzlau und Pasewalk hinaus bis Neubrandenburg fertig gebaut. Bei strömendem Regen und hereinbrechender Dunkelheit sind wir endlich auf der neuen Umgehungsstraße von Anklam angelangt, was keinen nennenswerten Vorteil für uns hat, denn anstatt wie früher von Süden her, an der Zuckerfabrik vorbei, muss man sich jetzt von Norden durch die Stadt quälen, wenn man in Richtung Usedom über die Peenebrücke will bzw. muß. Und das wollen bzw. müssen in der Urlaubssaison eine ganze Menge Leute. Hinter der Brücke sind dann zu allem Überfluß auf der engen Landstraße auch noch vier Autos aufeinander gefahren, und wir stehen ein bißchen im Stau und haben Zeit uns zu fragen, ob die Leute, die für diese Art Verkehrsplanung verantwortlich sind, sich wohl nur mit dem Hubschrauber oder in einer Eskorte mit Blaulicht bewegen. Doch es dauert dann zum Glück nicht mehr allzu lange bis wir endlich in Zow sind und auf die Schulwiese rollen.

KB: Den Abend verbringen wir bei einem guten Essen und viel Rotwein unter der gewaltigen Holzkonstruktion des ersten bewohnbaren Bereichs des neuen Hauses, dessen Dimensionen, was Höhe, Breite und Länge betrifft, mit dem Saal, in dem die Ritter der Tafelrunde feierten, konkurrieren könnten. Während auf das noch nicht begrünte Dach die ganze Nacht der Regen trommelt, sind wir intensiv bemüht, uns gegenseitig die Welt zu erklären, was am nächsten Morgen leichte Kopfschmerzen zur Folge hat.

DI 2.9.03.
KB: Über Lassan und Wolgast fahren wir in Richtung Peenemünde. Hinter Karlshagen stellen wir das Auto auf den Parkplatz an der Straße. Hier hat sich nichts verändert, nur dass auf jedem Hundeklo, wo man ein Auto abstellen kann, jetzt ein Parkscheinautomat steht. Eine Stunde einen Euro. Tageskarte drei Euro. Durch das Kiefernwäldchen gehen wir zum Strand. Hier oben muss man noch keine Kurtaxe bezahlen. Eine gute Stunde lang lassen wir uns von einem Stürmchen durchlüften. Auf dem Rückweg parken wir in Wolgast das Auto auf dem Fischmarkt am Hafen, gebührenfrei. Eine Tüte Pommes am Imbißwagen kostet einen Euro. Toilettenbenutzung 30 Cents. Es gibt jetzt in der winzigen Altstadt eine Fußgängerzone, und der Platz vorm Rathaus ist auch ganz hübsch. Zum Glück deutet nichts darauf hin, dass wir uns in einer „national befreiten Zone“ befinden, wozu, wie wir später zufällig aus der Presse erfahren, inzwischen die ganze Insel Usedom zählen soll. Die gerade in Peenemünde stattfindende Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht hat mit entsprechenden Schwierigkeiten von Seiten der Glatzen zu kämpfen. In der Information unten im Rathaus fragen wir nach PPs Skulptur. Nach einigem Überlegen, was wir meinen könnten, blättert die Dame in einem Hochglanzprospekt, wo die Skulptur sogar abgebildet ist und beschreibt uns den Weg zum EGZ (Existenzgründerzentrum). Das befindet sich etwas außerhalb des Ortes im Gewerbegebiet inmitten riesiger Supermärkte und anderer rechtwinkliger Betonarchitektur. Wir beginnen, den großen Findling, in dem noch ein Teil des wie ein überdimensionierter Mülleimer aussehenden Riesenbohrers steckt, mit dessen Hilfe der Stein bei Bohrarbeiten auf dem Grund des Wolgaster Hafens zufällig entdeckt wurde, von allen Seiten zu fotografieren, was von den Fenstern des Amtsgebäudes aus verstohlen mißtrauisch beobachtet wird.

MI 3.9.03.
KB: Die Partnergemeinde von Ivenak liegt in Frankreich und heißt Ivinaqc. Die Endung aqc deutet auf ein Dorf in den Landes in Aquitanien. Die Dorfstraße ist befahrbar, und die Häuschen zu beiden Seiten sind immer noch von verschlafener, teilweise frisch renovierter Freundlichkeit. Zum Glück besteht die einzige Attraktion des Ortes immer noch ‚nur’ aus den tausendjährigen Eichen im nahen Wald. Am Dorfausgang hat man einen veritablen Parkplatz (ohne Parkscheinautomat!) angelegt, von wo man in zehn Minuten zu den Eichen gelangt. Am baufälligen Schlößchen wird herumgewerkelt, doch fehlts wohl auch hier an Geld. Zu einer Touristenattraktion ist es auf jeden Fall seit unserem letzten Besuch im Jahre 1993 noch nicht geworden. Es stehen einige Autos mit süddeutschen Kennzeichen auf dem Parkplatz. Das mit den Eichen hat sich wohl inzwischen rumgesprochen. Hinter dem soliden hölzernen Drehkreuz, das man immer noch, ohne Eintritt zahlen zu müssen, passieren darf, steht eine etwas verfroren aussehende jüngere Dame mit einem selbstgebastelten Bauchladen um den Hals und versucht Postkarten und ähnliches zu verkaufen. Wir tippen auf ICH-AG. Die alten Eichen stehen immer noch in edler Gebrechlichkeit in der Gegend herum und wundern sich über nichts mehr. Von Infotafeln erfahren wir, dass dieses Gebiet seit dem frühen Mittelalter ein Hudewald (=Hütewald) ist. Schweine, Schafe, Ziegen, Rinder etc. wurden hierher getrieben und, indem sie das Unterholz niedrig hielten, konnten sich die Eichen, die viel Platz und Licht brauchen, zu solch mächtigen Bäumen entwickeln. Später suchen wir einen Weg, der laut Plan um den Ivenaker See herum zurück zum Parkplatz führen soll. Doch als uns ein paar Leute entgegen kommen, die diesen Weg auch nicht gefunden haben, lassen wir’s.

RR: Im neuen Café auf dem Gelände sitzen drei Personen und vor dem neu eingerichteten und in hellen Tönen restaurierten kleinen Museum vertritt sich ein Museumswärter die Füße. Immer wieder setzt ein leichter Regen ein, gemächlich machen wir uns auf den Rückweg nach Anklam, schauen noch kurz bei Do im Laden vorbei und entspannen uns schließlich auf der Schulwiese bei Hundekraulen und Katerstreicheln.

DO 4.9.63.
KB: Durch Alleen, in deren Laub die Sonne funkelt, fahren wir nach Lassan. Endlich ist auch das letzte Stück Huppelpiste zwischen Murchin und Lentschow verschwunden. Ein bißchen Trabbi-Gedächtnis-Strecke hätte man ruhig lassen können, damit wir nicht zu übermütig werden. Um die Alleen nicht plattmachen zu müssen, hat man sie mit Leitplanken versehen. Besonderes Augenmerk hat man darauf gelegt, einzeln stehende Bäume, an denen die Ossis gern ihr Gehirn abliefern, mit einer etxra Leitplanke zu schützen. Lassan, das einstige Fischerdorf am Peenestrom, vor zehn Jahren lag die Arbeitslosigkeit hier bei siebzig Prozent, macht heute immer noch einen sehr ruhigen Eindruck. Die einstöckigen Häuschen sind größtenteils renoviert. An manchen wird noch gewerkelt. Am Hafen hat man eine neue Marina gebaut. Hier können jetzt kleine Segelboote festmachen. Auch ein paar Fischerboote sind noch vertäut. Wovon man sonst hier lebt, wir wissen es nicht. Unsere damalige Informantin, die Dame, die das kleine Museum in der großen alten Backsteinkirche betreute, während diese renoviert wurde, ruft uns heute, während sie hinter zwei Radwanderern die Tür verschließt, etwas ungehalten zu, Ich muss jetzt kochen und dann auch noch was essen, um eins ist wieder auf. Wie immer ist es gerade zehn nach zwölf. Das merken wir auch beim Bäcker, der eben zugemacht hat und dessen Eierschecke wir nicht kaufen können, dabei hätten wir zu gern gewußt, was das ist. Um 14 Uhr fahren wir noch mal hin und erfahren, dass es Quarkkuchen mit Kirschen ist, den man hier für die Hälfte dessen (0,72 € !), was man in Frankfurt dafür zahlen müßte, bekommt.

FR 5.9.03.
Der Lieper Winkel auf Usedom, am Achterwasser gelegen, ist eine Gegend, wo wir noch nie waren. Am Rande des Dörfchens Warthe, dem nördlichsten auf der schmalen Halbinsel zwischen Peenestrom und Achterwasser und fast nur aus Ferienwohnungen bestehend, parken wir das Auto und hoffen, dass uns der Wiesenpfad dorthin führen wird, wo wir hinwollen. Nach ein paar hundert Metern endet er vor dem Elektrozaun einer Kuhweide. Das ist offensichtlich nicht, wo wir hinwollen. Wir gehen also zurück und versuchen es in die andere Richtung, immer am Rande des Ortes entlang. Auf halbem Wege steht ein Auto mit Zwickauer Kennzeichnen. Ein Mann, der offenbar gehbehindert ist, stützt sich, daneben stehend, auf einen Stock. Wir fragen ihn, ob er weiß, wo und wie man hier irgendwo hinkommt. Seinem schnell gesungenen Sächsisch entnehmen wir zumindest, dass er das auch nicht so genau weiß. Wir gehen trotzdem weiter. Bei den letzten Häusern kommt uns eine Frau entgegen. Sie hat eine Kamera umhängen und scheint von da zu kommen, wo wir hinwollen. Wir fragen sie, ob der Weg da irgendwo aufhört oder ob man weitergehen kann. Sie meint, man könne ziemlich weit gehen. Gut, weiter als ziemlich weit wollen wir sowieso nicht. Der Weg ist sandig, ein bißchen mit Gras bewachsen, links das schilfbewachsene Ufer des an den Rändern ziemlich schaumigen Achterwassers, niedriges Buschwerk wechselt sich ab mit Birken und Eschen, in deren Laub der Sommerwind funkelt. Rechts sind Wiesen, auf denen Kühe weiden. Darüber leuchtet ein blaßblauer, wenn auch von den Strapazen des heißen Sommers schon sichtlich ermatteter Himmel, von dem eine milde Sonne scheint. Es riecht nach der fünften Jahreszeit, wo es nicht mehr Sommer und noch nicht Herbst ist, wo die Natur für ein paar Tage den Atem anhält und das Leben im Gleichgewicht ist. Bienen summen, Schmetterlinge schmettern, kurz, es ist wie die vergilbte Erinnerung an Sommerfrische, die aus Fotos, auf denen Opa unter dem Kaiser-Wilhelm-Bart einen geringelten Badeabzug mit langen Beinen trägt, aufsteigt. Auf halbem Wege nach Irgendwo überholt uns das Auto mit der Zwickauer Nummer. Auf dem Beifahrersitz neben dem Gehbehinderten erkennen wir die Frau mit der Kamera. Zweihundert Meter vor uns halten sie an und gehen zum Ufer. Als wir näherkommen, sehen wir dort einen kleinen Sandstrand, an dessen Rand ein quadratisches Betonfundament von etwa fünf Metern Seitenlänge herumsteht. Die Frau erzählt uns, dass darauf vor dreißig Jahren ein Haus stand, in dem sie als Kind mit ihren Eltern gewohnt hat. Ihr Vater war Fischer. Das Haus hatte damals weder Strom noch fließendes Wasser, dafür konnten sie vom Küchenfenster aus ins Achterwasser hüpfen. Seit dreißig Jahren ist sie jetzt zum ersten mal wieder hier, um zu sehen, was übriggeblieben ist. Sie wohnen im Moment in Zinnowitz im Hotel, machen dort Urlaub und wissen nicht so genau, ob früher vielleicht doch alles besser war…

RR: Auf der Schulwiese gibt es inzwischen insgesamt 13 Ponys, die Hengste haben eine Wiese für sich. An diesem Tag stellt Do bei Patty eine Augenverletzung fest. Da ihre Tierärztin im Urlaub ist, kommt eine Vertretung. Wir beobachten, vor dem ‚Häuschen’ sitzend, die Ankunft: ein junger, dynamisch wirkender Typ Anfang 30, auf seine Profession weisen die Gummistiefel und der mit allerlei geheimnisvoll blitzenden Geräten voll bepackte Kombi hin. Ein feiner Designer-Ledergürtel fällt aus dem Rahmen. Immerhin besitzt er wohl fachliche Kompetenz und ist derzeit in Ostvorpommern bei Tierhaltern „in“. Trotzdem beschließt Do, zusätzlich homöopathische Mittel anzuwenden und zwei Tage später, mit Hilfe der vertrauten Tierärztin, geht es Patty schon wieder besser.

Der Rittersaal wird am Abend auf Anregung von KB von Maria Callas ein“geweiht“, anschließend darf Joseph Schmidt singen.

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© Klaus Bölling, Frankfurt 2003
 
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